Genuary Tipp 13/31 2022

Emily Lazar von September Mourning

In der Planung des Gender Januarys 2022 erstellten wir eine Liste mit potentiellen Künstlerinnen, auf der wir dann auch in aller Kürze ein Genre notieren, um eine gewisse Vielfalt der Stile zu beachten. Bei Emily Lazar, der Sängerin von September Mourning habe ich „Comic-Metal“ notiert. Klingt komisch und ist auch kein wirklich existierendes Musik-Genre, ergab sich aber daraus, dass sie mit ihrer Band mehr als „nur“ einfach Metal spielt, sondern tatsächlich ein ganzes Projekt ins Leben gerufen hat. Dieses Projekt beinhaltet neben der Musik eine ganze Comicreihe, weshalb auch die Auftritte und Videos eher eine Art Cosplaying sind. Die Comics erscheinen bei keinem geringeren Verlag als Image Comics in Zusammenarbeit mit Marc Silvestri.

So ist irgendwie bei Konzerten und öffentlichen Auftritten alles durchgeplant und durchgestylt und ich gebe zu, dass das manchmal etwas gewöhnungsbedürftig erscheint. Ich bin über die Comics auf diese Band gestoßen und fand das Gesamtkonstrukt auch durchaus überzeugend, was insbesondere daran lag, dass Emily Lazar dieser Hauptfigur eine krasse Persönlichkeit verleiht. Um in aller Kürze darzustellen, worum es geht: in der offiziellen Beschreibung der Story heißt es Her name is September Mourning. Half human, half Reaper, she takes the souls of the wicked so the innocent can live again. Und so tragen auch die Videos zum Erzählen der Grim-Reaper-Geschichte bei.

Zur Band muss man erwähnen, dass außer der Frontfrau bisher alle Besetzungen (teils mehrfach) durchgetauscht wurden. Die aktuelle Besetzung hat mich bisher musikalisch am meisten überzeugt und durch ihre letzten Releases haben sie sich auch wieder in der Genuary-Liste nach vorne gespielt, nachdem ich sie im letzten Jahr nicht mehr unter bekommen habe und dann ein wenig aus den Augen verloren habe. Aber durch die neuen Stücke Wake The Dead und Kill This Love ist wieder etwas mehr Druck in der Musik, zu der Emily Lazar mit ihrem sehr klarem aber kraftvollem Gesang einen guten Kontrast bildet.

Für die USA stehen auch jedes Jahr viele große Festivals auf dem Tourplan. Vielleicht ja auch demnächst mal wieder in Deutschland oder zumindest in Europa, sofern dies wieder möglich ist. Vom Bühnenbild und besonders vom Reaper Auftritt der Sängerin ist durchaus viel zu erwarten.

https://www.instagram.com/SeptemberMourning/

Genuary Tipp 11/31 2022

Jenny Angelillo von den Neighborhood Brats

Amerikanischer Punk ist für mich nicht ganz so leicht zu durchschauen. Vieles im US-Punk ist sehr künstlich und insgesamt viel kommerzieller. Musikalisch gibt es durchaus eine ganze Reihe überzeugender Bands, aber ich muss zugeben, dass ich mich bei Punkrock lieber klassisch in Großbritannien und Deutschland bediene. Die zum Teil negativen gesellschaftlichen Entwicklungen in den USA in den letzten etwa zehn Jahren haben aber mehr und mehr dazu geführt, dass zumindest ein sozialkritischer Approach etabliert wurde und teilweise Punk-Musik als echter Blitzableiter für Wut und Ärger wurde. Natürlich sind diese Entwicklungen insgesamt höchst bedauerlich, erfordern verstärkt Anklage und sorgen somit auch für eine mögliche Politisierung in der Kunst.

Das letzte Album der Neighborhood Brats ist ein guter Beleg dafür. Jenny Angelillo als Frontfrau der kalifornischen Band singt auf diesem Album über eben diese Entwicklungen. Harvey Weinstein (is a symptom) beschäftigt sich zum Beispiel mit der Wahrnehmung einer noch häufig grundsätzlich männlich-sexistisch geprägten (Arbeits-)Welt, in welcher man nicht den Fehler machen sollte, sich an einem Beispiel (wie dem des Produzenten Weinstein) abzuarbeiten, sondern diese an dem Fall festzumachenden Dynamiken auch an weiteren Stellen aufzudecken und anzuklagen. Der Song endet mit der Zeile This is a symptom of a greater disease Wake the fuck up!

Der Song ist von dem letzten Album Confines of Life aus dem vergangenen Jahr 2021 auf Dirt Cult Records veröffentlicht. Für mich ist es das bisher kompletteste Album der Truppe. Jenny Angelillo verleiht dem dort wirklich guten Punksound mit ihrer markanten Stimme einen letzten Push, auch wenn ein weiteres starkes Stück des Albums im besten Surfpunk-Sound mit dem großartigen Titel All Nazis Must Die ein Instrumentalstück ist. Live zeigt sich die Sängerin und Gründerin der Band mit einer unbändigen Energie. 2019 im letzten Jahr vor dieser Pandemie waren sie unter anderem in Hamburg zu Gast. Hoffentlich sehen wir demnächst wieder mehr davon. Ich wäre definitv dabei.

https://www.instagram.com/neighborhoodbrats/

Genuary Tipp 9/31 2022

Chelsea Wolfe

Meine besondere Aufmerksamkeit erhalten Bands und Musiker*Innen immer dann, wenn sie mich überzeugen, obwohl sie sich in einem Genre bewegen, dem ich normalerweise nicht besonders viel abgewinnen kann.

Chelsea Wolfe bedient mit dem Singer / Songwriter und Gothic oder Goth-Rock Genre gleich zwei dieser Felder. Aber da wir uns beim Wellenbrecherbereich ja sehr vielen Musikstilen zuneigen, habe ich auch gelegentlich dafür ein Ohr und das wurde – wenn auch über Umwege – bei den Liedern Chelsea Wolfes voll belohnt. Der Umweg bestand in diesem Fall aus dem gemeinsamen Projekt Wolfes mit Jess Gowrie die als Mrs. Piss teilweise unkonventionell zwischen Punk und Grunge performen.

Über diesen für mich konventionellen Weg näherte ich mich dann ihren Solo-Projekten. Ja, natürlich muss man sich für den eigenwilligen Sound ihrer Platten in einer bestimmten Stimmung befinden, aber letztlich – finde ich – trifft das auf jeden erdenklichen Musikstil zu.

Was mich an den Songs z.B. der Alben Hiss Spun (2017) und Abyss (2015) überzeugt, ist eine gewisse Eigenwilligkeit. Dass Chelsea Wolfe zum Teil im Gothic angesiedelt wird, habe ich da zunächst weniger herausgehört. Das lässt sich vielleicht auch eher an dem Vorgänger Pain is Beauty (2013) festmachen und zum Teil natürlich auch an den Texten und Videos. Ansonsten finde ich die Stücke so überzeugend, weil sie klingen, als kämen sie recht ungefiltert direkt aus der Seele der Künstlerin. Das gelingt natürlich nur, wenn ein gutes Stück Eigenanteil in der Produktion gesichert ist, bzw. wenn man auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zählen kann, so wie Chelsea Wolfe es mit ihrem Partner Ben Chisholm seit jetzt über zehn Jahren kann. Müsste ich erklären, wie die Songs klingen, dann fiel mir nichts Besseres zu sagen ein als, sie klingt wie Goldfrapp, die auf einem Horrotrip auf Sonic Youth trifft und sich an früher erinnert. (Ich meine das sehr positiv)

Das zuletzt (2019) erschiene Album Birth of Violence knüpft wieder eher an den Songwriter Stil an, der z. B. auch auf dem Unknown Rooms Album (2012) zu hören ist. Aber auch hier bleibt der Eindruck, dass sich Chelsea Wolfe in ihrer Kunst wenig von Konventionen leiten lässt, sondern viel aus ihrem eigenen Antrieb entsteht. Ich muss aber zugeben, dass ich mir lieber die etwas düstereren, knarzigen Songs anhöre mit diesen Gesang, der phasenweise sehr dünn und fragil ist, dann aber wieder mit vollem Klang das Kommando übernimmt. Also wir sprechen hier keinesfalls von Barhocker-Akustikgittaren-Mentalität.

Dass sie in ihrem Schaffen viel experimentiert, lässt sich auch an der neuesten Kollaborationen mit den Haudegen von Converge festmachen. Das aus dieser Zusammenarbeit hervorgegangene Album Blood Moon I wird uns in jedem Fall dieses Jahr auch noch in unserem Podcast beschäftigen – so viel sein schon mal verraten.

https://www.instagram.com/cchelseawwolfe/

https://www.instagram.com/mrspisss/

#womeninmusic #chelseawolfe

Genuary Tipp 7/31 2022

GIRLI aka Milly Toomey

Eigentlich ist Popmusik keine echte Stilrichtung, allerdings führt genau dieser in der Musikindustrie recht weit verbreitete Irrglaube – man könne sich seinen Popstar so zurecht basteln, wie es einem passt – immer wieder dazu, dass talentierte Künstler*Innen fallen gelassen werden, sich zurückziehen und sicher auch nicht wenige von ihnen irgendwann einfach entnervt aufgeben. Ich erfreue mich dann immer mal wieder an Personen die diesem Prozess trotzen und die sich und ihre Musik auch in einen künstlerischen Kontext setzen und versuchen, ihre Persönlichkeit über Musik, dazugehörige Videos, soziale Medien usw. zu inszenieren. Es gibt zu wenige gute Kunstfiguren, die die Öffentlichkeit als Plattform nutzen, um eine Meinung oder Haltung zu transportieren und zu viele zurechtgeformte Knetfiguren. Deshalb ist das, was wir Popmusik nennen meistens einfach schlecht und völlig austauschbar und belanglos.

GIRLI ist ein ganz wunderbares Beispiel, dass es auch anders geht. Die englische Künstlerin ist zunächst einfach an mir vorübergezogen, da mich ihre Musik auch nicht in den Bann ziehen konnte und ich diese recht schnell als zu poppig wegskippte. Tatsächlich hatte ihre damalige Plattenfirma offenkundig ähnliche Popstar-Bastel-Pläne wie oben beschrieben. Diese gingen jedoch nicht auf, GIRLI war nicht angepasst und dadurch auch nicht schnell genug erfolgreich und wurde kurzerhand fallen gelassen. Eine gute Reaktion darauf ist das Video zu ihrem Song Has Been, in dem genau diese Seite der Musikindustrie thematisiert wird von der insbesondere Künstlerinnen betroffen sind.

Die laufende Tour 2020 musste natürlich abgebrochen werden. So entstanden noch einige Folgen GIRLI IRL eine Art Video Blog mit Interviews. Ihre Position und ihre Einflüsse werden da insbesondere in der 3. Episode im Interview mit Nadya von Pussy Riot deutlich, aus dem die Forderung to be a badass in patriarchal world herausgestellt und fett unterstrichen werden kann, aber in dem auch weitere interessante Statements zu Punk, Queeres Leben in Russland uvm. Darum hier der Link zum Interview:

Die Trennung vom alten Label ist im Nachhinein betrachtet in meinen Augen ein Glücksfall für GIRLI und ihr neues Label Allpoints. Die beiden 2021 erschienen EPs Ex-Talk und Damsel in Distress sind zwar musikalisch auch durchaus noch poppig, überzeugen aber mit sehr klaren Statements und Songs zu Themen, die in populärer Musik zu selten vorkommen, oder in Watte gepackt werden. Außerdem mag ich an den Platten, dass sie musikalisch schwer einzuordnen sind. Viele Samples, manchmal Gitarren, manchmal Elektro, manchmal Rap ein bunter Mix.

Meine persönliche Empfehlung ist daher, GIRLI rückwärts zu hören, also mit den neuen EPs zu beginnen und sich dann zu den alten Sachen durchzuhören, auf denen sich durchaus auch einige (vor allem textlich) gute Songs finden. Wie z. B. Up and Down, der auf dem ersten Album Odd One Out (noch beim PMR-Label) herauskam.

https://www.instagram.com/girlimusic/

Genuary Tipp 5/31 2022

Clementine Creevy von Cherry Glazerr

Cherry Glazerr fallen auf durch provokante aber recht witzige Songs und Videos auf. Die Band spielt recht facettenreich von Indie-Rock, Garage bis Grunge. Sie existieren bereits seit 2013, und die Sängerin und Gitarristin Clementine Creevy ist die Gründerin der Truppe, die bis zu diesem Zeitpunkt drei Studioalben veröffentlicht hat. Das letzte Album Stuffed and Ready ist von 2019.

Mit viel Ironie und teilweise Sarkasmus verfasste Texte der äußerst fleißigen Songschreiberin, die sich auch in Interviews und in ihren Kanälen der sozialen Medien sehr humorvoll präsentiert, die nicht zuletzt deshalb zum Folgen durchaus empfehlenswert sind (https://www.instagram.com/cherryglazerr/). Die Texte sind eheroffen verfasst und lassen viel Interpretationsspielraum zu. Clementine Creevy selbst sagt allerdings, dass sie ihre Texte grundsätzlich als Sozialkritik begreift, da sie diese schließlich als nicht unpolitische Feministin verfasst. Der Song Wasted Nun z.B. wird von mir persönlich als Song über Selbstakzeptanz interpretiert und ist in meinen Augen auch musikalisch ein Highlight eines durchweg starken Albums. Sie selbst äußert sich über diesen Song wie folgt: „a woman who just wants to wield the power of the universe but has self-defeating tendencies. I don’t know. I guess it’s a side of me.” [Auszug aus einem Bericht von Popmatters.com]

Clementine Creevy lebt eigentlich aber ein positives Selbstbewusstsein durchaus vor, denn wie sie in einem Interview berichtete, konnte sie sich bei dem Song Stupid Fish gegen den Produzenten Carlos De la Garza durchsetzen, der diesen Song eigentlich nicht auf dem Album haben wollte, ihr dieser Song aber besonders am Herzen lag. Gut so, Künstler*In schlägt Produzent*In, das sollte eigentlich immer so sein, mal ganz davon abgesehen, dass der Song sehr stark ist und einer von denen, die den Grunge wieder etwas aufleben lassen. Wobei De la Garza als Produzent von ihr durchaus geschätzt ist und bereits das Vorgängeralbum Apocalipstick mit produzierte, auf welchem auch eines ihrer bekanntesten Lieder Told You I’d Be With The Guys drauf ist.

Letzter Bezug zum Grunge: Meinen ersten Kontakt mit Cherry Glazerr hatte ich über die ebenfalls ganz originelle Interpretation des Nirvana-Songs Territorial Pissings. Darf man sich natürlich nur anhören, wenn man nicht grundsätzlich etwas gegen Coverversionen einzuwenden hat. Diese Version gefällt mir jedenfalls ausgesprochen gut.

#cherryglazerr #clementinecreevy #stuffedandready