Genuary Tipp 23/31 2022

Ioanna Gika

Musik kann man hören. Das ist toll. Aber ich denke, ich bin nicht der einzige, mit dem die richtige Musik im richtigen Moment noch viel mehr anrichtet als die reine Beschallung. So wie man sich ein Buch nehmen, oder einen Film schauen kann, so setze ich mich (vor allem am Wochenende) gerne hin und höre ein oder mehrere Alben. Über das Label Sargent House bin ich bei so einer Aktion auf die Amerikanerin und Griechin Ioanna Gika gestoßen. Einigen dürfte sie bereits als Sängerin von IO Echo bekannt sein, ich habe sie für mich gerade erst entdeckt und das über ihr 2019 erschienenes Solo-Album Thalassa. Ich weiß überhaupt nicht, wie ich die Musik für jemanden beschreiben soll, der sie noch nicht kennt. Gibt es sowas wie Epic-Indie-Pop?! Keine Ahnung, greift aber eh zu kurz, da auch stellenweise mit Samples und elektronischen Linien und Drums gearbeitet wird, die an manchen Stellen auch Erinnerungen an Portishead hervorrufen können. Darüber hinaus gibt es Parts mit klassischen Instrumenten oder sehr tiefen Bässen. In jedem Fall gibt in meinen Augen jedes musikalische Arrangement einen unglaublich guten Rahmen für den beeindruckenden Gesang Ioanna Gikas. Ich gebe zu, es kann sein, dass ich vor einigen Jahren vermutlich einfach geskippt hätte, weil mir ihr Gesang zu hoch ist. Aktuell hat mich die Platte aber schlicht ins Staunen gebracht, was für Gedankenwelten durch Lieder entstehen können. Ähnlich ging es wohl auch Javier Yañez, der das folgende Video gedreht hat, welches kein offizielles Musikvideo ist, sondern ein Kurzfilm „inspired by“ No Matter What

Es bleibt mir nicht nur eine dringende Empfehlung diese Platte zu hören, sondern auch der Hinweis dieses auch ganz altmodisch im Sinne der Dramaturgie von Song 1 bis 10 zu tun. Wie geil sind bitte die Übergänge von Song 3 zu 4 und von Song 9 zu 10?! Ich kann mich auch nur sehr schlecht entscheiden, welches Lied ich hier noch verknüpfe, habe mich dann aber für den ersten Track Roseate entschieden, weil in diesem schon alles drin ist, was ich oben bereits beschrieben habe und sich diese Nummer musikalisch in gut vier Minuten unglaublich entfaltet und wandelt

Abschließend sei noch erwähnt, dass die Künstlerin kürzlich noch einen Popularitätsschub erfuhr, da sich das Modelabel Dior für ihren sehr klassischen und dadurch herausragenden, auf griechisch geschriebenen und gesungenen Song Thalassa als Kampagnen-Titel entschied und offensichtlich ebenfalls durch ihre Musik stark inspiriert wurde. Sie haben daraus nicht nur einen Spot, sondern einen dreiminütigen Werbefilm gedreht, der das antike Griechenland episch aufleben lässt, der auch bei YouTube zu sehen ist, ich hier aber keine Werbung verlinken möchte.

Noch mitten im Januar kann ich euch für Abwechslung bei fiesem Wetter nur vorschlagen, dieses Album aufzulegen, mit einem Becher Tee aufs Sofa zu setzen und 35 Minuten einfach nur ganz in euren Gedanken zu bleiben.

Klar das ist keine Musik für meine Deichbrand-Playlist, aber ich bin durchaus beeindruckt.

Genuary Tipp 21/31 2022

Lilith Czar aka Juliet Simms

Da denkt man sich, „ach wie cool, die Musikerin, die ich präsentieren möchte, hat erst ein Album herausgebracht, das wird einfach zu schreiben…“ und dann stellt man fest, dass die Künstlerin einfach im Februar 2021 ihren Name wechselte um einen vollständigen Wandel ihrer bisherigen Karriere zu vollziehen. Also ist es doch etwas komplizierter und ich versuche das mal abzukürzen. Juliet Simms wurde Zweite in der zweiten US Staffel von The Voice. Bereits vorher war sie musikalisch aktiv und spielte meist in Bands (z.B. Automatic Loveletter). Nach The Voice startete sie vor allem eine Solo-Karriere. Diese setzt sie jetzt fort, nur eben unter anderem Namen und einer anderen Ausrichtung und einem veränderten Auftreten. Am besten kann sie darüber aber selbst berichten, wie in dem folgenden Interview, was zwar leider im klassischen Corona-Video-Call Gewand daherkommt, aber inhaltlich sehr ehrlich und daher auch sympathische Einblicke gewährt. Nachlesen kann man dies auch in dem ebenso empfehlenswerten Interview von Papermag

Damit wären wir also bei Lilith Czars erstem Album Created From Filth And Dust welches 2021 bei Sumerian Records erschien. Musikalisch geht es jetzt doch deutlich weniger poppig und dafür eine gute Spur rockiger zu. Ich muss zugeben, dass mir persönlich bei einigen Songs auf dem Album ein wenig das Intuitive fehlt und vieles fast schon zu gut produziert ist, so dass ein paar Songs etwas die Luft ausgeht. Es wirkt manchmal ein wenig überproduziert oder zu durchgeplant. Dennoch finden sich einige wirkliche gute Tracks auf der Platte und vor allem die markante Stimme, die sie auch als Juliet Simms schon auszeichnete, kommt in meinen Augen in diesem musikalischen Gewand noch besser zur Geltung. Richtig gelungen ist der Start mit einem atmosphärischen Intro Poem und dem dann folgenden Feed My Chaos. Ein hervorragender Opener!

In dem oben bereits verlinktem Interview erklärt die Künstlerin eine bemerkenswerte Haltung zum Thema Pop-Rock und äußert ihr Unverständnis über die immer noch sehr präsenten gegenseitigen Vorurteile und Abschottungen und kommt zu dem Schluss: So yeah, my music has pop elements, but it’s also rock ’n‘ roll and it’s also alternative and it has some emo elements in it, and that’s okay. Und klar, das ist nicht einfach nur Okay, sondern doch der Weg, den wir uns wünschen, dass man sich beim Schreiben von Songs weniger an Konventionen, Style-Fassaden und aufgesetzten Attitüden orientiert, sondern frei das kreiert und interpretiert, was einen als Künstler bewegt oder antreibt. So empfehle ich abschließend noch eine Ballade des Debüts, in dem die beeindruckende Stimme Lilith Czars zur vollen Entfaltung kommt. Bei dem Song Diamonds to Dust musste ich beim ersten Hören an den Song Llorando aus David Lynchs Mulholland Drive denken. Ich persönlich hoffe auf weitere Veröffentlichungen von ihr, zumal ich die beiden Vinyl-Ausgaben der ersten Platte leider verpasst habe und jetzt den teuren Preisen hinterherlaufen muss… Jammer! Aber was rede ich, hört euch bitte mal diese Stimme an!

Genuary Tipp 19/31 2022

Åsa Söderqvist aka ShitKid

ShitKid hatte mich im Handumdrehen. Wer so überhaupt gar nicht in irgendeine Schublade passt, hat aus meiner Sicht immer schon vieles richtig gemacht. Seit 2016 aktiv und jetzt habe ich gelesen, dass nach dem im Sommer 21 erschienenen Album Sort Stjerne! Schluss sein soll?! Das war hoffentlich einfach den Vormonaten mit zwei Alben im Jahr 2020 und einer Corona zu Opfer gefallenen Tour geschuldet. Warten wir es ab.

Åsa Söderqvist hat jedenfalls bei diesem Projekt einen außergewöhnlichen Output gehabt und in den 5 Jahren von 2016 bis 21 fünf Studioalben und weitere EPs geschrieben, eingespielt und produziert. Zusammen mit Linda Molarin Ericsson (@primapralina), die bereits 2020 ausstieg, kreiert sie einen eigentümlichen Sound irgendwo zwischen Garage, Punk, Akustik und Elektro von Far-Out bis fast-schon-Mainstream, jedenfalls höchst individuell und dadurch genauso spannend wie manchmal Nerven strapazierend. In jedem Fall unkonventionell, was auch für die meisten Videos gilt. Wie hier am Beispiel von Sugar Town vom ersten Album Fish.

Eigentlich wollte ich hier im Rahmen des Genuary nur auf noch aktive Künstlerinnen eingehen, aber hier mache ich mal eine Ausnahme, in der Hoffnung, dass da doch nochmal etwas kommt. Ich habe auch in verschiedenen Folgen unseres Podcasts betont, dass ich Musik als Produkt kunstschaffender Menschen sehe und dass ich über diese Einstellung viel Respekt und Anerkennung für musikalische Ergebnisse zolle, die manchmal nur wenig bis kaum meinen Geschmack treffen. Das ist bei ShitKid anders, nicht nur weil mir viele Stücke durchaus gut gefallen, sondern auch weil ich mich hier schon sehr an dem Gedanken erfreuen kann, wie so manch Mithörer genervt bittet den *#!** auszumachen.

Auch schön fand ich, dass der Name Shitkid auf den schwedischen Begriff Skitunge zurückgeht, so eine Art Struwwelpeter-Story, um Kinder vom schlechten Weg und damit „natürlich“ auch von der Rockmusik fernzuhalten. Ein Faktencheck dazu ist allerdings nicht erfolgt. Also wer es etwas unkonventionell mag, hört Åsa Söderqvists ShitKid!

https://www.instagram.com/xshitkidx/

Genuary Tipp 17/31 2022

Alexis Krauss von Sleigh Bells

Als Freund von Crossover im einfachen Sinne des Vereinens vieler Stile zu einem eigenen Style komme ich nicht umhin euch Sleigh Bells vorzustellen oder besser gesagt wieder ins Gedächtnis zu rufen, denn Das Duo ist schon lange im Geschäft, hatte zuletzt aber mit sinkender Popularität zu kämpfen. Das im September 2021 gestartete Album platzierte sich zumindest nicht wie die Vorgänger in irgendwelchen Charts. Unter Umständen sieht man hier dann direkt die Kehrseite des Stilmixes, das Konzept nutzt sich eventuell doch zu schnell ab. Dabei ist das hier völlig unverdient. Der Sound der auf dem neuen Album kreiert wurde ist immer noch sehr fett, Alexis Krauss trägt mit gewohnter Kraft den Gesang vor, so dass ich mir selbst das absinkende Interesse an ihren Songs gar nicht so recht erklären kann.

Was mich auf allen Alben an der Frontfrau beeindruckt ist die Wandelbarkeit ihrer Authentizität. Ihre Stimme bleibt überwiegend in der gleichen Tonlage, dennoch kann sie sowohl die etwas poppigeren wie auch die Elektrotracks oder die eher rockigen bis punkigen so energisch ausfüllen, dass es nie aufgesetzt oder nach einer Kompromisslösung klingt. Ich persönlich mag dabei die etwas rockigeren Stücke etwas lieber und damit wird man auf dem neuen Album durchaus gut bedient. Justine Go Genesis ist ein gutes Beispiel.

Ja, ich muss zugeben, dass ihr 2012 erschienenes Album Reign of Terror auch bei mir nach wie vor am meisten läuft. Für die Klänge des neuen Albums ist mein Ohr noch nicht so gut trainiert, aber im Zuge einer Weiterentwicklung finde ich absolut nachvollziehbar, dass sie aktuell moderne Elemente des Elektropops wie klassische 80er Retro Synths und Drums mit integrieren. Dennoch, meine erste Wahrnehmung des Projektes war vor einigen Jahren der recht populäre Song Demons. Als wir Ende 2020 beschlossen den Gender-January ins Leben zu rufen, war Alexis Krauss eine der ersten Persönlichkeiten, an die ich denken musste und dann habe ich sie bei der Planung schlicht vergessen. Dieses Jahr ist es endlich soweit. Ich muss sagen, dass ich die Band nach Reign of Terror eigentlich auf mehr Festivals in Deutschland erwartet hätte, aber leider habe ich sie bisher nie Live gesehen. Das bedauere ich sehr und würde das gerne nochmal nachholen. Ihr Stil ist Live sicher nicht einfach zu spielen und so finde ich umso besser, dass sich Alexis Krauss und ihr Partner Derek Miller live Unterstützung durch weitere Musiker und Backgroundsängerinnen holen. Das rundet die Performance, der die US-Amerikanerin immer ihren Stempel durch extrovertierte Power aufdrückt noch ab und klingt zudem äußerst gut einstudiert. Darum hier zum Abschluss noch das Video zu Demons und eine recht frische Live-Studio-Performance inklusive Interview zum neuen Album. Viel Spaß dabei, ich hoffe, ich konnte dieses Duo wieder ein paar von euch ins Gedächtnis rufen oder das Interesse wecken, wenn ihr diese doch noch nicht kanntet.

Genuary Tipp 15/31 2022

Marie Ulven Ringheim aka Girl In Red

In einer früheren Ausgabe unserer Tipps aus dem Pitt (hier nachzuhören) stellte ich einmal den Musik-Podcast Song Exploder vor. Über diesen Podcast bin ich auch auf das Projekt Girl In Red gestoßen. In der Folge 208 des Podcasts berichtet Marie Ulven Ringheim eindrücklich von dem Entstehungsprozess ihres Songs Serotonin. Damit war meine Neugier geweckt und ich hatte eine Künstlerin entdeckt, die mir bis dahin leider verborgen blieb, obwohl sie längst kein unbeschriebenes Blatt mehr in der Indie-Pop-Szene ist, was sich auch an den repräsentativen Zahlen (Platzierungen, Nominierungen, Klickzahlen) ablesen lässt. Für mich persönlich ist die Norwegerin aber eine Entdeckung aus 2021 und vielleicht ist sie ja auch für die eine oder den anderen von euch noch neu – wenn ja, dann hört euch unbedingt durch ihr Werk.

Der besagte Song stammt von ihrem Album If I Could Make It Go Quiet (2021 bei AWAL erschienen) und ist durchaus repräsentativ, wenngleich es etwas poppiger startet. Das Lied entwickelt im weiteren Verlauf aber eine typische Dynamik und das schätze ich überaus an der ganzen Platte, denn das ganze Album hat zwar einen eher ruhigen Grundton, aber der Text und entsprechend der Gesang ist bei Girl In Red nicht bloß belangloses Beiwerk, sondern ein Wegweiser durch den letztlich ernsten und vor allem bis ins Letzte Detail durchdachten Sound. Ich glaube genau das hat mich am meisten fasziniert, dass die Künstlerin hier tiefgehende Klangwelten schafft, die einen gerade beim Hören mit Kopfhörern wirklich beschäftigen. Es sind zwar grundsätzlich total gängige Indie-Pop Song-Konstrukte, allerdings mit vielen Samples, Klängen, Instrumenten im Wechselspiel zur Gesangsstimme (mal mit mal ohne Effekte), die offenbaren, dass hier eine absolute Perfektionisten am Werk ist. Ein bisschen ist das Album wie ein musikalisches Wimmelbild, und ähnliche wie auf Wimmelbildern gibt es auch auf den Girl In Red Platten immer wieder neue Dinge zu entdecken. Und wenn dann noch ein offizielles Video dazu abgedreht wurde, hat man einen kleinen oft emotionalen, wunderbar getimten Kurzfilm, wie das Video zu dem Song Rue eindrucksvoll zeigt. I hate the way my brain is wired, can’t trust my mind it’s such a liar…

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