KMPFSPRT – Aus gegebenem Anlass (April 2024)

Von Felix

Liebe Musikmenschen!

Wir haben KMPFSPRT für euch interviewt, die Platte gehört und ihr zweites Konzert der Tour im Tower Bremen besucht. Lest hier unseren ausführlichen Bericht und das meinungsstarke Interview.

KMPFSPRT aus Köln veröffentlichen ihr neues Album zu einem absolut passenden Zeitpunkt. „Leider“ muss man zumindest zu diesem Zusammenhang sagen: die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der letzten 10 Jahre mit dem vermehrten Aufkommen von Rechtsradikalismus und Neonazis, machen ein Aufzeigen auf Demos gegen den Rechtsruck wieder notwendiger. Punk-Bands wie KMPFSPRT liefern zur Bewegung gegen rechts textlich und musikalisch einen motivierend linksdrehenden Soundtrack ab. Mal wütend und schnell, mal etwas melodiöser, aber immer ohne Umschweife, klare Positionen mit Anlauf ins Mikro gebrüllt. Musik, die Spaß macht, Texte, die man hören sollte. Das neue Album Aus gegebenem Anlass ist eine absolute Empfehlung und aus unserer Sicht für die Band auch ein großer Schritt: Der klassische Sound bleibt und dennoch wirkt die Platte etwas reifer, abgestimmter, die Musik treibt an und verbindet sich sehr organisch mit den Texten bzw. den damit transportierten Emotionen.

Nach dem Konzert am späten Samstagabend, saßen wir noch bei einem Terrassenbier zusammen und waren glücklich. KMPFSPRTs zweites Konzert der laufenden Tour war voller Energie und echter Spielfreude. Leider war der Tower nicht ganz ausverkauft. Das ist wirklich bedauernswert, liebe Bremerinnen und Bremer: geht wieder mehr auf Konzerte! Der Stimmung hat es aber grundsätzlich nicht geschadet und auch der Support-Act Schrammen hat dazu einen Teil beigetragen und erste Bewegungen in die Gäste gebracht. Testet also auf der Suche nach neuer Musik ruhig die Schrammen mal aus, mich persönlich haben sie etwas an die Band Blaufuchs erinnert.

KMPFSPRT haben vom Start weg überzeugt. Vor über fünf Jahren haben wir sie in der selben Location gesehen und wenn sich eins nicht geändert hat, dann ist es die Spielfreude, die man der Band auf der Bühne anmerkt. Die Dynamik zündete bei diesem Konzert erfreulicherweise auch stark bei den neuen Songs, von den ich mir sogar noch ein bis zwei mehr in der Setlist gewünscht hätte – Perfekt / Defekt ist eines von den neuen Liedern, die ich mir auch sehr gut live vorstellen kann. Aber die ausgewählten neuen Songs waren sehr schön eingebettet und vor allem „Schade, dass die Welt uns nicht versteht“ und „Bisher alles gut“ animierten zum Mitsingen, brüllen und Wild-im-Kreis-Laufen. Es war einfach ein hervorragender Mix, der ziemlich geradeaus durchgespielt wurde. Einfach eine schöne Punkrockparty. Wer die Gelegenheit hat, sollte noch einen Besuch einplanen.

Aber ist es denn überhaupt noch Punk?

Interview mit KMPFSPRT

Es haben sich in den letzten Jahren ja doch einige Subgenres entwickelt und bieten viel Platz zum Haare spalten und klugscheißen – also fragen wir die Band doch mal, wie sie ihre Musik selber sieht?

KMPFSPRT: Ich finde „Punkband“ eigentlich sogar die perfekte Beschreibung. Denn Punk steht an der Wurzel all dessen, was wir tun und ist der gemeinsame Nenner, auf den wir immer wieder zurückkommen. Als wir mit 14 oder 15 unsere ersten Bands gegründet und musikalischen Gehversuche getätigt haben, war das eben Punk. 2-3 schnelle Powerchords, kurzer Text, fertig. Die absolute Demokratisierung von Musik, jeder kann es, der etwas zu sagen hat, auch ein 14jähriges Kid in irgendeinem Proberaum. Das fand ich damals ungemein „empowernd“, um mal ein unangenehmes Modewort zu verwenden. Danach haben wir dann auch irgendwann Bands abseits der Ramones oder Misfits entdeckt, irgendwann kam Hardcore dazu, dann Emo, dann meinetwegen auch Pop (allerdings meine ich, wenn ich von „Pop“ spreche, eher so was wie The Smiths oder The Housemartins als Ed Sheeran oder Adele oder so) und alles hat irgendwie seinen Weg in unsere Musik gefunden. Aber ist das nicht bei den meisten Bands so? Und müsste man dann nicht fast immer von Indiehardcorepoweremopoppunk oder etwas Ähnlichem sprechen? Daher bin ich mit „Punkrock“ perfekt bedient. Am Ende des Tages machen wir genau das.

Das neue Album ist aufgenommen und veröffentlicht, die Proben vorbei, die Tour gestartet. Sind die Konzerte eurer eigenen Tour und im Sommer auf Festivals auch so etwas wie eine Belohnung für die langen Phasen im Studio und im Proberaum?

KMPFSPRT: Die richtige Antwort darauf wäre: ja. Die ehrliche Antwort aber ist, dass ich Zeit im Studio fast ebenso genieße wie live zu spielen. Ich kann auch gar nicht verstehen, dass es immer wieder Bands und Musiker gibt, die das Studio gar nicht zu mögen scheinen. Mögt ihr denn keine Musik? Ich finde, es gibt kaum etwas Schöneres, als Songs vor den eigenen Augen entstehen zu sehen. Sich kreativ auszutoben, auszuprobieren, und auf einmal hat man Musik vor sich, die noch vor wenigen Stunden einfach nicht existiert hat. Und vielleicht sind Songs dabei, die wir die nächsten Jahre live spielen werden, die uns was bedeuten, die den Leuten da draußen was bedeuten, die auf Konzerten mitgesungen werden… wie kann man das nicht mögen? Außerdem öffnet man im Studio ab irgendwann nachmittags das erste Bier und hängt mit seinen Brudis rum und raucht und säuft und labert Scheiße, auch deswegen spiele ich schließlich in einer Band. Und ja, auf Tour irgendwann ist auch schön, klar.

Aus gegebenem Anlass“ ist der Titel der neuen Platte (Shop hier). Gleich im ersten Lied „Das Ende aller Tage“ verdeutlicht ihr, welcher Anlass gemeint ist. Wie steht ihr zu den Entwicklungen in Deutschland in den letzten Jahren und (wenn möglich) was kann man trotzdem versuchen, Positives herauszuziehen? Denn der Refrain sagt ja deutlich „Du bist nicht das Ende aller Tage“.

KMPFSPRT: Bis vor wenigen Monaten hätte ich es vermutlich wirklich schwer gefunden, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Immer größere Erfolge für die blaubraunen Faschos im Osten wie im Westen, Gewalt, Krieg und eine Linke, die lieber über Pronomen oder Wortendungen diskutiert als über das nahende Ende der Demokratie, wie wir sie kennen. Dann aber kam der Switch, mit dem Bekanntwerden der Abschiebephantasien diverser Politiker diverser Parteien. Da hat man schon gemerkt, dass ein Ruck durch die Gesellschaft ging und die schweigende Mehrheit endlich ihre Stimme gefunden hat. In ganz Deutschland gab es ja gigantische Demos, wir waren in Köln und Bonn dabei, und man endlich wieder sehen konnte, dass der gesellschaftsfähig scheinende Rassismus eben noch immer eine Minderheitsmeinung ist und die Mehrheitsgesellschaft keinen Bock auf die Scheiße hat. Ich fand vor allem cool, dass auf all diesen Demos nicht ausschließlich Linke oder Punks wie wir waren, sondern Familien mit Kindern, Normalos, Rentner und alle dazwischen. Das hat mich an den „Aufstand der Anständigen“ Anfang der 90er Jahre erinnert, der den Nazis damals auch ganz klar gezeigt hat: Ihr seid nicht das Volk, ihr seid nur ein Haufen armseliger Vollidioten.

Ein ähnlicher Tenor klingt bei Lied 3 „Bisher alles gut“ an. Befinden wir uns gerade auf einem Weg zurück in die Neunziger Jahre, wo man die Feindschaften zwischen links und rechts ziemlich offen, unvermittelt und schonungslos auf der Straße ausgetragen hat und schon die falsche Frisur oder das falsche Shirt als ausreichende Provokation galt?

KMPFSPRT: Ich glaube nicht, dass das je anders war. Versuch mal in der falschen Stadt oder dem falschen Stadtteil mit einem Antifa-Shirt oder händchenhaltend mit einem Menschen des gleichen Geschlechts durch die Straßen zu gehen. Es gibt über 200 Todesopfer durch rechte Gewalt seit der Wiedervereinigung. Auch wenn die „Baseballschlägerjahre“ irgendwann vorbei schienen und eine gewisse Normalität eintrat (auch, wie oben erwähnt, erkämpft durch antifaschistischen Protest auf der Straße Anfang der 90er), hat das ja nie ganz aufgehört. Und mit den Erfolgen der Blaubrauen in den letzten Jahren haben auch die rechten Gewalttäter wieder das Gefühl, „Volkes Willen“ zu vollstrecken – da ist weitere Gewalt nur eine Frage der Zeit. Und auch wenn wir selber keine gewalttätigen Menschen sind und Gewalt vollkommen abstoßend finden, denke ich nicht, dass man Nazis mit Worten und Argumenten stoppen kann. Darum ging es denen ja nie. Da muss man sich schon die Hände schmutzig machen, zum Schutz von Minderheiten und auch zum Schutz von sich selbst.

Welchen Beitrag leistet ihr mit eurer Musik, um diesen aktuellen Entwicklungen entgegenzuwirken?

KMPFSPRT: Wir sind nicht so verblendet, zu glauben, dass unsere Songs eine größere Wirkung haben, wenn es darum geht, Leute zu politisieren oder Themen zu setzen. Das können eher Die Ärzte oder Die Toten Hosen, im Osten vielleicht auch Feine Sahne hier und da. Ich hoffe aber natürlich trotzdem, dass es im Kleinen Menschen gibt, die sich angesprochen oder zumindest bestärkt fühlen. Mir ging es ja selbst nicht anders, als ich mit 14 oder 15 Punk entdeckt habe. Slime waren damals der Soundtrack meiner frühen Jugend, später haben Bands wie Gorilla Biscuits, Manliftingbanner oder Propagandhi dazu beigetragen, dass ich angefangen habe, Dinge zu hinterfragen und mir eine kritische Meinung zu bilden. Vielleicht können wir das ja auch für eine Handvoll Menschen tun.

Eure Tour streckt sich über einen etwas längeren Zeitraum. Habt ihr schon oft überlegt, den Schritt ganz in den Beruf des Künstlers zu gehen, um vielleicht auch mehr Zeit oder einfach mehr Möglichkeiten für mehr Konzerte etc. zu haben?

KMPFSPRT: Schon oft? Oh Gott. Nee. Noch nicht ein einziges Mal, ehrlich gesagt. Was für eine schreckliche Vorstellung. Stell dir vor, du machst das, was du liebst, zum Beruf. Du MUSST auf einmal Songs schreiben, ob du in dem Moment willst oder nicht. Du MUSST auf Tour gehen, du MUSST jedes Festival spielen, du MUSST Insta-Videos drehen, in denen du in die Kamera laberst und Dinge sagst wie: „Hi, hier ist der David von KMPFSPRT, wir spielen am Wochenende in Bayreuth und haben MEGA BOCK, kommt rum, blaaaa“. Und das dann jede Woche, jedes Jahr. Mit 30, mit 40, mit 50… Urgh. Nein danke. Musik, Kunst ist meine/unsere große Liebe, das muss immer auf Freiwilligkeit basieren und darf nie vermarktbare Wegwerfware werden.

In Bezug auf eure Diskographie merkt man auch nur wenig, dass ihr die Musik „nur“ als Fulltime-Hobby betreibt. Wie schafft ihr das, doch so einen verhältnismäßig regelmäßigen Veröffentlichungsrhythmus beizubehalten?

KMPFSPRT: Vermutlich geht das, weil wir es eben nicht müssen. Sondern einfach wollen. Nach einer bestimmten Zeit juckt es einen immer in den Fingern, dann sitzt man zu Hause abends mit der Gitarre in der Hand vorm Fernseher, spielt und spielt und spielt und schreibt so fast automatisch Songs. Oder es passieren Dinge, auf der Welt oder im eigenen Leben, die einen in irgendeiner Form emotionalisieren und irgendwann einfach raus müssen, in unserem Fall eben in Form von Musik. Und dann ist der Ball meistens schon ins Rollen gekommen und man schreibt und tut und macht und sammelt und irgendwann geht man dann ins Studio und – zack – hat schon wieder ein neues Album oder eine neue 7“ oder was auch immer. Aber klar, das geht nur, weil wir alle das auch wollen. Es würde vermutlich reichen, wenn einer nicht mitzieht, was bei uns bisher zum Glück nie so richtig vorkam. Wir sind ja auch schon eine Weile dabei und wissen, was wir tun und was wir wollen (und was nicht).

Neben den eben erwähnten, bedenklichen gesellschaftlichen Entwicklungen sprecht ihr noch ein paar andere relevante Themen an. In „Schade, dass die Welt uns nicht versteht“ geht es im Kern um den Klimawandel. Aber auch ein Stück weit um einen diesbezüglichen Generationenkonflikt. Auf wen sollten wir aus eurer Perspektive mehr hören: auf den fatalistischen Vater am Klavier oder die aktiven Neo-Hippie-Kids?

KMPFSPRT: Vielleicht auf beide gleichermaßen, vielleicht stehen die irgendwann sogar Schulter an Schulter auf den Barrikaden und reißen ein System nieder, das nur auf Profite und nicht auf Vernunft oder Logik basiert und so uns und unseren Planeten auf dem Altar des Geldes opfert. Ich glaube, dass wir da durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten zusammenarbeiten müssen, da die Mächtigen ihre Macht bestimmt nicht freiwillig aufgeben werden. Wenn wir aber den Kapitalismus nicht beenden und durch ein humanistisches, soziales System ersetzen, bei dem es um Mensch und Natur geht, sehe ich da schwarz. Das allerdings wird nur zusammen gehen und zwar mit so einer großen Mehrheit, dass es keine Zweifel an der Konsequenz der Veränderung geben kann. Ich hoffe, ich erlebe noch etwas davon.

Ein auch bei uns im Podcast häufig aufkommender Themenbereich ist der der Alltagsbelastungen. Bei „Letzte Hilfe“, „Trugschluss der Dummen“ oder auch „Fliegenfriedhof“ und letztlich auch in „Hana-Bi“ geht es um individuelle Probleme, um Struggles möglichst normal und sorgenfrei durch das Leben zu kommen. Wo seht ihr die Ursachen für diese doch immer stärker wahrnehmbaren Szenarien, wie ihr sie in den genannten Liedern beschreibt?

KMPFSPRT: Ich finde, es klingt immer etwas billig, alle seine privaten, individuellen oder psychischen Probleme auf den eben genannten Kapitalismus zu schieben, aber… genau daran liegt es in der Regel eben. Wie soll man in einer Welt wie der unseren leben und NICHT dadurch krank werden? Und das sage ich aus der relativ privilegierten Position eines studierten weißen Mannes in Mitteleuropa. Aber klar hilft einem das im Alltag nicht, wenn man an Depressionen leidet oder einfach „nur“ seinen Job oder seine Freundin verloren hat oder was einem sonst noch immer so passieren kann. Dafür gibt es dann ja irgendwie auch Kunst und Musik. Mir hilft das zumindest immer sehr, mich von einem Buch oder einem Song verstanden zu fühlen. Mehr kann man kurzfristig eh nicht tun. Außer mal Fünfe gerade sein zu lassen und ein paar Bier zu viel zu trinken. Aber das hilft auf Dauer ja auch nicht.

Dann kommen wir auf der Zielgeraden nochmal zu positiven Dingen. Musik hilft bei vielen Dingen und gerade Konzerte können unglaublich viel Spaß machen und einen den Alltag auch mal vergessen lassen. Bei welchem Konzert sieht man euch 2024 noch als Gast und wenn ihr dort seid, dann im Wellenbrecherbereich / Moshpit oder lieber am Tresen?

KMPFSPRT: Ich habe tatsächlich eine Menge Konzerte in meinem Kalender stehen. Ein paar davon wären Slapshot, EA80, Jeff Rosenstock, NOFX, Alkaline Trio, D.R.I., Madness, The Stranglers und Hot Water Music, um nur ein paar zu nennen, die mir direkt einfallen. Es gab mal eine Zeit, nach ein paar intensiven Jahren KMPFSPRT, da hatte ich weniger Lust auf Konzerte, irgendwann ist man ja auch einfach übersättigt, aber inzwischen bin ich wieder voll am Start und freue mich auf jede Show. In der Regel, dem Alter entsprechend, eher hinten an der Bar, aber es kann immer mal wieder vorkommen, dass mich die Musik weiter nach vorne zieht und der Funke überspringt wie bei einem liebeskranken Teenager. Zuletzt war das bei Samiam und den Menzingers so.

Gebt uns zum Abschluss noch einen kurzen Ausblick, was ist 2024 noch alles von KMPFSPRT zu erwarten?

KMPFSPRT: Das Album ist ja jetzt draußen, also… Konzerte? Eine Tour, ein paar Festivals, vielleicht irgendwas Schönes zum Jahresabschluss und dann, so wie ich uns kenne, hat auch schon irgendwer Bock auf das nächste Projekt, die nächste 7“ oder was auch immer. So richtig langweilig wird uns eigentlich nie.

Herzlichen Dank für das Interview! Wir wünschen euch geile Konzerte auf der Tour!

Wrong Chat – Wasteland (2022)

Von Felix

Wrong Chat sind zwei Bremer, die mit Wasteland im Oktober 2022 ihren ersten Longplayer veröffentlicht haben und das weit überwiegend in Eigenregie. Das Album ist als Tape und als CD erhältlich (und natürlich digital), am einfachsten hier über Bandcamp.

Paul, Sänger und Gitarrist haben wir vom Wellenbrecherbereich Anfang 2023 noch live im Tower Bremen gesehen, als er als Support-Act für Shitney Beers auftrat. Das war schon ein etwas besonderer Auftritt, da ich beim ersten Stück noch dachte, er macht jetzt so ein wenig Soundcheck – aber nein, aufgrund der kurzfristigen Einladung war es Schlagzeuger Tom Wagner einfach nicht möglich teilzunehmen und so wurden die Studiodrums kurzerhand vom alten I-Pod von Pauls Schwester eingespielt. Es war trotzdem (oder auch deswegen) ein gelungener und unterhaltsamer Auftritt. Paul hat an dem Abend immer knapp aber ganz launig die ausgewählten Lieder vorgestellt. Mir hat es so gut gefallen, dass ich mir später direkt ein Tape gekauft habe. Es hat viel Spaß gemacht mal wieder einen wirklich guten Grunge-Sound zu hören. Das ist ja doch mittlerweile eine Rarität und deshalb denke ich auch, dass hier genau das Potential für Wrong Chat liegt: Sie sind nicht die xte schon ganz gute, aber auch nicht wirklich herausragende Punkband, sie schwimmen auch nicht auf der Welle der (ebenfalls oft guten aber eben) echt vielen deutschen Post-Hardcore Bands, sondern gehören zu den Bands, die zu einer Reanimation des Grunge beitragen könnten.

Den Gedanken mag ich sehr, wenngleich mir auf Wasteland auch nicht jeder Song gut gefällt. Ich kann für mich festmachen, dass ich alle etwas raueren Songs bzw. Parts sehr schätze, die etwas ruhigeren bis poppigen Teile gefallen mir nicht immer. In der Hauptsache liegt das daran, dass Paul für seinen Gesang immer den gleichen Effekt nutzt und ich finde das in bestimmten Passagen nicht immer passend, bzw. manchmal sogar etwas nervig, so dass ich unten in der Wertung dann natürlich auch ein paar Abzüge habe.

Um das aber auch mal konkret zu benennen: nicht so gelungen finde ich das z.B. in dem Song Playlist, obwohl der sonst (oder für andere Hörerinnen und Hörer) vom Konstrukt her wohl durchaus Ohrwurmpotential hat. Might Be und What I Feel finde ich dadurch insgesamt auch etwas anstrengender. Die Ausnahme dieser Regel bildet hierbei Two Brainer – gleiches Prinzip, also insgesamt etwas ruhiger, Stimmeneffekt der selbe, aber irgendwie packt mich dieser Track dann doch, weil er sich im und um den Chorus herum etwas interessanter entfaltet.

Sehr gelungen hingegen sind aus meiner Sicht der titelgebende Song Wasteland und Stick Togehter. Letzteres klingt in der Gitarre recht offensichtlich nach Nirvana, entwickelt aber schnell einen eigenen wirklich guten und animierenden Sound. Wasteland ist sehr abwechslungsreich und steigert sich zum Ende hin immer weiter in Tempo und Härte und hat daurch Potential für den besten Konzert-Track von Wrong Chat (siehe Video weiter oben).

Mein Lieblingsstück ist aber So Many Times. Der rundeste Track mit einem geil straighten Gitarren-Riff in den Strophen, mit klassischen Grunge-Passagen und im Chorus und in den Bridges verlangsamt und die Gitarre ohne Verzerrung also irgendwie ein Retro-Sound trotzdem mit ganz eigenem Charakter – liebe ich.

Ich habe im Laufe des Jahres 2023 mit The Bobby Lees, Margaritas Podridas und eben Wrong Chat drei Bands neu ins Herz geschlossen, die es schaffen Grunge und / oder Garage Punk zwar nicht neu zu erfinden, aber wieder mit neuem Leben zu füllen. Wenn Stilrichtungen über Jahre und Jahrzehnte nur von den Legenden und Haudegen leben, dann wird es irgendwann langweilig und läuft sich allmählich zu Tode. Deshalb freue ich mich sehr über diesen Sound, den Wrong Chat auf ihrem Album Wasteland anbieten und wünschte mir persönlich ein wenig mehr Härte oder Mut zum Unkonventionellen.

Um das ganze abschließend zu bewerten, gehe ich „nur“ auf sechs von zehn Wellenbrecher – mit Potential für viel mehr, aber ich merke schon, dass ich die Songs, die mir nicht gefallen auch tatsächlich weiterskippe und mich die Platte so mit den 10 Tracks zu ziemlich genau 60% zufriedenstellt (plus einen Extrapunkt für die Katze auf dem Cover von Wasteland – habt ihr sie entdeckt?).

Alphatraz – Gebeine (2022)

von Felix

„kommen wir nun zu etwas ganz anderem“

Alphatraz ist das Synonym des Künstlers Christoph Martin. Hier gibt es etwas zu hören, was wir in dieser Form sicher noch nie im Wellenbrecherbereich hatten. Ein reines Piano-Album. Alle zehn Songs sind Eigenkompositionen. Warum beschäftigen wir uns im Wellenbrecherbereich mit einer Platte voller Klavierstücke? Nun ja, eigentlich gibt es da mehrere Gründe: Zum einen, weil wir uns ja eh auf die Fahnen geschrieben haben, auch über unseren musikalischen Tellerrand hinauszugehen, zum anderen, weil von jedem einzelnen Song von Gebeine – so der Titel des Ende 2022 erschienenen Albums – eine verrückt anziehende Faszination ausgeht und außerdem, weil das Komponieren an sich in der Öffentlichkeit oft viel zu wenig thematisiert wird, obwohl es eine große Kunst ist und egal in welchen musikalischen Bereich wir gehen – viele populäre Lieder sind am Klavier entstanden und so bietet auch Alphatraz‘ Platte eine Reise in eine irgendwie ursprüngliche Fantasiewelt.

Die Lieder und das gesamte Konzept dieses Werkes sind sehr finster und bedrohlich, so liegt eine Nähe zu bestimmten Metal-Genres durchaus auf der Hand und der Künstler selbst hat auf seinem YouTube-Kanal auch einige hervorragende Interpretationen bekannter Metal-Songs, die ebenfalls sehr empfehlenswert sind.

Das Düstere in der Musik erfordert natürlich eine grundsätzliche Stimmung bzw. Bereitschaft. Wenn man sich in Partylaune begeben möchte, ist Gebeine sicher nicht die richtige Wahl. Aber die CD, die ich nun nach ihrem Erscheinen im dunklen Winter genauso gehört habe wie heute, also mitten im Juli, hat sehr viel zu bieten.

Eigentlich möchte ich auch bei dieser Rezension weniger auf einzelne Titel eingehen, als sonst im Now Playing, weil ich persönlich es auch tatsächlich eher als ein Gesamtkonstrukt begreife. Dennoch möchte ich zwei Titel hervorheben, die mir besonders gut gefallen.

Da ist zum Einen der Song Vindicta, der für mich sehr viel von einer guten Filmkomposition hat und somit viel Ankurbel-Potential für das eigene Kopfkino bietet. Außerdem ist das Lied etwas heller als die meisten anderen, so dass ich in einigen Passagen denke, hier könnte man sogar Teile der Komposition als Grundlage für einen guten Indie-Pop-Song nutzen. Der Song geht also etwas über den Grundton des Albums hinaus.

Ein anderer Song, der diesen Grundton hat, ist Occultatio, vor allem der Beginn hat es mir angetan. Das Lied ist so reduziert auf einzelne Töne in leichter Atmosphäre, dass es gerade diese Reduktion ist, die unglaublich viel Platz im Kopf schafft und durch dieses so simple Mittel eine Spannung erzeugt wird, die den Hörer (also mich zumindest) total neugierig werden lässt, was in der nächsten Sekunde wohl passieren wird.

Die schönste Melodie erklingt für mich gleich im zweiten Stück Sketches of Pain und ich liebe es, wenn sich diese schöne Melodie in den tiefsten Tönen auflöst und dann fast schon eine Art Kampf zwischen bedrohlich tiefen Passagen und den immer noch finsteren aber aufgelockerten und klareren hohen Tönen folgt.

Bei den beiden letztgenannten habe ich in einigen Passagen aus irgendeinem Grund sofort Assoziationen zu Iron Maiden Kompositionen – musiktheoretisch begründen, warum das so ist, kann ich leider nicht, aber versucht euch bei diesen Titeln mal gelegentlich markante Maiden Instrumentierung vorzustellen.

Eine Bewertung fällt hier tatsächlich schwer. Ihr habt gemerkt, dass ich das Gesamtkonstrukt sehr schätze und dass ich fasziniert von dieser CD bin. Ich muss aber auch zugeben, dass es keine Musik ist, die ich im Alltag einfach mal so in meine Playlist ziehe und die eben auch eine gewisse Grundstimmung voraussetzt. Dennoch möchte ich hier auch keine Grenze setzen, nur weil eine klassische Bewertung nach Mosh-Pit-Tauglichkeit nicht möglich ist und daher gebe ich siebeneinhalb von zehn Wellenbrechern.

Abgerundet wird das Album von einem wirklich herausragenden und voll treffendem Artwork von collapse of art und dem Logo, welches von Jordan Barlow entworfen wurde. Das Album gibt es aktuell über Bandcamp zu hören und zu beziehen, außerdem auch als CD über Schattenpfade.de

https://alphatraz.bandcamp.com/album/gebeine

POLEDANCE – Circus (2022)

Von Felix

Es geht doch immer so los: Man unterhält sich mit befreundeten Musikmenschen über Bands, die man kürzlich gesehen oder gehört hat und wenn man dabei über eine Band berichtet, die der andere noch nicht kennt, dann kommt auch schnell die klassische Frage: „und was machen die so für Musik?“ so logisch diese Frage ist – und ich habe sie selbst sicher schon unzählige Male gestellt – so blöd ist sie zu beantworten. „Hör dir die einfach mal an.“, sagt man dann in der Regel und schiebt heutzutage gerne noch ein „Ich schick dir mal ’n Link“ hinterher. Als ich neulich mit jemandem über POLEDANCE sprach, sagte ich dazu, dass diese Band eine Art Indie-Rock spielt. Auf ihrer Homepage stellen sie ihren Sound als Alternative-Emo-Rock vor und das trifft es natürlich noch besser. Die Band bzw. der Künstler weiß schließlich selbst in der Regel am besten, was für ein Stil gespielt wird, so werden als sounds-like Referenzen auf der Homepage auch Paramore, Fall Out Boy und Jimmy Eat World genannt. Spotify ordnet sie allerdings weitaus punkiger ein, aber das kann auch einfach an dem sich mir anbiederndem Algorithmus liegen.

Kommen wir endlich zur Sache: Das Album Circus ist mit zehn Songs angenehm reduziert, zeigt sich auch durchaus variantenreich, dies allerdings in der Hauptsache im Spannungsfeld zwischen Pop und Rock eines Songs. Es dürfte auch kein Geheimnis sein, dass mir persönlich dann in der Regel die zum Rock neigenden Songs besser gefallen, als die etwas pop-lastigeren Songs.

Es werden immer wieder elektronische Teile mit eingebracht und diese auch immer gut integriert, da sie sich nicht aufdrängen, sondern stets gut im Gesamtkonstrukt aufgehen.

Das Album erschien im Dezember 2022 bei Thirty Something Records – es wurden vorab bereits einige Singles des Albums veröffentlicht. Beautiful, Echoes und Help. Letztgenannter Song ist auch mit einem coolen offiziellen Video bei Youtube zu finden (siehe unten), wenngleich es sich anbietet immer Bandname und Songtitel bei der YouTube-Suche einzugeben, denn ansonsten kann man sich durch viele Poledance-Videos scrollen, die aus sporttänzerischer Perspektive sicher auch interessant sind, aber in der Regel nichts mit gutem Emo-Rock zu tun haben.

Um aber mal in die Einzelkritik zu gehen: Help ist auch gleich einer meiner echten Favoriten auf der Platte und ich finde die sichtbaren Klickzahlen bei YouTube und Spotify lächerlich klein, da sich dieser Song kein Stück hinter weitaus bekannteren ähnlichen Liedern verstecken muss. Melodie, Dramaturgie und Emotion sind in diesem Song wirklich stark abgestimmt und abgemischt, für mich ein Lied, das in diesem Genre absolut internationales Format hat. Unbedingt anhören!

Eigentlich kann man das auch für die gesamte Platte formulieren, nicht nur weil die Texte in englischer Sprache verfasst wurden, sondern insgesamt ist der Klang ambitioniert.

Neben den Singles fällt mir das vor allem noch bei Devil’s Pact und dem abschließenden 10. Lied der Platte – Sake of Life auf. Hier klingen für mich Ansprüche durch, nicht nur in Deutschland gehört zu werden. Warum auch? Nur weil man aktuell in Berlin ansässig ist und natürlich vor allem hier Konzerte spielen kann, muss man sich ja nicht auf den deutschen Markt beschränken. Devil’s Pact punktet bei mir mit zwei entscheidenden Teilen. Zum einen mit dem melodiösen aber temporeichen Pre-Chorus und Chorus und zum anderen mit dieser wunderbaren Bridge mit dem beeindruckend erdendem Gitarren-Lick nach dem zweiten Refrain als Übergang zur zweiten Songhälfte. Leider gefällt mir der poppige Sound der Strophen in dem Song nicht wirklich.

Bei No Love, dem 4. Track des Albums ist es genau umgekehrt, da mag ich die Strophen sehr gerne, dafür trübt dort der Pre-Chorus das Hörvergnügen – zu langsam, fast schon ausbremsend. Diese beiden Songs stehen exemplarisch für meine Wertung, denn irgendwie finde ich zwei Drittel meistens ganz geil und das letzte Drittel immer nur mittelmäßig oder zumindest nur bedingt überzeugend. So komme ich zu dem Fazit, dass ich persönlich dem Album Circus von POLEDANCE irgendwie schon gute, aber auch noch nicht so ganz reinhauende 6,5 von 10 Wellenbrechern verteile.

Ich möchte jedoch anhängen, dass es vor allem an meinen Hörgewohnheiten liegt und Lieder dieser Art – also (alternativer) Emo-Rock nicht zu meinen meistgehörten Songs gehören. Ich denke, dass die Band POLEDANCE für Fans dieses Genres hier ein Album mit sehr viel Potential geliefert hat und genau aus diesem Grund möchte ich die Band tatsächlich wärmstens weiterempfehlen. Aktuell ist vor wenigen Tagen noch die Akustik Live-EP Not Quite erschienen.

Self Publishing in der Musik

Von Felix

Ist heute eigentlich wirklich alles einfacher?

Die Digitalisierung hat in allen Lebensbereichen Einzug erhalten. Das hat natürlich zwei Seiten, im Kern geht es in diesem Beitrag um eine sehr positive Seite dieses Fortschritts. Musikerinnen, Musiker und Bands können vermehrt ihre Musik in Eigenregie produzieren und veröffentlichen. Allerdings birgt auch das Verfahren des Self-Publishings natürlich gewisse Risiken und es kommt zu Synergieeffekten, die die Vorteile zum Teil auch wieder relativieren oder ihnen zumindest gegenüberstehen.

„Der größte Vorteil für uns war, dass wir in unserem eigenen Tempo arbeiten konnten und so auch die Kontrolle über den Sound und das visuelle Drumherum wie Artwork und Videos behalten konnten. Das ist aber Vorteil und Nachteil zugleich. Die Freiheit, alles selbst zu machen und zu experimentieren nimmt auf der einen Seite viel Druck raus, aber der zeitliche Aufwand ist bei einer zweiköpfigen Band dann pro Person schon sehr hoch.“Paul und Tom (Wrong Chat)

Wir haben dazu unter anderem mit Wrong Chat und Alphatraz gesprochen, die kürzlich den Schritt des Self Publishings gewählt haben, sie zu ihren Erfahrungen befragt und um ein möglichst differenziertes Bild zu bekommen mit POLEDANCE, die ihre neue Platte über Label Thirty Something Records veröffentlichte . Für die ausführlichen Antworten bedanken wir uns herzlich und möchten euch im Zuge weiterer „Now Playings“ natürlich auch ihre Musik und Produkte vorstellen und ans Herz legen.

Eigentlich befinden wir uns schon seit Jahrzehnten in den laufenden Prozessen der Digitalisierung im Bereich der Musikproduktion und natürlich auch des Musizierens an sich. So richtig in Schwung kam die Digitalisierung bereits zu Beginn der 1980er Jahre, in welchen insbesondere MIDI kompatible Synthesizer und auch Mehrspur-Aufnahmegeräte günstiger produziert und verkauft werden konnten, im Laufe der achtziger Jahre wurden die Computer nicht nur beständig leistungsfähiger, sondern allmählich für Privathaushalte erschwinglich. Diese Entwicklungen setzen sich unaufhörlich fort und haben seit der Jahrtausendwende und der in Europa und den USA nahezu flächendeckenden Vernetzung der Menschen noch eine weitere nicht zu unterschätzende Komponente des Austausches gebracht. Dabei geht es auch um Wissenstransfer im Bereich Musik und Musiktechnologie. Möchte ich mir zu Hause ein eigenes kleines Studio einrichten, kann ich mich mit Gleichgesinnten und erfahrenen Produzenten austauschen und mir stundenlang Equipment-Tests und Tutorials ansehen. Ich kann als Musiker eigene Spuren oder ganze Stücke einspielen, Bands können aktuell nicht nur viel einfacher ihre eigene Musik mit Hilfe von Computern und verhältnismäßig günstigen Interfaces selber mischen und bearbeiten, sie müssen sich dazu noch nicht mal mehr regelmäßig räumlich treffen. Jedes Bandmitglied kann das Instrument zu Hause einspielen, über die Cloud werden dann alle Spuren zusammengetragen und am heimischen PC / Mac abschließend in Form gebracht. Die digitalen Dateien können dann auf Plattformen wie Bandcamp oder Soundcloud oder ähnlichen Portalen hochgeladen werden und stehen dort auch mittlerweile mit Kaufoption zur Verfügung. Wenn man einen Schritt weitergehen möchte, kann man über spezielle Hosts dafür sorgen, dass die Musik auch auf die großen Streaming Plattformen eingespeist wird.

„Songs über einen Dienst wie Recordjet, Distrokid o.Ä. auf allen wichtigen Streaming-Diensten zu veröffentlichen war natürlich ein Thema […]. Es ist ziemlich einfach zu handeln und das zu einem sehr überschaubaren Preis. Der Vorteil ist, dass je nach Modell alles in der Bandkasse landet. Für einige Künstler:innen wird das ein wichtiges Argument sein.“ – Daniel (POLEDANCE)

Hinzu kommt, dass es mittlerweile unabhängige Dienstleister für die Tonträgerproduktionen gibt, so dass man auch zur digitalen Variante physische Platten, CDs oder Kassetten produzieren lassen kann, um diese z. B. über einen eigenen Web-Shop und auf Konzerten zu verkaufen. Dies ist mittlerweile auch in geringen Stückzahlen möglich. Außerdem gibt es weitere online Shops, über die man eigene Ware verkaufen kann, natürlich auch Merchandise wie T-Shirts, Hoodies und viele weitere Produkte und zumindest in den Städten gibt es mittlerweile auch wieder gute Plattenläden, die für gute, zum Angebot passende Musik immer offen sind. Und klar ist ein ganz logischer Vorteil an dieser Herangehensweise das Geld, welches am Ende des Tages direkt in die Tasche der Bands, Künstlerinnen und Künstler wandert, denn je weniger Stationen am Verkauf beteiligt sind, desto mehr bleibt von der Gewinnspanne bei den Musikerinnen und Musikern selbst. So formuliert klingt das erstmal alles toll und mir liegt auch wenig daran, dies jetzt einfach aus Prinzip zu zerreden, darum würde ich zunächst gerne dieses Vorgehen in der Selbstproduktion aus der Perspektive der Band Wrong Chat unterstützen.

„Klar ist das ein guter Weg, um erstmal überhaupt mit eigener Mucke an den Start zu kommen. Der Aufwand, digital selbst zu veröffentlichen, ist ja relativ gering.“ – Paul und Tom (Wrong Chat)

Und welche Probleme kann diese Form der Veröffentlichung mit sich bringen?

Nun ja, zunächst scheint es doch erstmal ganz logisch: Ihr spielt in einer Band, ihr spielt gemeinsam Musik, also nehmt ihr sie auf und vertreibt sie, oder nicht?! Man wird als Band oder Künstlerin / Künstler recht schnell feststellen, dass die benötigten Fähigkeiten und Talente je nach eigenem Anspruch rasant zunehmen können. Es beginnt spätestens beim Mastering der Aufnahmen, eigentlich schon vorher bei den Aufnahmen selbst. Alles soll gut klingen, also sollte man auch besser wissen, welche Mikros, Kopfhörer, Mischpulte und Interfaces gut geeignet sind. Mit welcher Aufnahme-Technik (DAW) kenne ich mich aus? Ist der Raum überhaupt geeignet? Je professioneller die verwendeten Geräte und Programme sind, desto umfangreicher sind die Einstellungsmöglichkeiten und dadurch steigt auch die Gefahr gewisse Komponenten zu übersehen, die für gelernte Menschen, z.B. Audio-Engineers, zu den Standard-Handgriffen zählen.

Wer entwirft und gestaltet ein Artwork für die Platte bzw. für das Merch? Wer übernimmt die Promotion? Gibt es ausreichend Kontakte oder sogar ein gut funktionierendes Netzwerk, z.B. auch für Pressefotos etc.? Sind Auskopplungen und ggf. Videos dazu in Planung? Wer dreht und schneidet die Videos? Wer plant und organisiert im Anschluss Auftritte oder sogar eine ganze Tour? Natürlich benötigt man zusätzlich eine halbwegs vernünftige Buchhaltung, um zu sehen, ob am Ende wenigstens die schwarze 0 steht.

„Ich hatte ein tolles Team an meiner Seite, alleine hätte ich es nicht geschafft. Meine Frau hilft bei vielem, Collapse of Art haben das Artwork gemacht. Das Alphatraz-Logo ist von Jordan Barlow, das Mastering machte Freio vom Big Easy Studio. Alles hat sich toll zusammengefügt und ich bin sehr dankbar für meine helfenden Hände.“ – Christoph Martin (Alphatraz)

All diese Aufgaben gehören zu einer gelingenden Veröffentlichung sicher dazu. Wenn man in einer Band mit mehreren Mitgliedern und einem engen Kreis aus Freunden und Familie einige dieser Aufgaben stemmen kann, ist das sicher glücklich, wird jedoch auch nicht alle Jahre wieder aufs Neue funktionieren, so dass einige Bands heutzutage die Mühen für erste Auskopplungen nicht scheuen, für weitere Veröffentlichungen nach ersten kleineren Erfolgen jedoch gerne auf Labels zurückgreifen, die einem in der Regel viele der oben genannten Anforderungen abnehmen oder vermitteln können.

„Wer denkt, dass es noch ausreicht, gute Songs zu schreiben, ist entweder in einer Zeit groß geworden, in der das noch genug war, oder hat wenig Erfahrung. […] Neben einer Vision, wo man die eigene Band in ein paar Jahren sieht, sind vor allem die Kontakte und das Netzwerk ausschlaggebend. […] Im Endeffekt habe ich im Laufe der Jahre gelernt, dass eine Band nichts anderes als eine kleine Firma ist, die auch ähnlich gemanaged wird.“ – Daniel Pfeiffer (POLEDANCE)

Ähnlich formuliert es Christoph Martin (Alphatraz): „Als Musiker muss man heutzutage Unternehmerfähigkeiten haben. Wenn du als Musiker erfolgreich sein willst, musst du dich vermarkten.“

Klar ist natürlich auch, je mehr Außenstehende ich engagieren muss, desto weniger bleibt mir am Ende von meinen Einnahmen. Auch hier bietet uns die Digitalisierung wieder einige Hilfe: via Tutorials, Webinaren oder Online-Fortbildungen, Zugriff auf Datenbanken, fleißiger Recherche usw. kann man sich heutzutage viele der Fähigkeiten autodidaktisch aneignen. Das ersetzt natürlich keine Ausbildung, es kann aber den eigenen Ansprüchen z.B. an Sound oder Corporate Design genügen, die rechtliche Stellung ausreichend absichern oder reichen, um die Gage zufriedenstellend auszuhandeln.

Gängigste Varianten um digital Reichweite zu kreieren sind im Jahr 2023 selbstverständlich vor allem die Social Media Plattformen. Über Instagram, Tik Tok und Facebook erreiche ich schnell meine Fans, kann Neuigkeiten (grundsätzlich) ohne Kosten verkünden, neue Songs anteasern, Live-Videos posten, Tickets bzw. im allgemeinen Shops verlinken usw. Allerdings zeigt sich auch hier eine klare Kehrseite: „Experten“ raten dazu, selbst bei einer Anzahl von etwa 1000 Followern ein bis zwei Posts pro Tag abzusetzen, bei etwa sechsstelligen Followerzahlen sollten es mindestens drei pro Tag sein. Das stresst, zumal die Erwartungshaltung bei Kommunikationen über diese Plattformen recht hoch sind. Das heißt, es kommen regelmäßig Verlinkungen, Mentions, Nachrichten, Anfragen usw., gekoppelt mit der Erwartung einer Reaktion. Social Media bleibt bei Künstlerinnen und Künstlern ein ambivalentes Thema. Da sind sich die von uns Befragten sehr einig:

„Ich finde es sehr belastend, dass man sich täglich Content aus den Fingern saugen muss, weil man sonst aus dem Algorithmus fliegt. […] Gleichzeitig ist es unumgänglich, wenn man seine Hörer:innenschaft ausbauen will.“ – Daniel (POLEDANCE)

„Generell sind wir eher abgeneigt von solchen Plattformen, aber verstehen auch, dass es leider nicht anders funktioniert. [Wir] investieren lieber unsere Zeit in Musik machen. Einen Service, den wir dagegen ganz toll und fair finden, ist Bandcamp.“ – Tom und Paul (Wrong Chat)

„Manchmal muss ich meine Tochter fragen. Ich habe sehr schnell gemerkt, wie wichtig diese Plattformen sind. Es ist doch toll, dass man Feedback bekommt und sich mit Menschen aus der ganzen Welt austauschen kann. Ohne diese Plattformen gäbe es das Projekt Alphatraz nicht.“ – Christoph (Alphatraz)

Von meiner Seite aus – als Nutzer oder Konsument – kann ich ergänzen, dass diese Entwicklung mir ebenfalls nicht ausschließlich Anlass zur großen Freude bringt, allerdings auch nicht dafür sorgt, dass ich mir irgendeine angeblich gute alte Zeit zurückwünsche. Ich freue mich über die Geschwindigkeit mit der ich Zugriff auf neue (und alte) Musik habe, die unkomplizierten Kommunikationswege, um mit Labels und Promo-Agenturen in den Austausch zu kommen. Allerdings vermisse ich tatsächlich im Allgemeinen die Wertschätzung für physische Tonträger und den noch aktiveren Austausch im direkten sozialen Kontakt z.B. bei Gesprächen am Vorhör-Tresen in Plattenläden. Es ist allerdings auch sehr wahrscheinlich, dass es ohne den technischen Fortschritt und die Digitalisierung den Wellenbrecherbereich gar nicht geben würde und das wäre ja nun wirklich sehr schade.

Bleibt aufmerksam, denn die netten Menschen, die hier bereits auszugsweise zitiert wurden, werden wir euch hier in Kürze etwas genauer vorstellen. Damit ihr schon mal reinhören könnt, hier ein paar direkte Links zur Musik von Alphatraz, POLEDANCE und Wrong Chat, die ihr allesamt beim bereits angesprochenen Dienst Bandcamp finden könnt und dazugehörige Video-Links. Weiter unten findet ihr noch zwei Quellen und Lese-Empfehlungen über dieses Thema.

Quellen und Empfehlungen zur Thematik:

Hviid, Morten; Jacques, Sabine; Izquierdo Sanchez, Sofia: Digitalisation and intermediaries in the Music Industry, CREATe Working Paper 2017/07

Holger Schwetter: Teilen – und dann? Kostenlose Musikdistribution, Selbstmanagement und Urheberrecht, Kassel: University Press, 2015