… when i grow up …

Flashback! Crossing all over …

Der Wellenbrecherbereich bereist die 90er jenseits von Snap und Culture Beat. Wir stellen immer wieder fest, dass das Jahrzehnt der Neunziger Jahre für uns vier alte Herren durchaus eine besondere Epoche ist, die uns auch musikalisch sehr prägte. Deshalb entstand zur zweiten Session des Podcasts diese Rückblende zur Würdigung einer besonderen Stilbildung aus diesen vergangenen Tagen.

Mein Kinderzimmer Mitte der 90er . Zwischen Kuscheltier und Aufbruch
Marco und Gerrit in ungewohnter Formation in einer früheren Wohngemeinschaft.

Als ich mir kürzlich in Vorbereitung auf unsere zweite Folge des Podcasts die CD „Explositive“ der mir bis dahin unbekannten österreichischen Band Kontrust anhörte, wurden sofort Erinnerungen an eine Zeit geweckt, die mich auch musikalisch sehr geprägt hat.

Als sich Mitte der Neunziger der Trend durchgesetzt hatte, genreübergreifend zu produzieren war das mehr als nur ein musikalischer Stilmix. Musik spielte zu dem Zeitpunkt eine große Rolle auch in Bezug auf die Identität der pubertierenden Egos von mir und meinem gesamten damaligen Umfeld. Nach den ersten Jahren gemeinsamer, rauschender Punkrock und Grunge-Erlebnisse, faserte sich das Umfeld allmählich auf. Einige zog es mehr und mehr zum Hip Hop, andere zum Drum and Bass, manche zum Metal, ein paar wenige bevorzugten die Charts und wieder andere blieben beim Punk oder entdeckten Oi, Ska oder Reggae und so weiter und so fort. Das wirkte sich natürlich auf die Abendgestaltung und Wochenendplanung aus, vor allem weil man in dem Alter bzw. zu diesem Zeitpunkt in Bezug auf den Musikgeschmack noch sehr unflexibel bis starrköpfig war. Eigentlich wusste jeder recht genau, was man sich für die „Credibility“ seines Umfelds für Ausflüge erlauben konnte und welche eher verpönt waren. Ich kann natürlich nur für mich sprechen, denke aber, dass ich nicht alleine damit bin: Der Musikgeschmack setzte sich damals viel zu stark aus Prinzipien zusammen. Wenn man sich dem alternativen Genre angeschlossen hat, dann hat man Rap oder elektronische Musik zu oft nur heimlich gehört, wenn es keiner mitbekam, und man hat zum Teil sogar andere für ihren Musikgeschmack diskreditiert. So trennten sich auch die Wege von Freunden und Bekannten, mit denen man an sich sehr gut auskam und das war bedauerlich.

Genau hier setzt meine oben erwähnte Erinnerung an. Der musikalische Hype des Crossovers konnte hier wenigstens etwas Abhilfe schaffen. Korrekterweise muss man sagen, dass der Begriff Crossover ja ursprünglich die Methode beschreibt, beliebige Musikstile zu kombinieren. Allerdings hat die Phase der Neunziger, in der munter Punkrock, Hardcore und Metal mit Hip Hop und / oder Techno und vielen weiteren Stilen gemixt wurde, den Begriff so geprägt, dass er einfach für dieses entstandene Genre übernommen wurde. Nachdem anfänglich – Wie beim legendären Soundtrack des Films „Judgement Night“ noch Bands zweier unterschiedlicher Richtungen kollaborierten, kamen später immer mehr konkrete Crossover-Bands auf die Bühne, die von vornherein verschiedene musikalische Aspekte kombinierten und damit über Jahre erfolgreich Tonträger verkaufen und touren konnten – wie z.B. die deutsche Band Such a Surge. Außerdem gab es natürlich bereits bestehende Bands, die gewisse Crossover-Elemente in ihr Repertoire übernahmen und so ebenfalls neue Fans erreichten – Faith No More wären so ein Beispiel. Crossover-Bands beherrschten zu der Zeit die Line-Ups vieler Festivals und hatten, aufgrund des szeneübergreifenden Anspruchs eine große Fan-Basis.

Gute Musik animiert zum Mitmischen! Alex testet die Deckenhöhe!

Für uns als Fans und Konsumenten bot diese Musik darüber hinaus die Möglichkeit, wieder mehr gemeinsame Partys, Konzerte oder Festivals zu besuchen, da die Schnittmenge sich durch diesen Stil enorm vergrößerte. Die Bremer Band Saprize zum Beispiel vereinte Teile der Skinhead-Attitüde mit einem musikalischen Hardcore und Rap Mix, teilweise gepaart mit einfachen Keyboard-Linien oder Samples aus weiteren Genres, ohne dabei albern zu wirken. Bei den oben bereits erwähnten Such a Surge kamen stellenweise Funk- und Jazzeinflüsse zum Tragen, zudem sangen sie nicht nur in deutscher Sprache, sondern auch auf Englisch oder Französisch.

Heutzutage kann ich sagen, dass der Einfluss doch offensichtlich sehr nachhaltig war, denn wenn ich mir meine bei Streaming-Diensten selbsterstellten Playlists ansehe, merke ich, dass ich diesen kruden Stilmix immer noch beibehalte. Aus diesem Grund ist meine meistgehörte Playlist mit „Kraut und Rüben“ betitelt und enthält KünstlerInnen aus verschiedensten musikalischen Bereichen.

Durften auf keiner Party fehlen: Die CROSSING all OVER Sampler, die von 1993 – 2006 regelmäßig als (Doppel-)CD erschienen. Insgesamt gab es 18 Ausgaben, die zunächst bei GUN-Records erschienen, später bei der BMG. Für weitere Infos, klickt auf das Bild, der Link führt euch zu der großartigen Seite samplerinfos.de

Rückblickend – nicht ganz frei von biographischem Einfluss – lässt sich der Crossover als Pubertät der alternativen Musikstile bezeichnen. Man weiß ungefähr wo man hin will, probiert auf diesem Weg aber verdammt viel aus, pöbelt laut herum, überschreitet ein paar Grenzen und hält sich für etwas ganz Großes, glaubt es gehe ewig so weiter und entwickelt erst allmählich eine Identität, in der man sich auf bestimmte Dinge besinnt, zulasten anderer Teile, die man über Bord wirft, oder die einfach in Vergessenheit geraten.

Dem einen gelang dieser Schritt dabei schneller als dem anderen. Während der deutsche Hip Hop zum Beispiel nach dem Crossover-Hype eine rasante Entwicklung zum nächsten Hype hinlegte, blieb der Deutschpunk noch lange in der Entwicklung stecken und blieb als Trotzkopf, der keine Entwicklung wollte noch lange zurück. So spielten noch bis weit in die 2000er Jahre auf Punk-Festivals die nahezu gleichen Bands auf, die schon in den frühen Neunzigern die Sampler beherrschten, obwohl auch in diesem Bereich immer wieder gute neue Formationen auftauchten, kam die Akzeptanz für diese erst stark verspätet.

Beim Hören des Albums „Explositive“ der Band Kontrust fühlte ich mich zeitweise stark in die Mitte der Neunziger zurückversetzt. Es kamen viele sehr diffuse Erinnerungen hervor. Z. B. musste ich an meinen alten CD-Player denken, der mir sehr viele Jahre treue Dienste leistete. Ich habe in dieser Phase nur noch sehr wenige Alben auf Vinyl gekauft, den überwiegenden Teil an Tonträgern habe ich zu jener Zeit auf CD gekauft. Ich erinnerte mich dabei an das Geräusch, welches beim Öffnen der Disc-Schublade ertönte. Außerdem musste ich an diese prägenden Cover denken: Grafisch jetzt voll auf Computer umgeschwenkt, Schriftzüge mit hässlichen, nicht selten kreischbunten Hintergründen und im Inneren in Schriftgröße 4 abgedruckte Texte zum Mitlesen. Außerdem Erinnerungen an Konzerte bei denen es irgendwie immer vor der Bühne sehr voll war, weiter hinten aber häufig viel Platz blieb. Holzfällerhemden, auf Ärmeln bedruckte Longsleeves und beim Springen verlorene Sneaker.

So viel sei also verraten: Das Album verpasste mir einen Flashback. Inwieweit es dann – etwas objektiver betrachtet – uns vom Wellenbrecherbereich auch musikalisch überzeugen konnte, könnt ihr in unser zweiten Folge hören (und zwar hier).

Move Ya!

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