Genuary Tipp 2/31: Leyla McCalla

von Alex

Aus der Rubrik „Expeditionen über den Tellerrand“ möchte ich euch heute die wunderbare Leyla McCalla vorstellen. Die 37-Jährige wurde als Tochter haitianischer Einwanderer in New York geboren und von Kindesbeinen an aktivistisch geprägt. Ihr Vater war bis 2006 der Geschäftsführer der National Coalition for Haitian Rights, ihre Mutter gründete eine  Menschenrechtsorganisation gegen häusliche Gewalt und ihr Opa, Ben Dupuy, betrieb die Haïti Progrès, eine sozialistisch-haitianische Zeitung mit Sitz in New York. Leyla selbst wuchs hauptsächlich auf der südlichen Seite der Bay – im nahegelegenen New Jersey – auf und ging dort zur High School. Als Teenager verbrachte sie zwei Jahre in der Ghanaischen Hauptstadt Accra.

Nach einem Jahr am Smith College ging es flugs weiter an die New York University, um dort Cello und Kammermusik zu studieren. 2010 wechselte sie ihren Wohnort und zog mit ihrer eigenen Familie in die jazzige Hochburg des Landes – ins Big Easy names New Orleans. Dort – vermehrt auf den Straßen des French Quarters – probierte sie musikalisch einiges aus. Zudem war sie ein erweiterter Teil der afroamerikanischen Stringband The Carolina Chocolate Drops (mit der nicht minder beeindruckenden Rhiannon Giddens). 2011 erhielt die Combo einen Grammy für das beste traditionelle Folkalbum des Jahres (Carolina Chocolate Drops and Luminescent Orchestrii).

Bis heute verbindet Leyla politischen Aktivismus und den Kampf gegen Ungleichheit und Rassismus mit ihrer geschichtsträchtigen Musik. In ihrem 2019 erschienenen Soloalbum Capitalist Blues – ihr bereits drittes und für mich eines der besten Alben des Jahres 2019 abseits des Rocks – ist der Name Programm. Textlich wird hier ohne viel Federlesens klar gemacht, was die talentierte Multiinstrumentalistin, die neben dem Cello u.a. auch Banjo und Gitarre spielt, von der Gier unserer westlichen Welt hält:

If a man has money today
People don’t care if he has coco peat??
He can commit murder
And get off free
Live in a governor’s company
But if you are poor
People tell you: Shu!
A dog is better than you

Die beißende Kritik ist gekonnt eingebettet in traditionelle und gleichzeitig moderne karibisch-kreolische Jazzklänge, zugedeckt mit einer Prise bluesiger Melancholie:

Mein persönliches Albumhighlight aber ist ein anderes: In der bleischweren Ballade Heavy As Lead geht es um die Sorgen einer Mutter, die mir ihrem Kind in den viel zitierten prekären Verhältnissen lebt, immer in Sorge, die Miete nicht zahlen zu können, immer in Habachtstellung, kaum Hoffnung aus eigener Kraft da rauszukommen:

This old house might swallow us whole
Begins with our family and soon it comes ‚round to our soul
We’re trying to grab ‚hold of what we can’t control
Always living here on the edge
And that little heart, so full and complete
Doesn’t worry ‚bout making ends meet
As the dust is settling on every street
I am filling up with dread
That’s got me feeling, feeling
Heavy as lead

Auch in ihrem neuesten Album – veröffentlicht im Mai 2022 – nimmt sich Leyla den Themen an, die oft im Verborgenen schlummern und mehr Gehör verdienen. Breaking The Thermometer To Hide The Fever behandelt die filmreife Geschichte des ersten privaten kreolischsprachigen Radiosenders in Haiti (Radio Haiti-Inter) und thematisiert damit auch eindrücklich die immensen Gefahren, denen sich die damals Beteiligten aussetzen mussten. Es geht um freie Meinungsäußerung, um Identität, um Standfestigkeit und Mut. Herausgekommen ist mehr als ein Stück Musik, das die Hörer*innen einfach mal „weg-konsumieren“. Vielmehr handelt es sich um eine vertonte, mit Musik gewürzte Dokumentation. In den Songs gibt es neben Leylas zerbrechlichen Melodien immer auch Interview-Ausschnitte der involvierten Personen zu hören. Was für eine tolle Idee!

Interessierte finden auf der eigens eingerichteten Website weitere Details zum Projekt (klicke hier).

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