Broilers – Puro Amor (2021)

Ich habe lange gewartet, einen Text zu diesem Album zu verfassen. Ein ganzes Jahr – Warum? Ich war nach dem ersten Hören ziemlich enttäuscht von der Platte. Das ist soweit nichts Ungewöhnliches. Je höher die Vorfreude, desto größer kann die Ernüchterung sein, wenn endlich eine neue Platte einer Band rotiert, die man lange erwartet hat und die man direkt nach der Ankündigung vorbestellte.

Sehr häufig muss man sich erstmal auf dem neuen Werk zurechtfinden. Mir gefällt das mittlerweile, weil es auch bedeutet, dass die Band eine Entwicklung durchläuft, dass sie nicht versucht ein ggf. erfolgreiches Vorgänger-Album zu kopieren, sondern für ihr neues Werk unter Umständen auch einige Änderungen vornimmt, dass sie neue Einflüsse einwirken lässt oder sogar einen ganz neuen Stil wählt.

Ein Stilbruch ist das neue Broilers-Album sicher nicht, aber es klingt in meinen Ohren schon anders als die Vorgänger bzw. setzt den Entwicklungstrend der letzten Platten fort. Und hier liegt der Grund, warum ich so lange mit dem Schreiben des Textes gewartet habe, ich habe mich bis jetzt nicht auf der neuen Platte der Düsseldorfer zurechtgefunden, ich finde einige Stücke oder Teile der Songs immer noch richtig grausam. Ich hatte einfach Angst, dass ich in meiner persönlichen Enttäuschung bei einer Rezension über diese Platte der Band und ihrer Absicht nicht gerecht werde. Ich habe mich dann erstmal ein wenig umgesehen und doch eine Menge sehr positive Statements und Rezensionen in (Online-) Magazinen gelesen bzw. in Podcasts oder Radioshows gehört und so fange ich auch mit zwei positiven Teilen an: erstens sind Cover und Artwork für mich eine glatte 1, zweitens sind Die Texte Sammy Amaras nach wie vor sehr gelungen. Ich mag es, dass die Broilers-Lieder sich erstens mit relevanten Themen beschäftigen, zweitens ein klares Statement enthalten und drittens trotzdem textlich nicht plump daherkommen, sondern weit überwiegend dazu animieren – teilweise dazu zwingen – zwischen den Zeilen zu lesen. Das hat mir beim vorab veröffentlichten Gib das Schiff nicht auf (siehe unten) bereits wieder gefallen und zeigt sich z. B. bei Dachbodenepisoden, Alles wird wieder OK oder Alice & Sarah sehr deutlich. Wenngleich es so ist, dass ich dabei inhaltlich gar nicht alle Aussagen der Songs teilen kann, das ist vor allem bei Diktatur der Lerchen und Nicht alles endet irgendwann der Fall.

Was mich insgesamt allerdings stört sind die Songstrukturen und die grundsätzliche Abmischung, die technisch zwar einwandfrei ist, aber offensichtlich mit der Prämisse, den Broilers etwas Härte zu nehmen, erfolgte. So denke ich, dass die gleichen Songs mit etwas weniger Kalkül und Akribie dafür mit mehr Instinkt musikalisch viel direkter, lauter und authentischer wären. Mir wirken viele Teile viel zu durchgeplant und sehr stark nachträglich aufgehübscht.

Auch die Ironie einiger musikalischer Passagen hat mich überhaupt nicht bekommen. Das betrifft das calypsomäßig mit Xylophonsounds angetüderte Lied Trink Mich Doch Schön und auch die in meinen Ohren billige und völlig unpassende Keyboardklimperei im Hintergrund bei An Allen Anderen Tagen Nicht.

Das Gesamtpaket klingt für mich nach dem Versuch, durch weniger harte Musik und mit auf Teufel komm raus aufs Mitsingen hingebogenen Refrains ein noch breiteres Publikum zu bedienen. Ich rege mich jetzt fast ein Jahr nach dem Erscheinen bei einigen Liedern immer noch über die zum Teil mit Schlagerschablone gezeichneten Pop-Rock-Songs wie Da Bricht Das Herz auf. An keiner nennenswerten Stelle wird hier auch nur ansatzweise über den Rand gemalt. Puro Amor bleibt für mich eine vertane Chance, die in der Bewertung dennoch nicht komplett durchrasselt, weil ich die Texte mag und sich am Ende dreieinhalb gute Songs finden lassen. Und weil ich die Band natürlich immer noch mag. Ja gut, dann hat mich die Platte halt nicht überzeugen können. Für den Einfluss auf junge und alte Menschen brauchen wir die klar platzierten Broilers auch weiterhin auf Festivals und in der Öffentlichkeit. Und wenn der Plan am Ende war, durch die unverfänglichere Musik mehr Radiozeit zu bekommen und damit mehr Leute mit den Statements zu erreichen, dann kann ich dem ganzen am Ende noch etwas Gutes abgewinnen. Und möchte somit dann schließen mit einem gelungenen Lied der Platte, die von mir trotzdem leider nur vier von zehn Wellenbrechern bekommt.

Fin The Chaef – Spaß war gestern (2020)

von Alex

Wir sind F T C – Fin The Chaef, Motherfucker! rappt Frontmann Vincent uns im gleichnamigen Song voller Überzeugung entgegen, als wäre es nie anders gewesen. Und selbst wenn der eigentümliche Bandname der Kieler Jungs – augenzwinkernde Hommage an einen ehemaligen Bewerber um den Job des Bassisten – schon lange existent ist, so musste die Band im Laufe ihres elfjährigen Bestehens bereits vermehrte Fluktuation an den Instrumenten und auch am Mic verkraften. Mit dem Aussteigen von Sänger Firat, der mit zwei Features auch auf dem Album dabei ist, wurde gar von ehemals englischen zu deutschen Texten gewechselt. Es war also durchaus ein beschwerlicher Weg, der einer Sackgasse gefährlich nahe kam, bis zum ersten Long Player Spaß war gestern. Oder mit den Worten von Fin The Chaef: Kommt, wir nehmen euch mit auf den Trip!

Schon zu Beginn des Albums wird klar, was uns die Chefköche von der Waterkant hier als Appetizer auftischen: Im 2:40 Minuten kurzen Opener Das Es bricht sich ein Gitarrenriff bahn, das indirekt an den Schriftsteller John Steinbeck erinnern lässt. Wie das? Früchte des Zorns, der Farmer Tom Joad, Bruce Springsteen Song, Rage Against the Machine Cover. Punkt.
Direkt nach dem Ghost of Tom Morello Kopfnicker Downbeat manifestieren sich Uptempo Punkchords und kicken den Song schwungvoll in eine neue Richtung. Appetitlich angerichteter Nu Metal Punk, garniert mit Vincents düsterem Rap (jetzt regiert das Es mein Leib und es bleibt. Ich treib die bösen Geister aus’m Wald und es wird kalt), macht Hunger auf mehr!

Und da wir schon bei denTexten sind: Im nächsten Titel Lass es Asche regnen – meiner Hassliebe des Albums – schlüpft der Sänger in die Rolle des ignoranten Wohlstandseuropäers, der sich gewaltig langweilt, während unsere Welt in Flammen steht:

Ja, ich lebe in Deutschland und das ist das Problem.
Ich habe keinen Hunger, denn ich lebe bequem. […]

Meine Hobbies sind lesen, Fahrrad fahren und wichsen.
Ab und zu geh ich auch schwimm’n, wandern oder fixen – ähh flixen… Netflix natürlich…

Der verschleppte, synkopierte Schlagzeugbeat, dessen Hi-Hat-Zählzeiten bewusst den akzentuierten Sprechgesang deckeln, ist ein absolut gelungener Aha-Effekt. Im Pre-Chorus und Chorus wird es dann textlich und musikalisch deutlich ernster und härter, wenn das Resultat des westlichen Lebensstils offengelegt wird. Stimmlich unterstützt wird Vincent dabei von Chiara Tahnee Lütje, die 2017 bei The Voice of Germany im Team Samu dabei war und die Sängerin der Hardrock-Combo Pay Pandora ist.

das Thema des „Brennens“ zieht sich als glühendroter Faden durch das ganze Album (siehe auch das Cover)


An dieser Stelle kommen wir zu meiner erwähnten Hassliebe: Ich mag den Song, ich mag die Message, ich mag Chiaras Stimme und das Fight Club Final Scene Bildnis (Hand in Hand steh‘n wir vor den Flammen…). Sobald Chiara und Vincent sich über die verzerrten Gitarren hinweg voller Inbrunst anschreien (die Stadt fackelt ab! / Brenn!), bin ich selbst Feuer und Flamme. Aber die Melodie des Refrains ist für mich zu sehr ins seichte Wasser gefahren. Dass die mit Abstand radiotauglichste Hook des ganzen Albums ausgerechnet im Duett mit der extrem talentierten Chiara daherkommt, wird mit Blick auf ihre gesangliche Reichweite beabsichtigt sein, vermiest mir aber ein stückweit das erfrischend rohe Gesamtarrangement.

So hatten andere Songs die Gelegenheit sich in den Vordergrund zu drängen. Schlechter Tag zum Beispiel weist ein brutal tightes Flaw/Chevelle ähnliches Distortion Riff auf und ich seh mich unvermittelt im feuchtschwülen Moshpit auf die Fresse kriegen. Wann sind die Jungs auf Tour? Später. Im Refrain wird es wieder punkiger, die Strophen überzeugen dank des prägnanten Bassgitarren-Schlagzeug-Floors und mitreißenden Textzeilen. Und höre ich da am Ende nicht wieder Chiara?

In Schau sie an mit Ex-Sänger Firat marschieren durch die Kopfhörer Soldaten im Vierviertel-Stiefeltakt, der sich übergangslos zu einem Rammstein-ähnlichen Groove entwickelt. Die Nummer behandelt blinden Gehorsam sowie Denunziantentum des „besorgten Bürgers“. Zumindest ist das meine Interpretation. Der Text ist eindeutig mehrdeutig. Am Ende dann wird die Band im wohl härtesten Part des Albums nochmal richtig sauer. Das schockt. Das schüttelt.

Auch die Nummern Systemirrelevant und der Hypochonder rocken vorwärts und überzeugen mit cleveren Texten. Wie die Titel vermuten lassen, geht es bei den Kielern zumeist gesellschafts- und kapitalismuskritisch zu. Das funktioniert in der Muttersprache zumeist authentischer.

Und dann ist da noch der eingangs erwähnte selftitled Song: Party on mit FTC. Im Intro hören wir nur einen donnernden Tomrhythmus, der ein wenig an den Anfang vom Schunder-Song der Ärzte erinnert. So oder so – immer mitten in die Fresse rein gibt es in beiden Songs:

Fazit:
In meiner jüngeren Vergangenheit kam mir zwar vermehrt deutschsprachiger Metalcore auf die Plattenteller, aber das Fin The Cheaf Potpourri war noch Neuland für meine Ohren. Der Wechsel hin zur deutschen Sprache geht jedenfalls absolut auf. Die fünf Küstenkinder haben mit Spaß war gestern ein bemerkenswertes Debüt-Menü gekocht. Hinzukommt, dass die Scheibe vom Gitarristen Malte über sein eigenes Homestudio Fördeton gemixt und gemastert wurde. Hut ab! Über Kopfhörer drückt die Platte so richtig.
Die elf Songs, meistens zwischen 3 ½ und 4 ½ Minuten lang, fließen musikalisch irgendwo zwischen Downset und Body Count – Crossover mit Punkvibes – und Wut. Dazu Frontmann Vincent, der genretreu rappt und schreit, als gäbe es kein morgen.

Aufgrund kleinerer Atempausen, die dem Schöpfungspeak Raum zum Wirken lassen, vergebe ich verdiente 7,5/10 Wellenbrechern. Spaß ist heute!

Stellt sich abschließend also nur die Frage, wann und wo Fin The Chaef auf Tour sind, denn dieses Album – und übrigens auch ihre neue Single Lottoleben – wollen dringend auf die Bühne:

29.10.2022 in Heide (Location: Plan B)
05.11.2022 in Kiel (Medusa)
12.11.2022 in Itzehoe (Haus der Jugend)

Festivals:
20.05.2022 – Punkrockfest mit Marathonmann und Dysfunction in Kiel (Roter Salon, die Pumpe)
14.-16.07.2022 – Blizarrrd Festival u.a. mit Jinjer, Emil Bills, Die Happy… in Bornhöved

Instagram: Fin The Chaef
Website: Fin The Chaef
youtube: Fin The Chaef
Streaming: Fin The Chaef

Schließen möchte ich mit dem sehr coolen, weil extrem sympathischen und selbstironischen Video zu Lachend in den Untergang – auch auf dem Album zu hören:

„Ich hab vor 20 Jahren mal die Landsknechttrommel im Spielmannszug gespielt!“ Herrlich! 🙂

Oxo 86 – Dabei Sein Ist Alles (2022)

von Felix

Vor Kurzem verfasste ich eine Rezension zu dem neuen Sondaschule Album Unbesiegbar (hier nachlesen). In der Rezension erwähnte ich bereits, dass ich durch die Neuerscheinung der Sondaschule und durch ein weiteres Album wieder etwas zum Ska-Punk zurückfand. Das zweite Album, auf welches ich mich da bezog, ist eben die neue Platte der Dauerbrenner von Oxo 86.

Nach fast vier Jahren bringen die Bernauer / Berliner mit ihrer neuen Platte 13 neue Songs unter die Musikmenschen, die den Weg der bisherigen Oxo – Veröffentlichungen recht konsequent fortsetzen. Das heißt, auch hier gibt es die gewohnte Mischung aus Ska und Punk, wobei man nach wie vor eher ein entweder / oder vorfindet – also zumeist klar getrennte Ska Parts überwiegend ohne verzerrte Gitarren, aber mit Trompete. Oder schnellere punkrockigere Parts ohne Bläser.

Doch jetzt mal zu den wichtigsten Dingen: Die immer schon charakteristische Stimme von King Willi – Wilfried Köhn passt mit den Jahren immer besser zur Musik. Wieder ein Stück rauer, wieder etwas kehliger – manchmal klingt sie sogar so, als ob es für ihn sehr anstrengend sein müsste, in dieser Stimme ein ganzes Konzert durchzuhalten. Ich hoffe, dass es nur so klingt, ich finde das unglaublich geil. Diese Stimme ist eine unverkennbare Visitenkarte und die Texte werden durch sie nochmal doppelt unterstrichen. Denn auch auf diesem Album findet man eine handvoll Themen, die behandelt werden. Der Fokus jedoch bleibt auf einem Anklagen sozialer Verhältnisse und dazu auf Berichten aus dem Leben aus verschiedenen Perspektiven.

Legen Oxo 86 den Finger in die Wunde beim Aufzeigen der Kehrseiten des bürgerlichen Lebens, dann klingen sie so authentisch, wie es viele andere Bands gerne wären. Die Tracks Nimm Mich Mit und Irgendwann sind hervorragende Beispiele dafür:

Die weiteren Texte weisen ein ebenfalls gewohntes Augenzwinkern auf oder sind direkt humorig verpackt. Der Titel Konsum hat in den letzten Wochen ja wieder an Aktualität gewonnen (Im Konsum gibt es Klopapier – auf die Plätze, fertig, los … ) und beim Streckentest geht es um eine alkoholbedingte Bahn-Odyssee durch die City. Da dürfte jeder so seine Anekdoten zu beisteuern können.

Kommen wir zu meinen Highlights, die mir neben durchweg soliden Titeln vom ersten Hören an im Kopf blieben und die seit Erscheinen der Platte Dauerbrenner in meinen Playlists sind. Bemerkenswert: Ausgerechnet die Akustikballade Kein Thema Mehr eroberte meine Gunst im Handumdrehen, weil auch dort einfach diese Stimme so gnadenlos gut eingesetzt wird, um den Umgang mit Liebeskummer, um den es in diesem Text geht, nachvollziehbar werden zu lassen. Es hat bei mir nur eine Zeile gedauert und ich war voll im Lied (Inge, komm, mach‘ mir noch ein‘ – vielleicht tut’s dann nicht mehr weh):

Um an meine Eröffnung anzuknüpfen: Ich habe vor allem einen Titel sehr ins Herz geschlossen, nämlich den Opener Manchmal. Für mich ist dieser Track musikalisch der beste Titel auf der Platte und hat einen Text zu bieten, der wunderbar die Ambivalenz von guten und miesen Zeiten zusammenfasst. Bei allen Höhen und Tiefen, die einem persönlich so widerfahren können, bleibt letztlich nichts anderes übrig, als achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen manchmal ist es so im Leben.

Vielleicht muss man noch erwähnen, dass auch wieder biertaugliche Mitgröl-Songs im Gepäck sind, die vermutlich auch auf Konzerten zurecht ihren Platz bekommen. Hier wären insbesondere Heute Nacht und Doswidanja zu nennen.

Insgesamt muss ich bei meiner abschließenden Bewertung ergänzen, dass sich hier wieder mal zeigt: Musik muss nicht immer hochklassig gespielt und gesungen werden, um im Gedächtnis zu bleiben. Die neue Platte von Oxo 86 hat einfach voll meinen Nerv getroffen und bekommt dadurch am Ende äußerst starke 8 von 10 Wellenbrecher.

Im Hoffen auf zukünftig weniger Ups & Downs und mehr geile Zeiten mit Rückenwind als harte Zeiten mit Gegenwind kommt hier also zum Abschluss das aus meiner Sicht beste Stück einer ohnehin guten Platte:

Sondaschule – Unbesiegbar (2022)

Im Februar erschien das elfte Studioalbum der Ska-Punk-Kombo aus Oberhausen. Mit Unbesiegbar meldet sich die Sondaschule durchaus eindrucksvoll zurück. Das Rad wird hier nicht neu erfunden, ich möchte auch keine langen Vergleiche mit den früheren Alben ziehen, sondern mich mit dieser Kritik einfach mal voll und ganz auf die neue Platte fokussieren.

Insgesamt betrachtet kann man sagen, dass man ein durchaus modernes Ska-Punk-Album hört, auf welchem sich die Band phasenweise auch anderer Stile bedient. Aber dazu später mehr.

Nach einem kurzen Intro folgt mit Gute Zeiten gleich ein richtig starker Opener, der mit viel Druck in den Bläser-Parts und hoffnungsvollem Text direkt zum Start eine absolut positive Duftmarke abgibt und der in dieser Form sicher auch hervorragend als Eröffnung für künftige Konzerte geeignet ist.

Lasst uns ein paar Pferde stehlen und Richtung Zukunft reiten, Die Welt gehört uns, jetzt kommen die guten Zeiten

Songs von diesem Kaliber finden sich zum Glück noch einige mehr. Ich verspreche mir selbst folgt direkt dem ersten Titel und kombiniert wunderbar abgestimmt einen stampfenden (aus meiner Sicht auf diesem Album besten) Ska-Part mit melodiösem Punkrock. Ähnlich sieht es bei den Titeln Beverly Hills und vertrauen, vertrauen, vertrauen aus.

Hast Du vielleicht gefällt mir ebenfalls aufgrund des positiven Ansatzes im Text, in dem es darum geht, dass zwar gerade alles zu Grunde geht, aber man sich trotzdem bzw. genau deshalb auch gelegentlich die Zeit nehmen muss, um mit lieben Menschen gute Sachen zu erleben. Dieser Track kommt außerdem mit einem fast schon Metal-Punk-tauglichen Gitarrensolo daher. Das ist bei einer Sondaschule-Platte soweit auch alles keine große Überraschung.

Was befindet sich also noch auf dem Album? Zusammengefasst: ein paar ruhigere Tracks dürfen natürlich nicht fehlen, was auch nicht weiter überrascht, aber dazu befinden sich noch einige musikalisch zeitgeistige Kompositionen auf Unbesiegbar. Dass also Grundsätze des Hip Hops oder keyboardunterstützte Fun-Pop-Elemente à la 257er integriert sind, ist durchaus überraschend, aber hier recht häufig anzutreffen: Dies ist z.B. in der ersten Strophe von Merkst Du nicht?! Oder auch in den Strophen bei Liebe für die Freaks – einem weiteren persönlichen Lieblingssong von mir – der Fall. Wirklich ein schöner Text, der herrlich ironisch betont, wer eigentlich mittlerweile schon alles so als Freak durchgeht: Du pennst auf Festivals im Zelt:

Dieses Muster setzt sich bei Songs wie Keine Zeit, Morgens um halb vier oder Was ich am liebsten mach weiter fort. Bei all diesen Liedern gibt es in der einen oder anderen Strophe eher poppige Passagen, die aber immer wieder durch überzeugende rockige Teile aufgefangen werden. Außer bei dem Titeltrack Unbesiegbar. So ist ausgerechnet der Titeltrack für meine Ohren eigentlich der schwächste Titel, hier kommt kein Turnaround, hier bleibt es schwer poppig.

Gerade für die eben genannten Lieder muss auch noch erwähnt werden, dass die Texte durchweg humorvoll verfasst sind, auch wenn sie eigentlich unlustige bis nervtötende Themen wie Flatearther und entgrenztem Konsum behandeln. Sofern man kein Punk-Purist ist, tragen die Texte definitiv dazu bei, dass auch diese Lieder gut hörbar bleiben:

Auch mein neues Klo hat vierundzwanzig Karat und in ca. achtzig Jahren ist das alles abbezahlt.

Die ruhigeren Titel wie Zwischen Ampeln und Laternen oder Bevor ich irgendwann mal geh‘ kommen solide daher. Sie wirken weder unpassend aufgesetzt noch zu rührselig, so dass auch hier festgehalten werden kann, dass sich diese Stücke ebenfalls gut ins gesamte Album einfügen, das mit 14 Titeln eine angenehme Länge vorweist, eine grundsätzlich durchdachte, aber auch nicht ganz so wichtige Dramaturgie innehat und von mir insgesamt als wirklich gutes Album eingestuft wird. Da ich vom Hören mehrfach Ohrwürmer bekam, die ich durch erneutes Hören zu bekämpfen versuchte, hat sich Sondaschule hier noch einen halben Wellenbrecher dazu verdient und kommt letztlich auf siebeneinhalb von zehn Wellenbrechern!

Ich gratuliere der Band zu dieser Platte, auch weil ich persönlich in den letzten Jahren vergleichsweise sehr wenig Ska und Ska-Punk gehört habe und durch diese Platte und eine weitere kürzlich erschienene (in Kürze mehr dazu hier im Blog) wieder voll Bock drauf habe. Das muss man auch erstmal so hinbekommen. Hut ab! Ich hoffe jetzt noch auf ein Sondaschule Konzert in 2022.

Mark Lanegan – Straight Songs of Sorrow (2020)

Eigentlich wollte ich im letzten Jahr ein Now Playing geschrieben haben. Und zwar zum 25-jährigen Jubiläum des kommerziell erfolgreichsten Albums einer der ersten amerikanischen Grunge-Bands. Die Screaming Trees um Sänger Mark Lanegan veröffentlichten mit Dust im Jahr 1996 ihr bereits siebtes und – im Nachhinein betrachtet vorletztes – Album. Doch es kam immer was dazwischen, es verblieb beim Wunsch.

Dann wollte ich stattdessen unbedingt ein Now Playing schreiben zum neuesten Solowerk Lanegans, der übrigens mit seinem vibrierenden Bariton nicht nur für die Trees sang, sondern Anfang der 2000er auch für die Queens of the stone age. Auch das habe ich immer wieder verschoben.

Nun, nach Lanegans Tod am 22. Februar, gibt es keine Ausreden mehr. Also kramte ich meine handgeschriebenen Notizen zur Platte hervor, um meine Gedanken aufzufrischen und endlich mit euch zu teilen.  Doch bevor es losgeht, ein paar grundsätzliche Worte zum Künstler.

Der Poet unter dem Radar
Im Jahre 1990 – nach dem vierten Album der Screaming Trees  – brachte Lanegan sein erstes Solo-Album auf den Markt: The Winding Sheet. Elf weitere Alben sollten folgen. Und wann immer Lanegan den Stift zur Hand nahm, um zu schreiben, kamen befreundete Musiker herbeigeeilt, um ein Teil der Kreativität zu werden. Auf dem Debüt beispielsweise sind Kurt Cobain und Krist Novoselic zu hören (Letzterer nur per Bass in Where did you sleep last night). Aber auch Namen wie Nick Cave, Jack Irons, Josh Homme, Mike Johnson und Duff McKagan trugen sich im Laufe der Zeit als Komponisten und/oder Studiomusiker in seine Diskographie mit ein. Und auch auf dem neuen Album wurde eifrig kooperiert.

Düstere Autobiographie
Beginnen wir aber mit Lanegans Steckenpferd, den Texten. So war er – wie auch seine Kollegen aus dem Seattle der 90er Jahre – kein Freund lebensbejahender, frohlockender Lyrik. Es gab ja keinen Grund. In seiner Biographie mit dem bezeichnenden Titel Sing Backwards and Weep, die ganz kurz vor dem heute besprochenen Album erschien, berichtet Lanegan auch von seiner Kindheit. Seine Mutter habe ihn misshandelt, sein Vater war ein extremer Trinker. Mit zwölf sei er selbst schon Alkoholiker gewesen, zudem spielsüchtig und ein Dieb. Zu seinen Vorstrafen als 18-Jähriger zählten Einbruch, Ladendiebstahl, Drogenbesitz, Vandalismus, Versicherungsbetrug und 26 Fälle von Alkoholkonsum bei Minderjährigen. Die Alkoholsucht versuchte er mit Heroinkonsum zu egalisieren bzw. regulieren. Lanegan zynisch: „Heroin kept me from dying from the horrors of my severe alcoholism.“ Ein schweres Leben wortwörtlich von Geburt an.

Zudem machte sich Lanegan bis zuletzt große Vorwürfe, weil er an einem verhängnisvollen Tag im April 1994 den Anruf eines sehr guten Freundes bewusst nicht entgegennahm. Der Freund war Kurt Cobain. Der Tag im April war der 5.

Dank der Hilfe einiger befreundeter MusikerInnen wie dem schon erwähnten Duff McKagan und Coutney Love, bekam Lanegan irgendwie die Kurve. Zuletzt war er clean – über ein Jahrzehnt lang. Und während er sich in seinem Buch den Frust von der Seele schrieb, passiert das gleiche auf Straight Songs of Sorrow.

Die Texte auf dem Album
Schon im Opener I wouldn‘t want to say klingt sein Kampf gegen die Alkoholsucht in Passagen wie: Everything I ever had is on ice. All those who tried to help me scattered like mice an. Überhaupt hat der Poet unter dem Radar gleich zu Beginn sehr viel zu sagen: Er arbeitet sich wortreich durch seine Vergangenheit – gebetsmühlenartig unterbrochen von einem schmerzlichem I wouldn‘t want to say

Der Albumtitel ist, wie zu erwarten, mehr als Programm und so sind die Texte randvoll von Leid, Trauer, Ablehnung und empfundener Minderwertigkeit. Selbst in Songs, die vermeintlich harmlos daherkommen, wenn im Refrain von Internal hourglass discussion gesungen wird: All on this beautiful day, scheint es hinter dem Offensichtlichen um das Verglühen eines Grunge-Dinosauriers zu gehen.

A burst of blackbirds in the sky
All of a sudden this beautiful day
Far past the zenith of my high
Has given me the will to change
But I’m so tired, I’m wide awake

A pedestrian’s dying cry
Piercing the air on this beautiful day
Hit by a taxi driving by
And taking my resolve to school
Staring at the street where the blood has pooled

All on this beautiful day

Und die Musik?
Malen die dunklen Texte ein bizarres, francis-bacon-eskes Fratzen-Gemälde mit gedeckten Farben, so passt der akustische Bilderrahmen aus Elektro Dark Folk, akzentuiert durch Piano und Streicher, perfekt. Mit treibenden Gitarrenriffs hat das allerdings rein gar nichts zu tun. Und wer den Künstler über die letzten Jahre verfolgt und in Alben wie Gargoyle (2017) oder Somebody‘s knocking (2019) reingehört hat, wird das sicherlich auch nicht erwartet haben. Fast würde ich so weit gehen zu behaupten, wir hören hier ein von Lanegan eingesprochenes/eingesungenes Hörbuch mit puristischer, atmosphärischer Untermalung, aber das würde den Arrangements nicht gerecht werden.

Denn diese sind wieder von befreundeten Musikern – wie eingangs erwähnt – mit komponiert worden. Apples from a tree beispielsweise, eine tränenreiche Akustikballade, dessen Herzschmerzkonzentration an den späten Johnny Cash erinnert, schrieb Lanegan gemeinsam mit Lamb of God Gitarrist Mark Morton. Kaum begonnen, schon wieder vorbei. 1:54 Minuten. Good night, my love, good night!

Ein Highlight des Albums stellt weiter das Duett mit seiner Frau Shelley Brien da. Im Cave-Minogue- oder vielleicht noch passender: im Richie-Ross-Gewand keimt in This game of love erstmals so etwas wie versöhnliche Vergebung auf und man möchte den Texter einfach freundschaftlich in den Arm nehmen.

Auch hat mir die Nummer Bleed all over sehr gut gefallen, deren beinahe euphorische Melodie immerhin musikalisch zum Durcharmen einlädt – yeah! -, bevor der Hörer metaphorisch nach einem kurzen Spaziergang im sonnendurchfluteten Park wieder durch den nächsten dunklen, nach Urin stinkenden Tunnel kriecht.

Fazit:
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung erschien mir Straight Songs of Sorrow wie die letzte Sitzung einer erfolgreich beendeten Selbsttherapie. Nach Lanegans Tod wirkt es auf mich plötzlich anders. Und zwar wie das dunkle Vermächtnis eines oft missverstandenen, unterschätzten und gebrochenen Mannes, der seine schmerzlichen Erfahrungen teilt, bis es wehtut: Sing backwards and weep eben. Eindrucksvoll geglückt in der ersten Hälfe, mit einigen Lückenfüllern bestückt in der zweiten. 6,5/10 Wellenbrechern