Genuary Tipp 30/31 2022

Marisa Missy Dabice und Kaleen Reading von Mannequin Pussy

Volle Ladung Live-Musik gefällig? Mitten in unsere Luxus-Problem-Wunde der großen Konzert-Vermissung? Mannequin Pussy spielten im vergangenen Oktober eine Show in ihrer Heimatstadt Philadelphia, die auf Video aufgenommen wurde und akustisch sehr stark abgemischt auf YouTube zu finden ist.

Sängerinnen und Sänger stehen natürlich schnell im Mittelpunkt einer Band und – klar, auch bei Konzerten voll im Fokus. Mannequin Pussy vereint neben der energiegeladenen Frontfrau Marisa aber mit der großartigen Schlagzeugerin Kaleen und dem Bassisten Colins Regisford (der beim letzten Song im unten verlinkten Video auch als Sänger richtig einen raushaut) gleich drei Sympathieträger, die für mich eine Positivität und Power mit auf die Bühne bringen, so dass man sie schnell ins Herz schließt, obwohl viele Lieder eigentlich wütende Texte und Inhalte transportieren. Nebenbei, der Auftritt erfolgte kurz nachdem ihr Van in Ohio mit dem gesamten Equipment gestohlen wurde, so dass auch dieses Konzert nur mit geliehenen Instrumenten gespielt wurde.

Mannequin Pussy haben bereits drei Studioalben veröffentlicht. Irgendwo zwischen Indie, Punk und Grunge haben sie sich im Jahr 2021 – mittlerweile bei Epitaph Records – in mein Herz gespielt. Leider finde ich, das die Studioversionen nicht immer die gleiche Energie mitbringen, wie das was Mannequin Pussy bei ihren Liveshows raushauen. Und trotzdem bleibt diese Band für mich eine absolute Empfehlung. Ich lege allen Festivalmenschen hier eine Band ans Herz, die mit Herz, Hirn und Humor richtig geile Bretter aufs Parkett haut. Und weil das so ist, gibt es heute nur ein Live-Video, das ist dafür aber einfach verdammt gut.

https://www.instagram.com/mannequinpussy/

Genuary Tipp 29/31 2022

Die Dorks mit Lizal Dork aus Marktl am Inn, Bayern

Website
Instagram
Musik

Unser Interview mit Lizal findet ihr überall, wo es Podcasts gibt und hier auf dem Blog.

Die Entwicklung dieser Band ist schon erstaunlich. Über sieben Alben hinweg vollzog sich langsam, aber stetig die Metamorphose vom – mit Verlaub – musikalisch überschaubaren Spaßpunk hin zum ernsthaften Metalpunk mit politischen und gesellschaftskritischen Texten. Die Maschine von morgen erschien am 30. April 2021 bei Coretex Records und der Titelsong klingt so:

Hauptverantwortlich für diesen Wandel dürfte Sängerin, Texterin und Gitarristin – kurz Frontfrau – Lizal Dork sein: Damals über Abgefuckt liebt Dich Mitmusizierende suchend und seither voller Leidenschaft den Ton angebend.

Ihre Begeisterung für Musik, so berichtet Lizal in einem Interview, entflammte bereits in Grundschultagen, als sie Anfang der 90er zum ersten Mal Barcelona hörte – das epische Duett Freddy Mercurys mit Montserrat Caballé. Schon sehr früh begann sie ein Instrument zu lernen, erst Keyboard, dann etwas später Gitarre. Über einen gewonnenen Talentwettbewerb rutschte Lizal in die Welt des Schlagers. Ein paar Songs wurden aufgenommen und ein Fernsehauftritt beim Grand Prix der Volksmusik folgte.

Doch je älter Lizal wurde, desto deutlicher erkannte sie die sexistische, scheinheilige und gleichförmige Welt hinter dem Schlager – willkommen im #Genuary. Zwar gibt es im Pop wie im Schlager deutlich mehr Musikerinnen, als in anderen Genres, aber ob diese wirklich als Künstlerinnen oder eher als singende „Männerträume“ wahrgenommen und vermarket werden, sei dahingestellt. Auch im Rock muss man diese Frage übrigens – zumindest teilweise – stellen. Da sind wir wieder vor der eigenen Haustür: #punktoo

Lizal jedenfalls kehrte der unechten Schlager-Welt den Rücken und ging, nein, lief schnurstracks in eine andere Richtung. Eine damalige Klassenkameradin brannte ihr den „heißen Scheiß“ des Punks und Metals der Neunziger und so kam sie mit Bands wie Iron Maiden und WIZO in Berührung. An dieser Stelle wärmstens zu empfehlen die herrlich selbstironische, dorkische Coverversion eines Maiden Klassikers – 4 of the Dork…  

auch andere Cover-Versionen wie „Dispo Pogo“ oder „Weil ich’n Assi bin“ sind äußerst kreativ umgesetzt

Seit dem aktuellen Album sind die Dorks nur noch zu dritt: Lizal schreibt weiterhin die Musik und Texte, der neue Basser Mark von Elend arrangiert fleißig mit und Drummer Bons setzt um, was komponiert wurde. Eine Arbeitsteilung, die absolut aufgeht. Die Maschine von morgen – als Doppel-Vinyl mit giftgrünen Platten – bescheinigt der Band mit knapp 70 Minuten Spielzeit auf 13 Songs eine gewisse metal-ige Spielfreude. Punkchords treffen auf Metaltiefe und Gitarrensoli. Dazu Texte, bei denen ich vielfach dachte: Jo, recht hat se! Die Songs packen, musikalisch wie textlich. Lieblingsnummer? Eigentlich zwei: Ob ich morgen noch so bin ist inhaltlich sehr enrsthaft und beschreibt die fragile Funktionalität unseres moralischen Kompasses im dunklen gestern, im heute – und im morgen. Und, als krasser Gegenpart dazu, Jobcenter – mit Gerre von Tankard. Thematisch erinnert die Nummer an AC/DC’s It’s a long way to the top if you wanna Rock n Roll.- und musikalisch irgendwie an Judas Priest, oder Lizal? 🙂 Einfach ehrlich, einfach herrlich:

Genuary Tipp 28/31 2022

Erja Lyytinen aus Kuopio, Finnland

Musikalische Expeditionen über den Tellerrand inbegriffen“ heißt es bei uns im Wellenbrecherbereich. Und mit der Gitarristin Erja Lyytinen ist das heute absolut gegeben. Denn bevorzugt in musikalischen Gefilden, die ich nicht mein Zuhause nenne, finde ich es als „worlds okayest Guitar Player“ extrem spannend, Techniken bei den wirklich talentierten Kolleg*Innen  abzugucken oder die Art zu spielen zu bestaunen. Lyytinen ist begnadet im Umgang mit dem Bottleneck und kombiniert in ihrem Songwriting spielend leicht Blues, Jazz und Funk mit ohrwurmigen Popelementen. Ja, und dass ich ein Fan von wohl platzierten Gitarrensoli bin, ist wohl auch kein Geheimnis mehr:

Die 45-jährige ist schon seit Dekaden aktiv, mir aber lange verborgen geblieben (Stichwort Leben in der Blase). Nachdem vor genau zwanzig Jahren gemeinsam mit der Band Dave’s Special das Album Attention! erschien, dauerte es keine zwölf Monate bis zu ihrem eigenen Solo-Debüt Wildflower.

Sprung ins Jetzt: In Corona Zeiten erging es ihr wie vielen (wenn nicht allen?) Musiker*Innen: Sie fühlte sich isoliert – wie ein Fisch auf dem Trockenen. Untätigkeit und Selbstmitleid kamen aber nicht in Frage – ganz im Gegenteil – und so entstand im ersten Lockdown 2020 ein Livekonzert ohne Publikum, zusammengefasst als Lockdown Live 2020. Was die Gitarristin mit ihrer Band hier abliefert, ist nichts anderes als ganz großes Kino und zementiert ihren Platz in der Weltspitze – auf der Liste der “Top 10 Best Players Right Now“ (herausgegeben vom Fachmagazin Total Guitar) rangiert sie auf Platz 2 hinter Nita Strauss von Alice Cooper.

Wer also mal aus dem Hardcore Metal Punk Grunge Suppenteller ausbrechen möchte, dem sei Erja Lyytinen aller wärmstens ans Herz gelegt. Sie beißt auch nicht, versprochen!

Instagram: Erja Lyytinen
Ihre Musik gibt es hier – Songs auf Finnisch sind auch mit dabei.

Genuary Tipp 27/31 2022

Julie Edwards und Lindsey Troy aka Deap Vally

Vor zehn Jahren erschien die erste Single End of the World der Band Deap Vally. Julie Edwards singt und spielt Gitarre, Lindsey Troy trommelt. Die Single und das dazugehörige Video dürften auch ihr meistgeklickter Song sein und markiert den Start für eine sehr fleißige amerikanische Alternative Band, die viele Konzerte und Festivals spielten und zum Teil auch als Tour-Support bereits „größerer“ Bands. Nach der Veröffentlichung des ersten Albums Sistrionix 2013 waren sie zum Beispiel auch mit Muse in Deutschland unterwegs.

Mir persönlich gefällt dieses Album bisher auch am besten, wenngleich bisher mit Femejism und Marriage noch zwei weitere Alben und weitere Eps erschienen. Man kann bei dem Debut die Spielfreude der Tracks am besten greifen, vieles geht sehr direkt und ungefiltert durch die Boxen. Das gilt auch oder gerade für die Stücke, die auch mit ernsteren Lyrics daherkommen, wie etwa Creeplife. die weiteren Platten klingen da für meine Ohren etwas durchgeplanter oder durchgestylter. Was allerdings nicht bedeutet, dass sich da keine guten Songs drauf finden, dass trifft keineswegs zu. Gerade der Track Perfuction und das dazugehörige wirklich witzige Video sind ziemlich geradeaus. Und auch einige Features wie Jennie Vee auf I Like Crime sind eine wirklich gelungene Kollaboration. Für eine aktive Liveband wie Deap Vally hoffen wir auf positive Entwicklungen für die Club-Welt und die Möglichkeit bald einige Corona-Maßnahmen lockern zu können, damit wir dann vielleicht auch bald mal wieder in Deutschland Konzerte mit Julie Edwards und Lindsey Troy sehen können.

https://www.instagram.com/deapvally/

Genuary Tipp 26/31 2022

Blind Summit mit Alexandra Angelini aus Manchester, England

Frisch aus dem Ofen, wie man so sagt: Die nach Subservient inzwischen zweite EP von Blind Summit – Hell and Heresy – erschien Ende 2021. Was mir an den Briten so gefällt, ist ihr Yin-Yang-Ansatz. Während die (inzwischen nur noch) drei Musiker (Drums, 7-saitige Gitarre, 6-saitiger Bass) in technischer Klarheit und mit Doublebass-Stakkato-Floor den ultratiefen Rock in die Ohren schießen, singt Angelini melodiös schön, beinahe poppig, drüber weg wie ein … nein, das Wortspiel ist selbst mir zu blöd. Jedenfalls wie eine Art Metal-Aguilera:

Die meisten jungen, aufstrebenden Hardcore und Metal Bands gehen beim Gesang anders an die Sache heran. Bei Blind Summit jedenfalls erinnert das Experminet stimmlich an Evanescence, wenngleich die Musik auf Strecke doch deutlich düsterer und härter ist:

Sängerin Angelini schreibt auch die Texte. Die Vorab-Single zur EP – Like Water – behandelt den Zwiespalt eines Menschen zwischen Zufriedenheit und dem Streben nach Mehr. In einem Interview erklärte sie unlängst: „Damit will ich nicht auf jemanden herabsehen, der zufrieden und glücklich ist. […] Stattdessen ist es eine offene Frage für jeden, der sich genauso fühlt: Sollen wir akzeptieren, was uns gegeben wurde oder sollen wir nach mehr streben?“ – Und schon wieder Yin und Yang. Hört mal rein!

Instagram:
Blind Summit
Alexandra Angelini