Und damit wären wir dann auch beim zweiten Teil meines Berichts, in dem das Deichbrand-Festival einmal gegen den Strich gebürstet wird: Mir fällt es in diesem Jahr noch etwas schwer, Kritik anzubringen, da die Situation rund um Corona plus die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen aus dem bitteren Cocktail der Pandemie und des immer noch miesen Krieges russischer Machthaber gegen die Ukraine sicherlich das Feiern im Allgemein weiter betäuben, vor allem aber Rahmenbedingungen bieten, die mir zuerst mal ein ehrliches Hutziehen und tiefe Dankbarkeit abverlangen vor allen Menschen, die sich trotzdem trauen ein kulturelles Programm auf die Bühne zu bringen. Das geht nicht nur an die Brandstifter vom Deich, sondern an alle Veranstalter, Booker, Schauspieler, Wirte usw., die letztlich für Leute wie uns trotz großer Ungewissheit einfach immer weiter dranbleiben und durchziehen. Merci!
Und wenn ich gerade dabei bin zu loben, dann liebes Deichbrand habe ich auch im Jahr 2022 etwas zu loben, das für andere Besucher teilweise ein richtiger Dorn im Auge scheint. Euer Line Up bietet eine Genre-Vielfalt, die seines gleichen sucht. Wie ich im ersten Teil bereits erwähnte, habe ich nicht alles gesehen und fand auch nicht alles gut – der Auftritt von Apache 207 lässt mich nach wie vor verwirrt zurück. Dennoch war klar wahrzunehmen, dass ihr auch damit einen Nerv trefft und diese Buchungen sicher auch den Altersdurchschnitt auf eurem Festival senken. Die Bühnen waren bei besagten Auftritten stets rappelvoll und aus dem Grund werden wir hier im Wellenbrecherbereich sicher nicht einfach in das klassisch billige Auto-Tune-Bashing verfallen. Ich habe gesehen, dass viele Leute Bock auf diese Künstler und Künstlerinnen haben und wenn mir das nicht gefällt, dann esse ich halt ein Handbrot und freue mich auf oder über den Auftritt Afrobs oder einer anderen Band.
Gleiches gilt für eure Electronic Island. Optisch übrigens ein absoluter Kracher und musikalisch durchaus hochkarätig besetzt mit DJs, die durchgängig die Party am Laufen hielten. Nicht wenige Besucher haben sich eigens für diese Stage das Festivalticket gekauft. Ich persönlich mag dieses Konzept und bin genau aus diesem Grund auch sehr gerne beim Deichbrand, wenngleich auch ich mir in diesem Jahr noch den einen oder anderen Act aus dem Bereich Rock, Punk oder Alternative mehr gewünscht hätte.
Die explodierenden Preise auf eurem Festivalgelände haben wir ebenfalls versucht, so objektiv wie möglich zu bewerten. Aktuell steigen überall die Preise, so natürlich auch auf den Festivals. Aber leider geht diese Argumentation für mich auch nur zum Teil auf, denn da alles teurer wird, die Löhne aber lange nicht in dem gleichen Verhältnis ansteigen, beißt sich hier die Katze in den Schwanz: Ihr müsst mehr Geld verlangen, weil alles teurer wird – ich kann mir weniger bei euch kaufen, weil alles teurer geworden ist. Die Frage also, ob sich Preiserhöhungen in diesem Ausmaß wirklich lohnen, würde mich tatsächlich sehr interessieren. Für alle Menschen, die ohnehin sehr auf ihre Ausgaben achten müssen, war dieses Jahr sicher eine große Herausforderung. Die meisten aus unserer Gruppe arbeiten in Vollzeit und konnten sich so über die Tage noch etwas auf dem Gelände „gönnen“, aber auch das wesentlich reservierter und bedachter als in den Vorjahren. Wir waren uns allerdings auch einig, dass es dann zumindest in Qualität und Quantität stimmen muss und das war leider nicht überall festzustellen. Als kleiner Eindruck für alle, die nicht vor Ort waren ein Bier 0,5l kostete 6 Euro, Wodka Red Bull 0,3l z.B. 9,50, eine Currywurst mit Pommes 10,-, Bratnudeln 9,50 usw.
Es gab ausreichend Getränkestände und somit auch nur zu Stoßzeiten mal längere Schlangen, allerdings habe ich in diesem Jahr sehr wenig leckeres Fassbier bekommen. Natürlich gibt es zwischen einem Besuch in einem bayrischen Biergarten und einem Fassbier aus dem Plastikbecher auf einem Musikfestival immer einen Unterschied, dieses Jahr war das Bier aber sehr häufig richtig flaps und das fällt bei dem Preis auch mächtig auf.
Leider ist uns auch sehr negativ aufgefallen, dass es an einigen Ständen Methode hatte, sich zu verrechnen. Irgendwie verständlich, weil bei den Gästen auch die Bereitschaft Trinkgeld zu geben litt, aber sicher nicht der richtige Weg, dieses so auszugleichen.
Über die Vielfalt im Essensangebot freue ich mich immer sehr, da so für jeden Geschmack etwas Richtiges angeboten wird und die Zeiten, in denen es neben den Brezeln nur noch Pizzaklumpatsch oder Pommes gab vorbei sind. Aber auch hier gab es in der Qualität an einigen Stellen klare Abstriche. Es tut einfach weh einen Zehner in sehr mittelmäßige Imbissideen zu stecken, da hilft es auch nichts, wenn man den Gerichten tolle Namen verpasst. Das gilt nicht für alle Angebote, insbesondere einige Foodtrucks haben leckere, frische Snacks serviert, ingesamt aber mehr so „meh“.
Auch immer wieder Thema ist die Toilettensituation auf dem Gelände. Insgesamt war das noch in Ordnung und die Putzcrew hat alles gegeben. Moderne Konzepte mit mehr Urinalen für Männer und Frauen, Peefences etc. bieten hier aber noch viele Möglichkeiten der Verbesserung.
Die größtenteils ehrenamtlich tätigen Hilfs- und Sanitätsdienste waren sehr präsent. Ohne diesen bemerkenswerten Einsatz sind solche Feste nur schwer umsetzbar.
Ansonsten gab es noch allerlei Werbegedöns von einigen Märkten, Telefonanbietern, Radiosendern oder Getränkeherstellern. Das brauche ich persönlich nicht, kann es aber im Rahmen der notwendigen Sponsor-Partnerschaften akzeptieren und weitgehend ignorieren.
In Bezug auf das Gelände und die Festival-Organisation möchte ich mit einem Lob abschließen: Ich liebe es nach wie vor, dass ihr beim Deichbrand die beiden Hauptbühnen immer nacheinander bespielt und sich die Überschneidungen lediglich auf Auftritte im Palastzelt (oder ggf, der Electronic Island) beschränken. Bitte behaltet das möglichst bei!
Als letzten Teil möchte ich nochmal einen Blick auf das Campinggelände werfen. Gelobt habe ich ja bereits die Genre-Vielfalt, die es allerdings dann auch mit sich bringt, dass man auf dem Campingplatz häufig Musik hören muss, die einem nicht gefällt. Als mein persönliches Problem resümiere ich dann auch etwas, das andere Besucher gar nicht stört bzw. für sie überhaupt den Reiz großer Festivals ausmacht: Unter dem psychosozialen Druck des Saufdiktats werden über vier Tage nur stumpfer Schlagertechno und sogenannte Party- bzw. Sauflieder aus den Boxen geballert. Nicht selten sexistisch, aber klar – ironisch. Wir haben uns da in der oben bereits verlinkten Podcastfolge schon zu ausgetauscht. Es gibt tatsächlich Leute, die nur wegen der Campingplatz-Action zu einem Festival gehen. Ich finde, dass es die Mischung macht. So wundert es mich allerdings nicht, dass je größer ein Festival wird, das Angebot an sogenannten „Green-Campings“ zunimmt. Sehr ähnlich habe ich diese Entwicklung auch schon vor Jahren beim Hurricane und bei Rock am Ring ohnehin festgestellt.
In puncto Antidiskriminierung, Miteinander oder auch Umweltbewusstsein finden sich beim Deichbrand jedoch von vornherein schon erschreckend wenige Bekenntnisse auf der Homepage oder bei den Infos zu Campingplatz und Sicherheit. Immerhin das „Panama-Konzept“ wurde wieder umgesetzt. Hier sehe ich sehr starken Nachholbedarf, zumindest sofern es das Deichbrand-Team wünscht, dass ihr Festival eine Party für alle ist, auf der keiner Angst haben muss, aus irgendwelchen Gründen ausgegrenzt oder diskriminiert zu werden.
Ich bin gespannt, wie es in den nächsten Jahren weitergeht und bin jetzt schon neugierig auf das neue Line-Up für 2023.
Wer selber einmal am Deichbrand teilnehmen möchte, der Ticketverkauf für 2023 hat bereits begonnen: LINK