#57 ZSK – Hass↯Liebe (2023)

Nein, ein mieses Wortspiel zum Titel des neuen Langspielers von ZSK mit Namen “Hass↯Liebe“ verbietet sich an dieser Stelle. Verschiedene Standpunkte in der Bewertung und verschiedene Schwerpunkte im Album gab es allerdings wirklich zu diskutieren und zu beleuchten. Hört jetzt rein in unsere lebhafte Review und lasst sehr gerne eure Meinung da: Wie hat euch ZSK’s siebtes Studioalbum gefallen?

„Tipps aus’m Pit“ zum Nachbetrachten (aus #56)

Marco: Die Nerven – Die Nerven (2022)
Zwar nicht unbedingt sein erklärtes Lieblingsgenre, aber nicht zuletzt dank der bemerkenswerten Texte, hat sich Marco mal näher mit dem Trio beschäftigt, das unsere damalige Interviewpartnerin Shitney Beers (höre hier) im letzten Jahr live supportete.
Gegründet 2010 von Julian Knoth und Max Rieger, haben sich die Schwaben nach inzwischen fünf Studioalben und unzähligen Gigs eine treue Anhängerschaft erspielt. Da dürfen es gerne auch mehr als 15 Sekunden Aufmerksamkeit sein. Für Fans von Tocotronic, aber nicht nur…

Felix: Zulu – A New Tomorrow (2023)
Ein spannender Tipp, der frischer kaum sein kann: Nach zwei EPs veröffentlichte Zulu erst vor einem halben Jahr ihr starkes Debütalbum, das Felix „umgeworfen“ hat. Die Band aus L.A., die kraftvollen Hardcore spielt und ihn bisweilen mit Punkelementen garniert, darf also getrost noch als Newcomer betitelt werden. Zwischen offener Rassismus-Kritik auf der einen und positiver Konnotation der afroamerikanischen Kultur, die selbstredend aus den USA nicht wegzudenken ist, auf der anderen Seite, bekommt das ausschließlich aus Black People bestehende Quintett es gekonnt hin, auch vermeintlich offenen, aufgeschlossenen Geistern den Spiegel der Vorurteile auf charmante Weise vorzuhalten. Respekt!

Alex: Die Diskographie und Schattensongs von R.E.M.
Immer mal wieder reizt es Alex, die Diskographien berühmter, bereits in Rente gegangener Bands auszugraben und nach großartigen Schattensongs zu tauchen. Bei R.E.M. gibt es davon eine ganze Menge zu entdecken, sogar schon auf dem Debüt „Murmur“, das 1983 – vor gut 40 Jahren – erschien und zu dem Alex aus diesem feierwürdigen Anlass ein Now Playing verfasst hatte (lese hier). Und selbst wenn man eine der berühmtesten Bands der 90er Jahre per se nicht “unterbewertet“ nennen kann, so sind es etliche ihrer Songs abseits der Radio-Singles allemal. Das, was Kurt Cobain sagt… Für weitere Infos zur Cobain-Stipe-Beziehung hört unbedingt rein in unsere Podcast-Folge und natürlich in die ellenlange Diskographie der Jungs aus Georgia.

Einer von Alex‘ All-Time-Favourites… Hier mit Neil Young

#56 Tipps aus’m Pit: September 2023

Nein, liebe Musikmenschen: Das Sommerloch hat uns nicht gänzlich verschluckt! Die Pause war dieses Jahr bloß etwas… ausgedehnter. Dafür öffnen wir euch heute mit ganz besonders viel Liebe, Empathie und Vorfreude die hübsch verzinkten Metallzäune zum Wellenbrecherbereich, wenn es wieder heißt: Was haben wir in der letzten Zeit Musikalisches gehört, gelesen, geschaut, gekauft, gemacht, gedacht… Die neuen Tipps aus‘m Pit – September-Edition*! Hört rein! Erkennt ihr nach all der Zeit noch unsere Stimmen? Und, ja: Eine fehlt – mehr dazu in der Folge:

* aufgenommen bereits vor der Sommerpause

Wrong Chat – Wasteland (2022)

Von Felix

Wrong Chat sind zwei Bremer, die mit Wasteland im Oktober 2022 ihren ersten Longplayer veröffentlicht haben und das weit überwiegend in Eigenregie. Das Album ist als Tape und als CD erhältlich (und natürlich digital), am einfachsten hier über Bandcamp.

Paul, Sänger und Gitarrist haben wir vom Wellenbrecherbereich Anfang 2023 noch live im Tower Bremen gesehen, als er als Support-Act für Shitney Beers auftrat. Das war schon ein etwas besonderer Auftritt, da ich beim ersten Stück noch dachte, er macht jetzt so ein wenig Soundcheck – aber nein, aufgrund der kurzfristigen Einladung war es Schlagzeuger Tom Wagner einfach nicht möglich teilzunehmen und so wurden die Studiodrums kurzerhand vom alten I-Pod von Pauls Schwester eingespielt. Es war trotzdem (oder auch deswegen) ein gelungener und unterhaltsamer Auftritt. Paul hat an dem Abend immer knapp aber ganz launig die ausgewählten Lieder vorgestellt. Mir hat es so gut gefallen, dass ich mir später direkt ein Tape gekauft habe. Es hat viel Spaß gemacht mal wieder einen wirklich guten Grunge-Sound zu hören. Das ist ja doch mittlerweile eine Rarität und deshalb denke ich auch, dass hier genau das Potential für Wrong Chat liegt: Sie sind nicht die xte schon ganz gute, aber auch nicht wirklich herausragende Punkband, sie schwimmen auch nicht auf der Welle der (ebenfalls oft guten aber eben) echt vielen deutschen Post-Hardcore Bands, sondern gehören zu den Bands, die zu einer Reanimation des Grunge beitragen könnten.

Den Gedanken mag ich sehr, wenngleich mir auf Wasteland auch nicht jeder Song gut gefällt. Ich kann für mich festmachen, dass ich alle etwas raueren Songs bzw. Parts sehr schätze, die etwas ruhigeren bis poppigen Teile gefallen mir nicht immer. In der Hauptsache liegt das daran, dass Paul für seinen Gesang immer den gleichen Effekt nutzt und ich finde das in bestimmten Passagen nicht immer passend, bzw. manchmal sogar etwas nervig, so dass ich unten in der Wertung dann natürlich auch ein paar Abzüge habe.

Um das aber auch mal konkret zu benennen: nicht so gelungen finde ich das z.B. in dem Song Playlist, obwohl der sonst (oder für andere Hörerinnen und Hörer) vom Konstrukt her wohl durchaus Ohrwurmpotential hat. Might Be und What I Feel finde ich dadurch insgesamt auch etwas anstrengender. Die Ausnahme dieser Regel bildet hierbei Two Brainer – gleiches Prinzip, also insgesamt etwas ruhiger, Stimmeneffekt der selbe, aber irgendwie packt mich dieser Track dann doch, weil er sich im und um den Chorus herum etwas interessanter entfaltet.

Sehr gelungen hingegen sind aus meiner Sicht der titelgebende Song Wasteland und Stick Togehter. Letzteres klingt in der Gitarre recht offensichtlich nach Nirvana, entwickelt aber schnell einen eigenen wirklich guten und animierenden Sound. Wasteland ist sehr abwechslungsreich und steigert sich zum Ende hin immer weiter in Tempo und Härte und hat daurch Potential für den besten Konzert-Track von Wrong Chat (siehe Video weiter oben).

Mein Lieblingsstück ist aber So Many Times. Der rundeste Track mit einem geil straighten Gitarren-Riff in den Strophen, mit klassischen Grunge-Passagen und im Chorus und in den Bridges verlangsamt und die Gitarre ohne Verzerrung also irgendwie ein Retro-Sound trotzdem mit ganz eigenem Charakter – liebe ich.

Ich habe im Laufe des Jahres 2023 mit The Bobby Lees, Margaritas Podridas und eben Wrong Chat drei Bands neu ins Herz geschlossen, die es schaffen Grunge und / oder Garage Punk zwar nicht neu zu erfinden, aber wieder mit neuem Leben zu füllen. Wenn Stilrichtungen über Jahre und Jahrzehnte nur von den Legenden und Haudegen leben, dann wird es irgendwann langweilig und läuft sich allmählich zu Tode. Deshalb freue ich mich sehr über diesen Sound, den Wrong Chat auf ihrem Album Wasteland anbieten und wünschte mir persönlich ein wenig mehr Härte oder Mut zum Unkonventionellen.

Um das ganze abschließend zu bewerten, gehe ich „nur“ auf sechs von zehn Wellenbrecher – mit Potential für viel mehr, aber ich merke schon, dass ich die Songs, die mir nicht gefallen auch tatsächlich weiterskippe und mich die Platte so mit den 10 Tracks zu ziemlich genau 60% zufriedenstellt (plus einen Extrapunkt für die Katze auf dem Cover von Wasteland – habt ihr sie entdeckt?).

Alphatraz – Gebeine (2022)

von Felix

„kommen wir nun zu etwas ganz anderem“

Alphatraz ist das Synonym des Künstlers Christoph Martin. Hier gibt es etwas zu hören, was wir in dieser Form sicher noch nie im Wellenbrecherbereich hatten. Ein reines Piano-Album. Alle zehn Songs sind Eigenkompositionen. Warum beschäftigen wir uns im Wellenbrecherbereich mit einer Platte voller Klavierstücke? Nun ja, eigentlich gibt es da mehrere Gründe: Zum einen, weil wir uns ja eh auf die Fahnen geschrieben haben, auch über unseren musikalischen Tellerrand hinauszugehen, zum anderen, weil von jedem einzelnen Song von Gebeine – so der Titel des Ende 2022 erschienenen Albums – eine verrückt anziehende Faszination ausgeht und außerdem, weil das Komponieren an sich in der Öffentlichkeit oft viel zu wenig thematisiert wird, obwohl es eine große Kunst ist und egal in welchen musikalischen Bereich wir gehen – viele populäre Lieder sind am Klavier entstanden und so bietet auch Alphatraz‘ Platte eine Reise in eine irgendwie ursprüngliche Fantasiewelt.

Die Lieder und das gesamte Konzept dieses Werkes sind sehr finster und bedrohlich, so liegt eine Nähe zu bestimmten Metal-Genres durchaus auf der Hand und der Künstler selbst hat auf seinem YouTube-Kanal auch einige hervorragende Interpretationen bekannter Metal-Songs, die ebenfalls sehr empfehlenswert sind.

Das Düstere in der Musik erfordert natürlich eine grundsätzliche Stimmung bzw. Bereitschaft. Wenn man sich in Partylaune begeben möchte, ist Gebeine sicher nicht die richtige Wahl. Aber die CD, die ich nun nach ihrem Erscheinen im dunklen Winter genauso gehört habe wie heute, also mitten im Juli, hat sehr viel zu bieten.

Eigentlich möchte ich auch bei dieser Rezension weniger auf einzelne Titel eingehen, als sonst im Now Playing, weil ich persönlich es auch tatsächlich eher als ein Gesamtkonstrukt begreife. Dennoch möchte ich zwei Titel hervorheben, die mir besonders gut gefallen.

Da ist zum Einen der Song Vindicta, der für mich sehr viel von einer guten Filmkomposition hat und somit viel Ankurbel-Potential für das eigene Kopfkino bietet. Außerdem ist das Lied etwas heller als die meisten anderen, so dass ich in einigen Passagen denke, hier könnte man sogar Teile der Komposition als Grundlage für einen guten Indie-Pop-Song nutzen. Der Song geht also etwas über den Grundton des Albums hinaus.

Ein anderer Song, der diesen Grundton hat, ist Occultatio, vor allem der Beginn hat es mir angetan. Das Lied ist so reduziert auf einzelne Töne in leichter Atmosphäre, dass es gerade diese Reduktion ist, die unglaublich viel Platz im Kopf schafft und durch dieses so simple Mittel eine Spannung erzeugt wird, die den Hörer (also mich zumindest) total neugierig werden lässt, was in der nächsten Sekunde wohl passieren wird.

Die schönste Melodie erklingt für mich gleich im zweiten Stück Sketches of Pain und ich liebe es, wenn sich diese schöne Melodie in den tiefsten Tönen auflöst und dann fast schon eine Art Kampf zwischen bedrohlich tiefen Passagen und den immer noch finsteren aber aufgelockerten und klareren hohen Tönen folgt.

Bei den beiden letztgenannten habe ich in einigen Passagen aus irgendeinem Grund sofort Assoziationen zu Iron Maiden Kompositionen – musiktheoretisch begründen, warum das so ist, kann ich leider nicht, aber versucht euch bei diesen Titeln mal gelegentlich markante Maiden Instrumentierung vorzustellen.

Eine Bewertung fällt hier tatsächlich schwer. Ihr habt gemerkt, dass ich das Gesamtkonstrukt sehr schätze und dass ich fasziniert von dieser CD bin. Ich muss aber auch zugeben, dass es keine Musik ist, die ich im Alltag einfach mal so in meine Playlist ziehe und die eben auch eine gewisse Grundstimmung voraussetzt. Dennoch möchte ich hier auch keine Grenze setzen, nur weil eine klassische Bewertung nach Mosh-Pit-Tauglichkeit nicht möglich ist und daher gebe ich siebeneinhalb von zehn Wellenbrechern.

Abgerundet wird das Album von einem wirklich herausragenden und voll treffendem Artwork von collapse of art und dem Logo, welches von Jordan Barlow entworfen wurde. Das Album gibt es aktuell über Bandcamp zu hören und zu beziehen, außerdem auch als CD über Schattenpfade.de

https://alphatraz.bandcamp.com/album/gebeine