#10 Das dreckige Dutzend (Komödie vs. Tragödie)

In unserer jüngsten Folge (#9 Komödie vs. Tragödie) haben wir eifrig über spaßige und/oder ernsthafte Musik diskutiert. Heute hat jeder von uns – in akustischer Erweiterung dieser Diskussion – drei wunderbare Songs im Gepäck: Von bekannten Klassikern bis hin zu den geheimsten Geheimtipps ist wieder alles dabei. Lachen, weinen, wütend sein: Hört rein und lasst uns unbedingt eure persönlichen Lieblinge wissen!

Unser dreckiges Dutzend mit der anschließenden Wellenbrecherbereich-Playlist zu den besprochenen Songs findet ihr hier:

The Pretty Reckless – Death by Rock And Roll (2021)

Now playing // 16.04.21 von Alex:

Im Podcast habe ich meine Sympathien für Taylor Momsens Stimme ja schon kundgetan. Ihre Range zwischen röhrendem Teufel und lieblichem Engel ist zum Zunge schnalzen. Nun endlich bringt sie mit ihrer Band The Pretty Reckless frisches Futter an den Start:
Death by Rock And Roll.

Los geht es gleich mit dem Song, der für den Albumtitel verantwortlich ist. Lauscht der aufmerksame Hörer den Zeilen, so läuft ihm oder ihr gleich ein eiskalter Schauer über den Rücken, wenn die noch 27-Jährige singt: On my tombstone when I go, just put “Death by Rock and Roll”. Ja, 27 Jahre jung, Rockstar, offen über den Tod singen… da gab‘s doch mal so`n Club?!

Kurzer Exkurs zur allgemeinen Beruhigung:
Vom zuckersüßen Reklame-Mädchen, über Jim Carrys Co-Star und Gossip Girl hin zur umjubelten Teenager-Rockröhre… viel Hype für ein so junges Leben. Außerdem verlor Taylor mit Chris Cornell (2017, Selbstmord) und Produzent Kato Khandwala (2018, Motorradunfall) binnen kürzester Zeit zwei enge Freunde. Tragödien, die sie in ein – Zitat: “komplett dunkles Loch aus Depression und Drogenmissbrauch“ zogen.  Doch das Schreiben neuer Songs, das Wiederentdecken der Musik der Beatles, das Aufnehmen des neuen Albums, all das, so sagt sie, sei der Grund, weshalb sie heute überhaupt noch hier ist. „Der Rock and Roll hat mein Leben gerettet“, so Taylor. Wir müssen uns also keine Sorgen (mehr) machen.

Zurück zum Album, welches also gar nicht depressiv daherkommt, sondern genau gegenteilig – lebensbejahend. Eine schwarze Scheibe aus Vinyl als erfolgreiche Selbsttherapie. Neben dem Opener, der ein “Schlachtruf auf das Leben“ in Anlehnung an Kato sein will, finden sich viele weitere wunderbar positive Songs auf dem Album.

Die opulente Mid-Tempo Nummer Rock and Roll heaven strotzt vor Spielfreude und ist ein absolutes Kleinod, welches jedem ein Lächeln aufs Gesicht zaubern sollte – eine Hommage an Taylors Vorbilder, u.a. eben die Beatles, und gleichzeitig ihr Dank – wie eingangs im Exkurs erwähnt.

Und der Einfluss, den der ebenfalls dort besungene Jim Morrison (schon wieder der Club 27!) auf sie hatte, wird in Turning gold mehr als deutlich, wenn Taylor singt: „For the light, for the light!“ Ich sag nur „L.A. Woman„: City of night, city of night! Gebt euch die beiden Passagen bitte mal direkt hintereinander. Mr. Mojo risin‘!

L.A. Woman als Referenz? Hört mal in beide Songs rein!

Dazu unverdünnter Hardrock mit griffigen Riffs wie in And so it went (ein Traum-Riff für jeden Gitarristen!), bei dem plötzlich ein allzu vertraut klingender Gitarren-Sound der ganzen Welt verrät, dass Tom Morello hier mitgroovt. Beim anklagenden Plädoyer des Kinderchors später im Song fühlte ich mich stark an Pink Floyd’s Another brick in the wall – oder – im Kosmos von The Pretty Reckless – an Heaven knows erinnert. Fett:

Apropos Gastmusiker: Kim Thayil und Matt Cameron von Soundgarden (Letzterer natürlich auch von Pearl Jam) sind auf Only love can save me now zu hören. Und da wir damit indirekt auch wieder bei Chris Cornell sind: Dieser wäre sicher stolz auf den Song 25 gewesen, der alles besitzt, was einen James Bond Song ausmacht. Zwar kein neues „You know my name“, aber vielleicht seine kleine Schwester.

Ein komplett rundes Album bedient natürlich auch die Freunde der Power-Balladen. Diese kommen bei  Got so high (fühlt sich hier noch jemand an „Fade into you“ von Mazzy Star erinnert?) und Standing at the wall (Taylors Stimme: Einfach nur Wow, und sogar mit Orchester) auf ihre Kosten.

Mein einziger Kritikpunkt und das ist witzigerweise der gleiche Kritikpunkt, den auch Felix in seiner Rezension über das neue Architects-Album hatte, ist die merkwürdige Reihenfolge der Songs. Oder es handelt sich um eine dramaturgische Reise der Band, die sich einem Außenstehenden nicht erschließt? Ist die erste Hälfte gespickt mit Rocknummern, wird es im zweiten Teil deutlich ruhiger, ja sogar country-esk. Da hätte der Reihenfolge mehr Ausgewogenheit und Abwechslung gut getan.

Aber abgesehen davon haben The Pretty Reckless hier zur Trauerbewältigung ein fettes Brett vorgelegt. Wie Felix ganz richtig in unserer letzten Podcast Folge bei der Deftones-Besprechung anmerkte, mag man manchmal gar nicht glauben, dass es Menschen gibt, die ein Album komplett anders wahrnehmen, als man selbst. Deshalb hier meine ernst gemeinte Frage: Wer von euch findet dieses Album nicht gelungen und welche Gründe sollte es dafür geben?

Abschließend stellt sich mir noch die allerletzte, wohl nicht zu beantwortende Frage, weshalb Taylor eigentlich auf zwei von vier Studioalbumcovern nackt zu sehen sein muss?! Ja, Sex sells, aber gute Musik auch.

8,5 von 10 Wellenbrechern

#9 Komödie vs. Tragödie

Inhalt:
Musiker*Innen werden gehört. Sie sind Vorbilder und Stilikonen. Sind sie aber deshalb in der Pflicht, Ungerechtigkeiten laut und deutlich anzuprangern? Oder sind sie – wie der persönliche Hofnarr des Königs – eher dazu da, gute Laune zu verbreiten und für Lacher zu sorgen? Heute widmen wir uns voll und ganz der einfachen und zugleich schwierigen Frage: Komödie oder Tragödie – was darf‘s denn sein?

Wie immer ist unser Hauptthema eingebettet in die weiteren Rubriken Tipp aus‘m Pitt, Albumbesprechung (heute: das aktuelle Deftones-Album Ohms) und Abschlußquiz (heute Alex vs. Felix; Anmerkung: Alex‘ Antworten sind durch die Übertragung etwas zeitverzögert). Und jetzt legen wir mal los, endlich! Denn wir brennen schon mit den Hufen…

“Tipps aus`m Pit” zum Nachbetrachten (aus #9)

Alex: Frank Iero and the future Violents – Heaven is a place – This is a place:
EP. VÖ: 2021. Label: UNFD
Der Gitarrist von My Chemical Romance endlich wieder auf Solopfaden: Frisch, verspielt, kompromisslos! Und ein R.E.M. Klassiker ist auch mit dabei! Hier aber eine Nummer aus Frank Ieros Feder:

Auch das bereits 2019 erschienene Album Barriers ist nichts anderes als fantastisch.
Von 1 bis 14 ein toller Mix aus Freude, Wut und Melancholie.

Bei den Future Violents auch mit dabei Kayleigh Goldsworthy, Multi-Instrumentalistin (u.a. Geige, Gitarre, Keyboards). Ihre eigene Musik ist etwas ruhiger, aber auch hörenswert:

Felix: Psychonaut – Unfold the God Man. LP. VÖ: 2020. Label: Pleagic Records
Dieses Trio stammt aus Belgien und hat nach zwei EPs (24 Trips around the sun und Ferocious Fellowman auch ihre erste LP zunächst in Eigenregie unter die Leute gebracht. Nun ein zweiter, label-unterstützter Anlauf. Auf dieser brachialen LP wird über neun Songs und beinahe 70 Minuten Spielzeit (!) gerockt und geproggt, was das Zeug hält. Sehr empfehlenswert und ein absoluter Geheimtipp. Noch! Der perfekte Puzzle-Soundtrack oder was sagt ihr?

Gerrit: Kings of Leon – When you see yourself. LP. VÖ: 2021. Label: RCA Records
Es darf auch mal Musik sein, die man auflegt ohne penibel auf jeden Ton und jedes Wort zu achten. Einfach anmachen, hören, gut fühlen, grinsen. Die Kings of Leon können genau solche Momente schaffen, auch mit ihrem neuen Album. Die geborene Liebe.

 Aber auch ihr Album Walls hatte diese positive Eigenschaft inne, hier Gerrits Empfehlung daraus – Find me: 

Marco: Uncle Acid & the Deadbeats – Blood Lust
LP. VÖ: 2012. Label: Killer Candy Records

Wer auf  den Garagensound der 60er und den Hardrock der 70er mit einem Schuss Psychodelic und Blues steht, ist hier goldrichtig.

Rock in seiner puren Form. Macht jemand Marco einen guten Preis für die Vinylscheibe? 🙂 Schreibt uns an!

Architects – For Those That Wish to Exist (2021)

Now playing // 12.03.21 von Felix:

Cover des am 26. Februar 2021 bei Epitaph Records erschienenen Albums

Ende Februar erschien das neue Album der britischen Band Architects. Das Album wurde seit Herbst Winter 2020 bereits durch einige Singles gebührend angekündigt. Wie im Podcast schon häufiger aufgefallen sein dürfte, bin ich persönlich kein Freund von Kategorisierungen, wenn es aber hilft, würde ich die Band im Metalcore verordnen – wer die Band kennt, könnte mir da aber vielleicht widersprechen, und wer sie nicht kennt, sollte sich ohnehin besser selber ein Bild davon machen.

Die Band hat sich mit dieser Platte Anfang März in meiner Mediathek schnell nach vorne gespielt, weil die Tracks einfach in vielerlei Hinsicht überzeugen: Da wären z.B. der Gesang von Sam Carter, die interessanten Songstrukturen und der kontrastreiche Sound. Die erste Batterie aus drei Songs Black Lungs / Giving Blood / Discourse is Dead plus Intro Do You Dream of Armageddon? ist ein äußerst gelungener, überwiegend lauter Einstieg, der dann von einer zweiten Welle eher Poprockiger Songs abgelöst wird, wobei auch hier – insbesondere bei Impermanence immer wieder Tempoverschärfungen und Breakdowns gesetzt wurden, die einen durchgehend bei Laune halten.

guter Opener, gutes Video, gute Botschaft: Black Lungs

Die zweite Hälfte der Platte brauchte bei mir etwas länger, um ihre Wirkung zu entfalten. Ich muss gestehen, dass ich hier beim Hören in der Tat phasenweise gedanklich abgedriftet bin. Das ist insofern als Kritik zu verstehen, dass der nach dem ersten Verlauf erwartete Spannungsbogen nicht so eintritt, sondern in diesem Teil der Platte eher flach verläuft. Dabei sind die Songs im Einzelnen überhaupt nicht schlecht, nur etwas ärmer an Höhepunkten und die haben die Architects in meinen Ohren immer dann, wenn sie musikalisch und gesanglich etwas härter zu Werke gehen und genau diese Parts nehmen in der zweiten Hälfte leider ab. Zum Abschluss kommt mit Dying is Absolutely Safe noch eine echte Ballade auf den Plan, die für sich auch starke Emotion transportiert. Ich denke aber, dass die Wirkung hier noch verstärkt würde, wenn davor eben nicht schon eine Handvoll etwas gemäßigterer Rock-Songs mit überwiegend cleanen Gesangsparts liefen.

Das klingt jetzt alles viel zu negativ, ich möchte deshalb etwas relativieren: Mir persönlich treten die Architects in der zweiten Hälfte zu stark auf die Bremse, aber ich kann gleichzeitig auch keinen Song des Albums benennen, den ich wirklich schwach finde, hier ist in meinen Augen die Dramaturgie nicht ganz gelungen. Wenn man im random / shuffle Modus hört, kommt teilweise eine bessere Reihenfolge zustande.

An anderer Stelle hat sich die Band offensichtlich gedanklich stärker mit der Wirkweise befasst, denn viele Songs werden durch Streicher-Arrangements begleitet. Ganz subjektiv sage ich, die hätte es an vielen Stellen überhaupt nicht benötigt. Ich halte diese Effekte hier gar nicht für störend, aber an vielen Stellen schlichtweg für unnötig.

Abschließend möchte ich in aller Kürze die Lyrics loben, insbesondere bei Black Lungs, Animals und meinem persönlichen Favoriten Discourse is Dead geht es um gesellschaftliche bzw. (gesellschafts-)politische Themen. Ich mag es, wenn Bands in der Lage sind zumindest grundsätzlich Stellung zu beziehen (Mehr zu dem Thema im Allgemeinen könnt ihr auch in unser neuen Podcast-Folge hören!).

Auf kerrang.com gibt es dazu einige interessante Song-by-Song Statements: Nachlesen empfohlen!

Fazit: Ein starkes neues Album der sympathischen Band, bei dem als Wermutstropfen das Gefühl hängen bleibt, dass es mit wenig Aufwand noch besser hätte sein können.

Höre ich gerne und gebe 8 von 10 Wellenbrechern!