#44 Im Interview mit Fjørt

Wir hatten das große Vergnügen, mit Chris und David von Fjørt über ihr aktuelles Album “nichts“ zu sprechen und uns über Politik, Religion, Selbstkritik und nerdige Equipment-Themen auszutauschen. Kurz: Wir sprachen über Lod und die Welt! Und wer es noch nicht wusste: Fjørt machen nicht nur überzeugend wütende Musik mit deutschsprachigen Texten, die nachhallen und zum Denken anregen – eine Kombination, die wir hierzulande definitiv gut gebrauchen können -, sie sind dabei auch noch unerhört sympathisch. Aber überzeugt euch selbst.

Wie immer ist unser Gespräch musikalisch aufgehübscht mit einigen ausgewählten Songschnipseln der aktuellen Platte. Dringende Kaufempfehlung! Aber nicht sofort, denn vielleicht… gibt es zu einem späteren Zeitpunkt bei uns noch etwas Schönes zu gewinnen (mehr dazu im Interview!). Also, bleibt am Ball und folgt dem Wellenbrecherbereich am besten auf Instagram und Facebook für weitere Informationen und Veröffentlichungen. Und: Seht zu, dass ihr die drei Aachener noch irgendwo auf ihrer Tour erwischt – ein paar letzte Tickets sind vereinzelnd noch erhältlich.

Genuary Tipp 29/31: The Bobby Lees (Sam Quartin und Kendall Wind)

Von Felix

Für mich sind The Bobby Lees ganz klar eine der Bands, bei denen ich einfach nicht begreife, warum sie nicht viel mehr Aufmerksamkeit bekommen. Punk, Grunge, Garage Songs mit einer Treibkraft, wie ich sie zuletzt am ehesten noch bei Clowns aus Australien empfunden habe. Zumindest innerhalb der Szene hätte ich eigentlich auch in Europa mehr Fans der Amerikaner erwartet. Sam Quartin ist Sängerin und Gitarristin, Kendall Wind die Bassistin des Quartetts. Im Oktober 2022 kam ihr drittes Studioalbum Bellevue raus und jeder, der es nicht kennt und dem Garage-Punk grundsätzlich nicht abgeneigt ist, muss es hören. Eigentlich alle, die auf von fetten Bässen und verzerrten Gitarren angetriebene Rockmusik stehen.

Die neue Platte ist ein Arschtreter und steht dem Vorgänger Skin Suit in nichts nach. Das Debut Beauty Pageant aus 2018 ist von den Songs her ebenfalls stark, Der Aufnahme fehlt im Sound manchmal etwas Tiefe oder Druck – eigentlich klassischer Garage-Sound, aber wenn man hört wohin der bei einer guten Produktion führen kann, dann verzichte ich gerne auf Garagen-Romantik. Skin Suit wurde von Jon Spencer produziert, der Sound damit deutlich verbessert und auf dem dritten Album durch keinen Geringeren als Vance Powell (u.a. White Stripes, Arctic Monkeys) noch weiter perfektioniert. Entscheidend ist aber die Wucht Sam Quartins, die beinahe jedem Song durch ihren (positiv) irren Gesang ihren Stempel aufdrückt. Wie im Titelgebenden Bellevue.

Hinter dieser prägenden Persönlichkeit der Band steckt eine bewegte Geschichte. Eltern geschieden, Erfahrungen mit Alkohol seit dem frühen Teenageralter, die sie zu massiven Alkoholmissbrauch bringt. Die Folgen oder Auswirkungen davon ist eine langanhaltende Phase mit massiven schizophrenen Psychosen, aus der wohl auch der Bandname hervorging – Bobby Lee als Geist einer Halluzination. Über ihre Vergangenheit berichtet sie ausgesprochen offen und sie ist in der Lage diesen Erfahrungen zumindest im Nachhinein viel Positives abzugewinnen, denn nach eigener Aussage, hatte sie davor immer große Ängste etwas vor Leuten zu machen, die nach dieser Episode, aus der sie sich glücklicherweise irgendwie selbst heraus manövrierte, völlig verschwunden waren. Ich verlinke hier zwei Interviews, in denen sie offen und ausführlich berichtet (Illinois Entertainer; Tinnitist) . Für sie und alle Musikfans ein Segen. Sam Quartin ist jetzt seit bald sechs Jahren trocken und ich hoffe, dass der Weg ihrer Band The Bobby Lees gemeinsam mit Bassistin Kendall Wind noch viel weiter und vor allem auch wieder nach Europa geht. Ich würde sie gerne live sehen und habe die Gelegenheit letzten Sommer verpasst.

Nebenbei sei noch erwähnt, dass Sam Quartin auch als Schauspielerin unterwegs ist und unter anderem in John Swabs Horrorfilm Candy Land aus dem Jahr 2022 auftritt. Trailer gibt es bei Youtube, Film sicher irgendwo zu streamen. Ic hwürde aber gerne nochmal mit Musik enden und mit einem Song vom 2020 Album Skin Suit schließen: Guttermilk

Genuary Tipp 28/31: Beach Bunny (Lili Trifilio)

von Alex

Wir sprachen in unserem Podcast schon öfter über die neuen Tendenzen und Trends in der Musikbranche. Eine Entwicklung ist sicherlich die, dass Künstler*innen heute seltener in kleinen Clubs oder auf der Straße “entdeckt“ werden, sondern vermehrt auf Onlineplattformen wie YouTube oder TikTok (mehr dazu in unseren Folgen zur Straßenmusik und zum Musikfernsehen). So geschah es auch Lili Trifilio aus Chicago mit ihrer Band Beach Bunny. Zwar frickelten und schraubten Lili und ihre zwei Kollegen schon ein paar Jahre an eigenen Songs, die zu ersten EPs zusammengeschustert wurden, aber als ihr Song Prom-Queen – eine Kritik zur Zenralisierung ungesunder Schönheitsideale –  im Jahr 2018 viral ging, war Beach Bunny quasi über Nacht berühmt. Ihr Song wurde millionenfach gestreamt.

Und obwohl in der Branche bemängelt werden darf, dass “dank“ TikTok die Aufmerksamkeitsökonomie einen neuen perversen Höhepunkt von nur ein paar Sekunden Laufzeit gefunden hat, was dem bewussten Wahrnehmen von Musik einen weiteren Tiefschlag versetzt und obwohl die schiere Menge an Shorts-Videos die zweifellos vorhandene Qualität der Wenigen zu ersticken droht, kann TikTok für talentierte Newcomer wie eben Lili Trifilio und Band auch ein Segen sein – vorausgesetzt zum Talent kommt das Quäntchen Glück, zum richtigen Zeitpunkt aus der Masse herauszustechen. Aber dieses Glück brauchte es ohnehin schon immer.

Was sich als winziges Puzzleteil über die TikTok-Shorts angekündet hat, konnten Beach Bunny nach Fertigstellung des Puzzles in Form von zwei LPs mehr als bestätigen: Honeymoon aus 2020 und Emotional Creature aus 2022 erfreuen uns mit neo-grungigem Indipoprock.

Ende 2022 – da sind wir nun leider etwas spät – war Beach Bunny in Europa und für einige Termine auch in Deutschland unterwegs. Im Frühjahr dieses Jahres steht eine Tour in Australien und Neuseeland an. Ja, mit der digital-globalen Bekanntheit sind den Märkten keine lokalen Grenzen mehr gesetzt.

Interessante Links:
Beach Bunny auf Instagram
Beach Bunny auf YouTube
Lili Trifilio auf Instagram

Genuary Tipp 27/31: Nizza Thobi und Chava Alberstein

Von Felix

Ein Gedenktag ist in der Regel ein Tag, um den Menschen eine Stimme zu geben, denen ihre eigene grundlos genommen wurde. Der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust mag gemessen an den Taten mickrig wirken, bleibt jedoch wichtig bzw. wächst in den letzten Jahren in seiner Bedeutung, weil die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus immer diffuser wird. Diese Gedenktage können helfen, ein Bewusstsein zu schaffen, dass es nicht um einen abstrakten Zeitabschnitt in der Geschichte geht, sondern um Menschen, Millionen Menschen, denen kaum vorstellbares Unrecht widerfahren ist, die grundlos diskriminiert, inhaftiert, misshandelt und ermordet wurden. Von zu vielen ist zu wenig geblieben. Überlebt haben zu wenig und die wenigen Zeitzeugen sind jetzt bald 80 Jahre nach dem Krieg zu einem großen Teil auch verstorben. Aber auch die Kunst kann den Menschen eine Stimme verschaffen und somit auch die Musik. Lieder aus der Zeit ab 1938, die im jüdischen Widerstand, in Ghettos und in Konzentrationslagern entstanden und die diese Zeit zum Glück überdauerten, hatten viele Funktionen. Ausdruck von Trauer, Angst und Entsetzen, aber viele Lieder dienten auch der Hoffnung auf Gerechtigkeit und dem Willen zum Kampf.

Diese Lieder zu interpretieren und auf die Bühne zu bringen, bedeutet auch, den Ermordeten wieder eine Stimme zu geben und ich finde es wichtig, diese Lieder wenigstens an diesem Gedenktag aufleben zu lassen, damit wir uns erinnern, dass Musik so viel mehr ist und für so viele Familien und Menschen, die nicht weiterleben durften, ist diese Musik sogar ein Vermächtnis. Umso schöner, dass Künstlerinnen wie Nizza Thobi oder Chava Alberstein dieses Liedgut auch in den letzten Jahren und Jahrzehnten zum Teil neu aufgenommen haben und regelmäßig bei Live-Auftritten ihrem Publikum vortragen. Wer mehr wissen möchte, über jüdische Musik aus der Zeit des Holocaust, dem sei die Seite Yad Vashems und die dort aufgeführten Links ans Herz gelegt.

Chava Alberstein wurde kurz nach dem Krieg in Stettin geboren und ist mit ihren Eltern 1951 nach Israel ausgewandert. Sie hat bereits in den sechziger Jahren begonnen Platten zu veröffentlichen und bis ins Jahr 2008 eine unglaublich umfassende Diskographie erschaffen. Dabei ist der Großteil ihrer Lieder auf hebräisch gesungen. Sie hat sich in Israel zu einer unbequemen politischen Liedermacherin entwickelt. Außerdem hat sie auch immer wieder Lieder aus der Zeit des Nationalsozialismus auf Yiddish auf ihren Platten. So wie das bekannte Zog nit keyn mol aus dem Ghetto Wilna, das nach dem Krieg auch als Partisaner Himn bekannt wurde.

Nizza Thobi ist 1947 in Jerusalem geboren und lebt mittlerweile in München. Sie hat ihr Leben der Musik gewidment und auf ihren in Deutschland erschienen Tonträgern befinden sich ebenfalls immer wieder mit ihrer markanten Stimme bewegend vorgetragene Lieder aus dem Holocaust. So wie das bereits 1938 nach den Pogromen entstandene Lied Es Brent. So viel auch zum Thema „Wir haben nichts gewusst“.

Welche Probleme und Herausforderungen die Gegenwart auch bereit hält. Nichts bietet einen Grund oder Anlass die Taten der Deutschen in den Jahren von 1933 bis 1945 zu verharmlosen, zu relativieren oder zu negieren oder zu glorifizieren. Nazis und Neonazis müssen endlich verschwinden! Musik gegen das Vergessen und Verdrängen!

Genuary Tipp 26/31: Set Yøur Sails (Jules Mitch)

von Alex

Die vierköpfige Band aus Köln wurde mir irgendwie zufällig in die Playlist gespült. Und wie es mit Playlists manchmal so ist, ließ ich diese einfach runterlaufen, ohne jeden einzelnen Song zu kennen. Aber bei meinem heutigen Tipp musste ich dann doch genauer hinhören und -schauen. Kenn ich die? Nein, ich kannte sie tatsächlich noch nicht und hätte auch beim besten Willen nicht vermutet, dass Set Yøur Sails aus Deutschland sind. Die Musik lässt Amerika vermuten – Iowa oder so.

Seit ihrem Debütalbum Enough (2018) gibt es bei den Vieren ordentlich auf die Fresse. Musikalisch, textlich und stimmlich (Sängerin Jules Mitch singt nicht nur, sondern schreit sich bei passender Gelegenheit auch die Seele aus dem Leib).

Aber wie so oft im Hardrock und Metal Bereich sind äußere Schale und innerer Kern inkohärent. In den Texten geht es um Sexismus, Queer-Feindlichkeit und Rassismus. Entsprechend klar positioniert sich die Band auf und neben der Bühne.

Und während Enough eher ein „Haufen unbearbeiteter Demos“ war – „wirklich nichts, worauf wir stolz sind“, wie Jules in einem Interview mit metal.de selbstkritisch zugibt (mehr hier), ist der Zweitling Nightfall aus 2022 eine klare Herzensangelegenheit. Jules, die die Texte schreibt, nahm sich viel Zeit dafür. Schon 2020 – im Jahr des Lockdowns – entstand Material. Es ist die Zeit, in der sich die Sängerin ein ganzes Jahr lang aus dem social media Zirkus rausnahm – eine bemerkenswert starke Entscheidung für die Frontfrau einer aufstrebenden Band. Nicht nur, dass sie die Zeit für intensives Songwriting nutzen konnte. Auch psychisch war dieser Schritt, wie sie im Gespräch mit dark divas offen verriet, notwendig und wichtig (lese hier).

Der musikalische Feinschliff und die Aufnahmen zu Nightfall erfolgten schließlich bei Sawdust Recordings in Halle an der Saale. Herausgekommen ist ein sehr gelungenes Machwerk, welches den Facettenreichtum der Band gut widerspiegelt: Mitsingbare Hooks (wie auch in dem Cover Shallow unten), brettharte Shouts (höre FCKOFF weiter oben) und metalcorig drückende Tiefe formen ein rundes Hörvergnügen. Das sah offenbar auch das nicht gerade unbekannte Napalm Label so, welches Set Yøur Sails kurzerhand unter Vertrag nahm.

Ich bin überzeugt, dass wir künftig noch einiges von der jungen Band zu erwarten haben. Wünschen wir ihnen also immer eine Handbreit Sherry in der Bilge. Und nun, setzt die Segel, liebe Musikmenschen da draußen, denn in diesem Frühjahr werden die vier Cypecore auf Tour supporten (Tourdaten/Tickets hier).

Interessante Links:
Set Yøur Sails auf Instagram
Set Yøur Sails auf YouTube