„Tipps aus’m Pit“ zum Nachbetrachten (aus #45)

die Podcastfolge zu den Tipps gibt’s hier und hier:

Gerrit:
… war unlängst im Kino. Und dieses Mal hat der Marvel-Fan sein Superhelden-Universum einfach links liegen gelassen, um sich dem King Himself zu widmen: Elvis – überzeugend gespielt von Austin Butler, der auch für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert wurde. Wir anderen drei haben den Film, der ebenfalls oscar-nominiert ist, bisher zwar nicht gesehen, aber so wie Gerrit davon schwärmt, sollten wir das schnell nachholen. Seit einiger Zeit läuft er im Pay-TV. Habt ihr ihn schon gesehen? Und wenn ja, wie war’s?

Felix: Megaloh – Drei Kreuze (2022)
Stehen die Zeichen auf Abschied? Nicht wenige vermuten in dem neuesten Megaloh-Album auch sein letztes. Die Zeit wird es zeigen. Doch unabhängig von dieser müßigen Frage ist Drei Kreuze für Felix Megalohs bestes Werk.

Dass Megaloh – wie die meisten Hip Hopper – schon immer gerne Gaststars auf seinen Alben zu Wort kommen lässt, zeigt ein Blick in die Diskographie; ein Auszug: Maxim, Trettmann, Jan Delay, Joy Denalane, Max Herre, Patrice, Gentleman, Samy Deluxe… Auch dieses Mal sind mit u.a. Cassandra Steen (höre oben) oder Sebastian Krumbiegel von den Prinzen (eine interessante Wahl) einige namhafte Sänger*innen zu hören. Die Musik selbst kumuliert eine gelungene Mixtur aus Oldschool Hip Hop und modernen Elementen, die Texte gelungen. Songs wie Statements oder Moral vs. Realität bleiben haften.

Alex: Madrugada – Chimes At Midnight (VÖ 2022):
Die Band aus Norwegen liefert die perfekte Musik für die dunkle Jahreszeit. Und selbst wenn Alex mit seinem heutigen Tipp reichlich spät auf der Party aufkreuzt – Madrugada wurde schließlich schon 1995 gegründet – , so könnte zumindest ihr neues Studioalbum aus 2022 – ihr erstes seit 14 Jahren – dem einen oder der anderen durchgerutscht sein. Das sollte nicht sein! Die atmosphärisch melancholischen Songs wie Running From The Love Of Your Life oder Help Yourself To Me klingen musikalisch und gesanglich wie eine Mischung aus Nick Cave und R.E.M. (nein, nicht Shiny Happy People R.E.M, – Night Swimming und Country Feedback R.E.M.)! Die optische Ähnlichkeit des Sängers Sivert Høyem zu Michael Stipe ist dabei natürlich reiner Zufall.

Interessant auch, dass zwei Songs auf Chimes At Midnight offenbar älteren Semesters sind, da sie als Mit-Komponisten Robert Burås ausweisen. Der ehemalige Gitarrist der Band wurde 2007 tot in seiner Wohnung aufgefunden. Er wurde nur 31 Jahre alt und galt als einer der besten Gitarristen des Landes. Hier ein alter Song von Madrugada mit Burås – der erste Song des ersten Albums Industrial Silence:

Marco: Arch Enemy – Deceivers (2022):
Der heute mit Abstand härteste Tipp in der Podcastfolge. Wie auch Alex‘ Madrugada ist die international besetzte Metal-Formation um Frontfrau Alissa White-Gluz längst kein Geheimtipp mehr, aber doch stets ein paar Sätze wert. Nachdem Gründungsmitglied Johan Liiva die Band um die Jahrtausendwende verlassen hatte, übernahm für 13 Jahre die Kölnerin Angela Gossow das Singen bzw. Growlen, ehe 2014 White-Gluz übernahm. Und selbst wenn Marco alle stimmlichen Facetten der Kanadierin zu schätzen weiß, so hat es ihm doch gerade der Cleargesang, den es unter Gossow nicht gab, hier zum Beispiel in Handshake with Hell, angetan:

Wir freuen uns immer, wenn Musiker*innen sich nicht dem Klischee vom „bösen“, harten Rocker hingeben. Wie im Podcast erwähnt ist White-Gluz als Straight Edger dafür ein strahlendes Beispiel: Keine Drogen, kein Alkohol, vegan und aktivistisch unterwegs. Aber nicht nur abseits der Bühne macht sie eine bemerkenswerte Figur. Auch auf der Bühne sind Arch Enemy eine absolute Macht und müssen keine Vergleiche scheuen: Musikalisch druckvoll, gesanglich alles einreißend, was nicht rechtzeitig aus dem Weg geht, die Intensität ist herausragend. Die Energie dringt bis in die kleinste Pore des Publikums.

#45 Tipps aus’m Pit: Februar 2023

Die Winterpause, die so richtig gar keine war, ist beendet und es geht endlich weiter in unserem regulären Veröffentlichungsrhythmus. Das bedeutet, heute gibt es das erste Mal im neuen Jahr unsere Tipps aus’m Pit auf die Kopfhörer: Womit hat sich der Wellenbrecherbereich in der letzten Zeit vermehrt beschäftigt? Bands, Alben, Filme, Zahnbürsten… Hä?! Ne, mit Musik sollte es schon irgendwie zu tun haben! Wir freuen uns, wenn ihr dabei seid. Weitere Informationen zu den heute besprochenen Tipps wie immer in schriftlicher Form im Blogbereich unter: Tipps aus’m Pit => #45 (oder anschnallen und hier klicken).

Fjørt – Nichts (2022)

von Felix und Alex

„Das Album spricht eine ziemlich hoffnungslose Sprache“
Chris im Interview mit dem Wellenbrecherbereich

Im November 2022 veröffentlichten Fjørt ihr viertes Album nichts. Derzeit spielen sie ihre Tour mit dem Titel Nichts hat mehr Bestand. In Bezug auf das Album lässt sich zunächst ganz nüchtern feststellen, dass das so nicht stimmt. Schon vor dem ersten Hören wird klar, einiges hat sehr wohl weiterhin Bestand. Die Songtitel beispielsweise bestehen weiterhin aus nur einem Wort. Und auch beim Hören wird schnell klar, dass sich die Band auch musikalisch treu bleibt – zum Glück. Fjørt liefern ihren eigenen Stil im Post Hardcore. Der Sound der Gitarre mal sphärisch, mal brachial, bildet unterstützt vom passenden Bass und Schlagzeug, das mit markanten und extrem kreativen Gimme-More-Beats aufwartet, den Rahmen für den Gesang.

„Wir nutzen da ein paar technische Spielereien… […] kriege ich die Rythmusgitarre aus dem Bass raus?! Das Signal wird audiotechnisch gesplittet, eins auf Gitarren-Amp, eins auf Bass-Amp
David im Interview mit dem Wellenbrecherbereich

Dieser Sound bleibt auch auf Nichts in vielen Teilen ein markantes Schreien, zeigt sich insgesamt aber facettenreicher als auf den Vorgänger-Platten.

„Das Schreien ist so da drin – das ist wie Fahrradfahren. Aber das Singen […], da hab ich mich bisher nicht so 100% getraut. Wir wollen uns aber immer weiter challengen. Wir haben einen hohen Anspruch, Dinge auszuprobieren und wollen lange Spaß daran haben.“
Chris im Interview mit dem Wellenbrecherbereich

Ich finde, dass es ein wesentliches Merkmal von nichts ist und dieses Album noch etwas abhebt. Als Beispiel: fernost enthält einen gesungenen Chorus, feivel in den Strophen ruhigere Gesangsteile und das in unserem Interview inhaltlich recht ausführlich besprochene kolt bietet in den Strophen eher einen Rap / Sprechgesang.

Im Song lakk (eine Konsumkritik) wurde – neben den Einspielern aus dem ersten deutschen Werbespot in den 50er Jahren – Kindergesang integriert (höre Interview) und bei lod ist sogar ein ganzer Knabenchor zu hören (höre ebenfalls Interview).

„Vierdrittel langt für mich.
Den Rest darfst du verteilen“

Das alles wird jedoch bemerkenswert dezent in die Songs integriert, so dass es dem Fjørt-typischen Hörvergnügen keinen Abbruch beschert. Ganz im Gegenteil, gerade diese Mischung aus klassischem Post-Hardcore – der mal, wie bei den Liedern schrot oder salz kompromisslos in die Fresse haut, dann wieder ruhige bis düstere Passagen hat, wie z.B. in dem instrumentalen wasser, oder bei tau – und den beschriebenen neuen Elementen – macht dieses Werk noch viel eindrücklicher und erhöht den Reiz des Nochmal-Hören-Wollens.

Ein weiterer Anreiz sind die Texte: Egal ob glasklar und schmerzhaft entlarvend ins Gesicht, wie in schrot – einer überzeugenden Kritik zu Fleischproduktion und -konsum:
Komm mal lang hier man, halt drauf, das lebt noch / wir sind die Creme de la Scheißdrauf!

Oder eher lyrisch oder kryptisch formuliert – nichts ist wie ein gutes Buch, in dem man bestimmte Passagen nochmal und nochmal liest, weil man sie so gelungen formuliert findet. Oder anders: Das Album ist wie ein Poetry Slam auf ganz hohem Niveau.

So vergibt der Wellenbrecherbereich trotz oder gerade wegen der „ziemlich hoffnungslosen Sprache“ für nichts, einem rundum gelungenen, abwechslungsreichen und atmosphärsch dichtem Album, das die Band eindeutig nochmal weiter nach vorne gebracht hat, bockstarke 9/10 Wellenbrecher.

Genuary Tipp 31/31: Emily Haines

Von Felix

Die kanadische Sängerin Emily Haines ist seit 1998 Kopf der Gruppe Metric. Der Großteil der Titel der Band auf den mittlerweile elf Studioalben und EPs stammt aus ihrer Feder. Letztes Jahr erschien die Platte Formentera. Metric spielen einen melodiösen, teilweise elektronisch beeinflussten Indie-Pop-Rock. Der Gesang Emily Haines harmoniert dabei hervorragend mit dem instrumentalen Arrangement. Er ist dabei so klar und trotzdem sehr stark und die intelligenten Texte kommen außergewöhnlich gut zur Geltung.

Schaut man genauer in die Biografie Haines, dann kann man weit abtauchen, denn auch ihr Vater – Jazzmusiker und Poet Paul Haines, hat ein bewegtes Leben auf Bühnen vieler Kontinente verbracht, ehe er sich in Kanada niederließ. Auch die Tochter kam 1974 in Neu-Delhi zur Welt. Wenn man so eine Leidenschaft für Texte, Musik und Gesang an den Tag legt, wie Emily Haines, dann ist man mit einem Projekt allerdings nicht ausgelastet. So ist sie auch Teil des kanadischen Indie-Pop Kollektivs Broken Social Scene und hat mit Emily Haines & The Soft Skeleton noch ihre ganz eigene Band, in der sie dann sehr ruhige, z.T. melancholische Lieder singt. So wie bei dem bereits 2007 veröffentlichten Lied Our Hell. Ihre Stimme kommt dabei fast noch etwas besser zum Tragen als bei Metric. Man hat somit eine ordentliche Auswahl an Emily Haines Songs – für fast jede Stimmung findet man etwas.

Genuary Tipp 30/31: Kochkraft durch KMA (Lana Van da Vla, Nicki Frenking)

von Alex

So sperrig der Name, so dringend die Empfehlung, ihn abzuspeichern. Kochkraft durch KMA polarisieren, daran besteht keinerlei Zweifel, wenn selbst die Band in Gestalt von Keyboarderin Nicki Frenking im Interview mit morecore.de zugibt: „Wir gehen auch gerne Leuten auf den Zeiger!“ Ihre Musikrichtung, bandintern bezeichnet als „Neue Deutsche Kelle“, ist schon ziemlich speziell und wabert zwischen Synthirock, Punk, Elektro und New Wave. Dazu die – so der Vorwurf – prätentiös anmutenden Texte, die bei Kritikern zu einem genervten Augenrollen und zumindest musikalisch zu Vergleichen mit Alexander Marcus führen (hey, nix gegen den Elektriker!). Der Tenor: Werdet erwachsen (sind alle Kinder tot? Gleich mehr dazu!)

Und zugegeben: Auch ich mochte längst nicht alles, was uns die Band aus NRW in früheren Werken aufgetischt hat. Was mir aber Respekt abverlangt, ist ihre Vehemenz, sich nicht in Schablonen pressen zu lassen. Weder musikalisch, noch textlich. Und wenn Sängerin Lana Van da Vla (Lana Giese) und Co. klingen wie eine wütende Mischung aus Grossstadtgeflüster und Deichkind und auf Nazis losgehen, bin ich in der ersten Reihe vorne voll mit dabei:

Der Vergleich mit Grossstadtgeflüster ist dabei kein Zufall, haben Jen Bender und Co. (mehr hier) auf Kochkrafts Zweitling Alle Kinder sind tot (2022) fleißig mitgewirkt. Ebenso wie Sperling – in der albumtitel-gebenden Single, die zweierlei anspricht: Die düstere Zukunft der Menschheit und den Fetisch „erwachsen“ werden zu müssen. Eine wütende Anklage:

Bei aller Ambivalenz, bei allem Polarisieren: Lana Van da Vlah und Co. wissen zu jeder Zeit, was sie tun – ob nun als Kinder oder Erwachsene – und liefern hier einen düster kreischenden, aber leider geilen Soundtrack zum Untergang der Gesellschaft. Auch Songs wie Wir fahren schnellerer oder Influencer:innen hassen diesen Trick (mit Rapperin Liser) sprechen mir inhaltlich extrem aus der Seele und sind dabei musikalisch so ungezwungen und korsettfrei, dass es fast frech ist. Kein Wunder, dass die Jungs von Fjørt (unser Interview hier) die aufstrebende Scheißdrauf-Kapelle für zwei Shows als Support mit auf Tour genommen haben (jetzt Mittwoch Dresden, Donnerstag Berlin). Eigene Shows folgen im Frühling (Tickets hier). Der Wellenbrecherbereich wird Kochkraft durch KMA definitiv im Auge behalten.

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