Kind Kaputt – Morgen ist auch noch kein Tag (2022)

Wir ertappen uns oft bei dem Gedanken:
“Ist eh alles egal, die Welt wird sowieso untergehen
Johannes im Interview mit dem Wellenbrecherbereich

von Felix

Bevor wir zu der Albumbesprechung kommen, müssen wir einmal mehr unser Bedauern darüber äußern, dass das im November angesetzte Konzert in Bremen leider abgesagt werden musste. Grund dafür war der schlechte Kartenvorverkauf. Diese leider mittlerweile gehäuft auftretenden Absagen sind für die Bands oder Künstlerinnen und Künstler, die Fans und die Veranstaltenden gleichermaßen mies. Gut für Kind Kaputt, dass es der einzige Termin der Tour war, der abgesagt werden musste, schlecht für uns, da wir für diesen Termin eigentlich ein persönliches Interview mit der Band führen wollten.

Daher bedanken wir uns ganz herzlich bei der Band und ihrem Tourmanagement, die sich kurzerhand die Mühe machten, unsere Fragen dann eben schriftlich zu beantworten. Merci!
So könnt ihr das komplette, ausführliche Interview mit Sänger und Gitarrist Johannes Prautzsch parallel zur Albumrezension auf unserem Blog lesen (klicke hier oder auf das Bild).

Drei Jahre nach dem Album Zerfall erschien im Oktober 2022 endlich eine neue Kind Kaputt-Platte. Morgen ist auch noch kein Tag kam wie der Vorgänger bei Uncle M, natürlich auch wieder in einer hübschen Vinylversion heraus. Das Artwork des Albumcovers (von Fabian Simon) zeigt genau, worum es auf der Platte geht: Kein Mensch würde sich auf eine Schaukel setzen, die einen offenkundig an die Wand klatschen ließe und trotzdem handeln wir beinah täglich achselzuckend ähnlich (selbst-)zerstörerisch. Anlass genug den Finger in die Wunde zu legen und das können Kind Kaputt ausgesprochen gut.

Es ging und geht uns nie darum, Musik für andere zu schreiben. Alles was wir machen,
tun wir, weil es uns selbst etwas bedeutet.
Johannes im Interview mit dem Wellenbrecherbereich

Die Lieder des zweiten Albums sind eine Mischung aus Kritik an Konsum, der individuellen, ewig rastlosen Glücksjagd und Selbstoptimierung und der Leichtgläubigkeit, die zuletzt z.B. diverse Verschwörungstheorien beflügelt hat. Die Platte lässt einen wenig hoffnungsvoll zurück. Mich hat sie aber genau aus diesem Grund auch sehr zufrieden zurückgelassen, denn Sänger Johannes findet häufig überzeugende Worte über Situationen, denen ich zum Teil nur noch kopfschüttelnd gegenüberstehe. Diese Texte sind auf dem neuen Album weit überwiegend eingebunden in hervorragend darauf abgestimmte Melodien.

Der Text entsteht dann meistens nachdem wir eine grobe instrumentale Skizze des Songs haben. Oft haben wir beim Schreiben des Instrumentals schon ein Thema oder einen Satz, der in eine bestimmte Richtung weist.
Johannes im Interview mit dem Wellenbrecherbereich

Dabei ist der Text zwar anklagend, aber auch selbstkritisch und nicht bloß mit dem Finger zeigend verfasst und die Musik in Rhythmus und Härte absolut treffend – so entstanden zwölf Songs zwischen Traurigkeit, Wut und Fassungslosigkeit, zu denen man sich trotzdem gerne mit anderen Menschen im Kreis drehen möchte.

Schauen wir also nochmal etwas genauer auf Einzelheiten des Albums. Schon das erste Quartal bestehend aus den Liedern Anfang und Ende, Glücklich Sein und Kenntnisstand hat mich voll überzeugt. Musikalisch abwechselnd – mal etwas poppiger, dann aber auch wieder etwas brachialer und stellenweise mit Textzeilen zum Einrahmen: „Ich möchte nichts mehr brauchen / Ich hab‘ doch schon so viel / Nur irgendetwas kaufen / Fürs gute Gefühl“

Mit CH20 befindet sich auch eine schöne Ballade auf der Platte, die sich mit dem Wunsch besondere, glückliche Momente oder Umstände konservieren zu wollen. Ein Gefühl, das vermutlich jeder schon mal kennengelernt hat, aber die Zeit läuft halt einfach weiter „und die Sonne scheint“, wie es dann nur ein Lied weiter im Song Wartezimmer heißt. Ein Song, der mich irgendwie besonders berührt, da er auf bewegende Art eine hoffnungslose Sprache spricht und musikalisch sehr dicht und intensiv ist.

Zwei Songs, die ein wenig aus dem musikalischen Raster fallen und trotzdem mit zu meinen Favoriten zählen, sind das Schlusslied In Frieden und der Titel Stolpern. Wobei das nicht ganz korrekt ist, In Frieden ist musikalisch durchaus gängiger Kind Kaputt Sound, fällt aber durch einen ungewöhnlichen Sprechgesang auf, bei dem lediglich ein Wort pro Takt in den Ring geworfen wird. Stolpern hingegen erinnert eher an einen OK Kid Song (was ja nicht schlimm, aber eben etwas ungewöhnlich ist). Hier gibt es einen Sprechgesangs-Part mit Auto-Tune-Anteilen und Drum-Computer und sehr reduzierter, aber sich dramatisch steigernder Melodie mit einem prägenden Bass im Chorus. Auch der Sprechgesang steigert sich im Verlauf des Songs, der meiner Interpretation nach die Gedankenwelt psychisch Erkrankter bzw. auch die Gefährdung des Abrutschens thematisiert und von dem ich jedes mal beim Hören denke, dass dieses Lied verdammt nochmal bei weitem mehr Aufmerksamkeit bekommen müsste!

Eigentlich könnte man beliebig so weiter machen, da sich in jedem Song gute Textzeilen finden und je nach eigener Stimmung findet man auch musikalisch, in den hier jetzt nicht explizit genannten Stücken geile Passagen, da es durchgehend facettenreich, aber nie aufdringlich zur Sache geht. Manchmal – das sei als Kritik noch angefügt – ist es für mich in Bezug auf die Härte etwas zu vorsichtig und könnte gelegentlich noch etwas stärker reinknallen. Ich könnte mir vorstellen, dass das auf der jetzt in Kürze noch startenden gemeinsamen Tour mit Smile and Burn auf der Bühne durchaus der Fall ist. Geht auf jeden Fall hin, denn:

Die Szene [ist] verglichen mit anderen Genres sehr klein und deshalb fällt es jetzt umso mehr auf, wenn die Leute zu Hause bleiben und die Clubs leer sind. 
Johannes im Interview mit dem Wellenbrecherbereich

Für mich insbesondere aufgrund der oft großartigen Texte ein starkes Album von einer dazu noch sehr sympathischen Band, welches sich bei uns 8 von 10 Wellenbrechern verdient.

Interview mit Johannes Prautzsch von Kind Kaputt

Wir waren verabredet mit den Jungs von Kind Kaputt, um vor ihrer Show in Bremen ein Interview zu führen. Leider fiel das Konzert aus (mehr dazu in der Albumrezension zu Kind Kaputts Zweitling Morgen Ist Auch Noch Kein Tag; klicke hier). Nun hat sich Sänger, Texter und Gitarrist Johannes Prautzsch dankenswerterweise die Zeit genommen und unsere Fragen in schriftlicher Form beantwortet. Hier also unser Interview, nicht wie gewohnt im gesprochenen, sondern im geschriebenen Wort. Viel Spaß!

Wellenbrecherbereich: Am 21.10. erschien euer inzwischen zweites Album Morgen ist auch noch kein Tag. Wie kam es zu diesem Titel? Und wie zum Albumcover mit der leeren Schaukel? Ein Verweis auf künftige Generationen, deren Zukunft (Morgen) gerade auf der Kippe steht (kein Tag)?

Johannes (Prautzsch): Das Album hat eine gewisse Ambivalenz zwischen hoffnungsvoll und Resignation. Auf der einen Seite sind da Songs wie “Gegen dich” oder “Gut gemeint“, die einen fast schon versöhnlichen Vibe haben. Auf der anderen Seite besitzen viele Songs einen bitteren Beigeschmack oder haben einen fast nihilistischen Unterton. Wir wollten mit Albumtitel und Artwork gerne beides in Einklang bringen. Deshalb “Morgen ist auch noch kein Tag” und das Bild mit der Schaukel. Auch mit dem Verweis auf künftige Generationen liegst du richtig. Wir ertappen uns oft bei dem Gedanken: “Ist eh alles egal, die Welt wird sowieso untergehen” und auch wenn das natürlich immer im Spaß gesagt wird, ist diese Angst vor der Zukunft natürlich total real. Mich persönlich überfordert das oft. Ich würde gerne etwas daran ändern, aber weiß aufgrund dieser übermenschlich großen Aufgaben überhaupt nicht, wo ich anfangen soll, oder was man tun kann, das wirklich etwas bewegt. 

Wellenbrecherbereich: Wie habt ihr damals als Band zusammengefunden? Wenn man dem Internet glauben darf, kommt ihr nicht unbedingt aus einer Region (Berlin, Nürnberg, Eschwege, Leipzig)? 

Johannes: Wir haben alle an derselben Hochschule in Mannheim studiert und im Verlauf des Studiums die Band gegründet. Mittlerweile wohnen wir wieder in Nürnberg, Leipzig und Berlin, weshalb wir Proben etc. immer etwas längerfristig planen müssen. Klappt aber ganz gut. 

Wellenbrecherbereich: Wer kam damals mit dem Bandnamen um die Ecke? Was bedeutet er? 

Johannes: Kind Kaputt steht für uns für eine Gefühlswelt, die wir während unserer Pubertät und auch später an der Uni durchlebt haben. Wir hatten alle oft das Gefühl fehl am Platz zu sein und die Erwartungen, die an uns gestellt werden und die wir uns auch selber stellen, nicht erfüllen zu können. Es hat sich lange so angefühlt, als wären wir Kinder, die plötzlich erwachsen sein müssen, aber das noch gar nicht wollen und daran zerbrechen. Das hat uns zu dem Namen Kind Kaputt geführt. 

Wellenbrecherbereich: Ihr tummelt euch im Post-Hardcore-Becken wie auch viele andere deutschsprachigen Bands: Fjørt , Van Holzen, Sperling, 8Kids, Marathonmann … jede Combo natürlich mit ihren eigenen Nuancen und Schwerpunkten. Boomt der deutschsprachige Post-Hardcore-Markt?

Johannes: Aufgrund der momentanen Entwicklung in der Live-Branche würde ich vielleicht sogar eher sagen, er stirbt gerade. Zumindest taumelt er. Aber andererseits stimmt es auch. In den letzten Jahren sehen wir immer mehr Bands, die im weitesten Sinne Rock/Punk Musik mit deutschen Texten machen. Ich glaube Vorreiter-Bands wie Fjørt und Heisskalt haben dazu geführt, dass viele Künstler*innen wieder deutschsprachige Texte für sich entdecken. Rückblickend glaube ich, es gab mal eine Zeit, in der das “uncool” oder cringe war und Bands wie Fjørt und Heisskalt haben dann gezeigt, dass es auch anders geht. Auch für unsere Musik waren beide Bands ein großer Einfluss. Trotzdem ist die Szene verglichen mit anderen Genres sehr klein und deshalb fällt es jetzt umso mehr auf, wenn die Leute zu Hause bleiben und die Clubs leer sind. 

Wellenbrecherbereich: Wie schwer ist für euch der Spagat zwischen „überzeugt und authentisch in der Nische Hardcore unterwegs sein“ aber gleichzeitig am besten auch so viele Menschen erreichen, dass ihr mit der Musik Geld verdient? 

Johannes: Für uns ist das eigentlich gar kein großes Thema. Wenn wir Songs schreiben, im Studio sind oder generell irgendetwas für diese Band machen, gibt es eigentlich nur eine Frage: “Finden wir es geil?” Wenn ja, dann wird’s gemacht. Wenn nein, dann lassen wir es. 

Ich glaube nicht, dass man nischig bleiben muss, um authentisch zu sein. Eigentlich geht es nur darum Musik zu schreiben, die uns selber und bestenfalls die Hörer*innen emotional berührt. Für mich hat das dann nichts mehr mit “Mainstream” oder “Nische” zu tun. Das ist in erster Linie Musik und der Rest bleibt Geschmackssache. 

Wellenbrecherbereich: Ist Musik, so wie man es selbst möchte überhaupt noch möglich oder macht man, selbst als unabhängige und autarke Band wie ihr es seid, ein Stück weit Musik, wie andere es möchten?

Johannes: Wie oben schon gesagt: Es ging und geht uns nie darum, Musik für andere zu schreiben. Alles was wir machen, tun wir, weil es uns selbst etwas bedeutet. Für uns existieren da zwei Welten: Zum einen das Musikmachen, die Kunst. Dabei versuchen wir komplett wir selbst zu sein und nur auf unser Bauchgefühl zu hören. Das kommt immer an erster Stelle. Und erst wenn das abgeschlossen ist, kommt die ganze Musik-Business Seite. Wie können wir die Songs vermarkten? Was können wir tun, damit möglichst viele Leute die Single hören? Dabei versuchen wir uns dann an die aktuelle Situation anzupassen und sind in gewisser Weise auch dazu gezwungen, mit dem Strom zu schwimmen. 

Wellenbrecherbereich: Warum gibt es in eurer Instrumentierung keinen Bass?

Johannes: Zu Beginn unserer Band hatten wir immer wieder wechselnde Bassisten. Auf unserer ersten Single ist auch noch ein Bass zu hören. Als unser letzter damaliger Bassist dann auch wieder ausgestiegen ist, hatten wir keine Lust uns nochmal auf die Suche zu begeben. Conna, Mathis und ich waren damals schon richtig gute Freunde und jemanden zu finden, der nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich dazu passt, hätte uns einfach zu lange gedauert. Wir wollten endlich live spielen, Songs veröffentlichen und loslegen. Deshalb haben wir nach Möglichkeiten gesucht, den Bass zu ersetzen und seitdem spiele ich eine sehr tief gestimmte Bariton-Gitarre über einen Bass- und über einen Gitarren-Amp. Seit unserer ersten EP (Die Meinung der Einzelnen) nehmen wir so auch im Studio auf.

Wellenbrecherbereich: Euch scheinen die Songtexte extrem wichtig zu sein. Allein auf dem neuen Album gibt es unzählige zitierwürdige Passagen.  Wie kommt ihr auf ein bestimmtes Thema und vor allem: Wie entsteht dann der Text dazu?

Johannes: Das sind alles Themen, die uns persönlich betreffen, weil wir sie selbst so erleben, oder weil Menschen, die uns wichtig sind, sie so erleben. Der Text entsteht dann meistens nachdem wir eine grobe instrumentale Skizze des Songs haben. Oft haben wir beim Schreiben des Instrumentals schon ein Thema oder einen Satz, der in eine bestimmte Richtung weist. Und von da aus geht’s dann weiter. Wir versuchen in letzter Zeit auch immer bewusst „sinnvolle“ Arbeitstitel für neue Songs zu wählen. „Vergessen“ ist zum Beispiel so ein Song. Da hat sich der Inhalt des Textes aus dem Arbeitstitel ergeben.

Wellenbrecherbereich: Auf der einen Seite ist es wahrscheinlich leichter in seiner Muttersprache genau das auszudrücken, was man sagen möchte. Auf der anderen Seite macht man sich viel angreifbarer für Kritik, wenn wirklich jeder versteht, was man da singt: Zu kitschig, zu prätentiös, zu schmalzig usw. Sind Texte in der Muttersprache ein intensiverer, ehrlicherer Seelenstriptease als solche in einer Fremdsprache (meist Englisch)?

Johannes: Ja, das finde ich schon. Ich glaube, bei deutschsprachigen Texten muss man viel genauer darauf achten, was man da eigentlich gerade sagt. Im Englischen hat man die Möglichkeit, deutlich allgemeiner zu bleiben, ohne dass es direkt auffällt. An Kritik denken wir beim Texten aber nie. 

Wellenbrecherbereich: Im Song Alles erreichen geht es um verschiedene Lebenswege von Menschen, um die Sorge der Eltern, was soll aus dem Jungen werden, aber auch um die Unsicherheit in einem selbst. Es gibt da diese schöne Textzeile: Ich glaube, nur wenn es nicht einfach ist, dann ist es Kunst. Deshalb die Frage, in Anlehnung an eine Podcast Folge von uns, die im nächsten Jahr erscheinen wird: Wann wird die Musik vom bloßen Handwerk zur Kunst?

Johannes: Ich glaube, auch hier liegt viel in der möglichen Emotionalität, die durch Musik ausgelöst werden kann. Es ist unmöglich, dafür eine allgemeingültige Aussage zu treffen. Es gibt einfach zu viele unterschiedliche Geschmäcker. Aber ich für meinen Teil glaube: Wenn ein Stück Musik eine Emotion in mir auslösen kann, dann ist das Kunst. Wenn ich nichts fühle, sondern einfach nur die technische Raffinesse bewundere, dann ist es für mich Handwerk. 

Die Textzeile in “Alles erreichen“, die du angesprochen hast, ist auch eine Selbstreferenz. Wir haben lange Zeit unterbewusst unsere Texte verschachtelt, in dem Glauben, dass sie dadurch besser oder wertvoller werden. Rückblickend glaube ich, dass man sich hinter allzu komplizierten Metaphern auch verstecken kann. Das ist eine Art Selbstschutz, weil man sich nicht traut, die teilweise unangenehmen Wahrheiten direkt auszusprechen. 

Wellenbrecherbereich: Im Song Anfang und Ende geht es kapitalismuskritisch zu. Ihr sprecht über unsere Überfluss- und Wegwerfgesellschaft, über blinden Konsum. Ein Teufelskreis, da ja unsere Wirtschaft auf Wachstum ausgelegt ist, trotz der endlichen Ressourcen auf unserem Planeten. Soll heißen: Kommen wir ohne einen Systemwechsel überhaupt raus aus dem Konsumzwang  und -fetisch?

Johannes: Hui, jetzt wird es wirklich komplex. Ich versuchs mal so:
Ich scheue mich, da klare Forderungen zu formulieren, weil dieses Thema so unendlich vielschichtig ist und weil sich meine Einstellung dazu über die Jahre auch verändert hat. Ich glaube, dass ein Großteil des Problems in jedem Menschen selbst steckt. Wir sind oft gierig und egoistisch. Wir wollen überleben und denken deshalb immer zuerst an uns selbst. Zumindest ist das der Urzustand. Bildung (vor allem Soziale Bildung) kann dann dafür sorgen, dass wir diese Denkmuster durchbrechen und unseren Fokus mehr auf die Gemeinschaft lenken. Auch dafür gibt es wieder keine einfache Lösung. Ich glaube aber, es würde helfen, wenn unsere Schulsysteme mal grundsätzlich überdacht werden. Frontalunterricht und auswendig lernen wird uns nicht durch das 21. Jahrhundert bringen.

Wellenbrecherbereich: Bei welcher Band wart ihr zuletzt im Wellenbrecherbereich bzw. Moshpit?

Johannes: Ich bin ehrlich gesagt kein großer Moshpit-Fan. Ich höre mir Konzerte lieber von weiter hinten an. Deshalb ist mein letzter Pit schon ziemlich lange her. Ich glaube, das muss auf der “Vom Stehen und Fallen” Release Tour von Heisskalt gewesen sein. Da war ich auch Stage-Diven! 

Der Wellenbrecherbereich bedankt sich recht herzlich für das ausführliche Beantworten unserer Fragen!

Genuary Tipp 31/31: Emily Haines

Von Felix

Die kanadische Sängerin Emily Haines ist seit 1998 Kopf der Gruppe Metric. Der Großteil der Titel der Band auf den mittlerweile elf Studioalben und EPs stammt aus ihrer Feder. Letztes Jahr erschien die Platte Formentera. Metric spielen einen melodiösen, teilweise elektronisch beeinflussten Indie-Pop-Rock. Der Gesang Emily Haines harmoniert dabei hervorragend mit dem instrumentalen Arrangement. Er ist dabei so klar und trotzdem sehr stark und die intelligenten Texte kommen außergewöhnlich gut zur Geltung.

Schaut man genauer in die Biografie Haines, dann kann man weit abtauchen, denn auch ihr Vater – Jazzmusiker und Poet Paul Haines, hat ein bewegtes Leben auf Bühnen vieler Kontinente verbracht, ehe er sich in Kanada niederließ. Auch die Tochter kam 1974 in Neu-Delhi zur Welt. Wenn man so eine Leidenschaft für Texte, Musik und Gesang an den Tag legt, wie Emily Haines, dann ist man mit einem Projekt allerdings nicht ausgelastet. So ist sie auch Teil des kanadischen Indie-Pop Kollektivs Broken Social Scene und hat mit Emily Haines & The Soft Skeleton noch ihre ganz eigene Band, in der sie dann sehr ruhige, z.T. melancholische Lieder singt. So wie bei dem bereits 2007 veröffentlichten Lied Our Hell. Ihre Stimme kommt dabei fast noch etwas besser zum Tragen als bei Metric. Man hat somit eine ordentliche Auswahl an Emily Haines Songs – für fast jede Stimmung findet man etwas.

Genuary Tipp 30/31: Kochkraft durch KMA (Lana Van da Vla, Nicki Frenking)

von Alex

So sperrig der Name, so dringend die Empfehlung, ihn abzuspeichern. Kochkraft durch KMA polarisieren, daran besteht keinerlei Zweifel, wenn selbst die Band in Gestalt von Keyboarderin Nicki Frenking im Interview mit morecore.de zugibt: „Wir gehen auch gerne Leuten auf den Zeiger!“ Ihre Musikrichtung, bandintern bezeichnet als „Neue Deutsche Kelle“, ist schon ziemlich speziell und wabert zwischen Synthirock, Punk, Elektro und New Wave. Dazu die – so der Vorwurf – prätentiös anmutenden Texte, die bei Kritikern zu einem genervten Augenrollen und zumindest musikalisch zu Vergleichen mit Alexander Marcus führen (hey, nix gegen den Elektriker!). Der Tenor: Werdet erwachsen (sind alle Kinder tot? Gleich mehr dazu!)

Und zugegeben: Auch ich mochte längst nicht alles, was uns die Band aus NRW in früheren Werken aufgetischt hat. Was mir aber Respekt abverlangt, ist ihre Vehemenz, sich nicht in Schablonen pressen zu lassen. Weder musikalisch, noch textlich. Und wenn Sängerin Lana Van da Vla (Lana Giese) und Co. klingen wie eine wütende Mischung aus Grossstadtgeflüster und Deichkind und auf Nazis losgehen, bin ich in der ersten Reihe vorne voll mit dabei:

Der Vergleich mit Grossstadtgeflüster ist dabei kein Zufall, haben Jen Bender und Co. (mehr hier) auf Kochkrafts Zweitling Alle Kinder sind tot (2022) fleißig mitgewirkt. Ebenso wie Sperling – in der albumtitel-gebenden Single, die zweierlei anspricht: Die düstere Zukunft der Menschheit und den Fetisch „erwachsen“ werden zu müssen. Eine wütende Anklage:

Bei aller Ambivalenz, bei allem Polarisieren: Lana Van da Vlah und Co. wissen zu jeder Zeit, was sie tun – ob nun als Kinder oder Erwachsene – und liefern hier einen düster kreischenden, aber leider geilen Soundtrack zum Untergang der Gesellschaft. Auch Songs wie Wir fahren schnellerer oder Influencer:innen hassen diesen Trick (mit Rapperin Liser) sprechen mir inhaltlich extrem aus der Seele und sind dabei musikalisch so ungezwungen und korsettfrei, dass es fast frech ist. Kein Wunder, dass die Jungs von Fjørt (unser Interview hier) die aufstrebende Scheißdrauf-Kapelle für zwei Shows als Support mit auf Tour genommen haben (jetzt Mittwoch Dresden, Donnerstag Berlin). Eigene Shows folgen im Frühling (Tickets hier). Der Wellenbrecherbereich wird Kochkraft durch KMA definitiv im Auge behalten.

Kochkraft durch KMA auf Instagram
Kochkraft durch KMA auf YouTube

Genuary Tipp 29/31: The Bobby Lees (Sam Quartin und Kendall Wind)

Von Felix

Für mich sind The Bobby Lees ganz klar eine der Bands, bei denen ich einfach nicht begreife, warum sie nicht viel mehr Aufmerksamkeit bekommen. Punk, Grunge, Garage Songs mit einer Treibkraft, wie ich sie zuletzt am ehesten noch bei Clowns aus Australien empfunden habe. Zumindest innerhalb der Szene hätte ich eigentlich auch in Europa mehr Fans der Amerikaner erwartet. Sam Quartin ist Sängerin und Gitarristin, Kendall Wind die Bassistin des Quartetts. Im Oktober 2022 kam ihr drittes Studioalbum Bellevue raus und jeder, der es nicht kennt und dem Garage-Punk grundsätzlich nicht abgeneigt ist, muss es hören. Eigentlich alle, die auf von fetten Bässen und verzerrten Gitarren angetriebene Rockmusik stehen.

Die neue Platte ist ein Arschtreter und steht dem Vorgänger Skin Suit in nichts nach. Das Debut Beauty Pageant aus 2018 ist von den Songs her ebenfalls stark, Der Aufnahme fehlt im Sound manchmal etwas Tiefe oder Druck – eigentlich klassischer Garage-Sound, aber wenn man hört wohin der bei einer guten Produktion führen kann, dann verzichte ich gerne auf Garagen-Romantik. Skin Suit wurde von Jon Spencer produziert, der Sound damit deutlich verbessert und auf dem dritten Album durch keinen Geringeren als Vance Powell (u.a. White Stripes, Arctic Monkeys) noch weiter perfektioniert. Entscheidend ist aber die Wucht Sam Quartins, die beinahe jedem Song durch ihren (positiv) irren Gesang ihren Stempel aufdrückt. Wie im Titelgebenden Bellevue.

Hinter dieser prägenden Persönlichkeit der Band steckt eine bewegte Geschichte. Eltern geschieden, Erfahrungen mit Alkohol seit dem frühen Teenageralter, die sie zu massiven Alkoholmissbrauch bringt. Die Folgen oder Auswirkungen davon ist eine langanhaltende Phase mit massiven schizophrenen Psychosen, aus der wohl auch der Bandname hervorging – Bobby Lee als Geist einer Halluzination. Über ihre Vergangenheit berichtet sie ausgesprochen offen und sie ist in der Lage diesen Erfahrungen zumindest im Nachhinein viel Positives abzugewinnen, denn nach eigener Aussage, hatte sie davor immer große Ängste etwas vor Leuten zu machen, die nach dieser Episode, aus der sie sich glücklicherweise irgendwie selbst heraus manövrierte, völlig verschwunden waren. Ich verlinke hier zwei Interviews, in denen sie offen und ausführlich berichtet (Illinois Entertainer; Tinnitist) . Für sie und alle Musikfans ein Segen. Sam Quartin ist jetzt seit bald sechs Jahren trocken und ich hoffe, dass der Weg ihrer Band The Bobby Lees gemeinsam mit Bassistin Kendall Wind noch viel weiter und vor allem auch wieder nach Europa geht. Ich würde sie gerne live sehen und habe die Gelegenheit letzten Sommer verpasst.

Nebenbei sei noch erwähnt, dass Sam Quartin auch als Schauspielerin unterwegs ist und unter anderem in John Swabs Horrorfilm Candy Land aus dem Jahr 2022 auftritt. Trailer gibt es bei Youtube, Film sicher irgendwo zu streamen. Ic hwürde aber gerne nochmal mit Musik enden und mit einem Song vom 2020 Album Skin Suit schließen: Guttermilk