Genuary Tipp 27/31: Nizza Thobi und Chava Alberstein

Von Felix

Ein Gedenktag ist in der Regel ein Tag, um den Menschen eine Stimme zu geben, denen ihre eigene grundlos genommen wurde. Der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust mag gemessen an den Taten mickrig wirken, bleibt jedoch wichtig bzw. wächst in den letzten Jahren in seiner Bedeutung, weil die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus immer diffuser wird. Diese Gedenktage können helfen, ein Bewusstsein zu schaffen, dass es nicht um einen abstrakten Zeitabschnitt in der Geschichte geht, sondern um Menschen, Millionen Menschen, denen kaum vorstellbares Unrecht widerfahren ist, die grundlos diskriminiert, inhaftiert, misshandelt und ermordet wurden. Von zu vielen ist zu wenig geblieben. Überlebt haben zu wenig und die wenigen Zeitzeugen sind jetzt bald 80 Jahre nach dem Krieg zu einem großen Teil auch verstorben. Aber auch die Kunst kann den Menschen eine Stimme verschaffen und somit auch die Musik. Lieder aus der Zeit ab 1938, die im jüdischen Widerstand, in Ghettos und in Konzentrationslagern entstanden und die diese Zeit zum Glück überdauerten, hatten viele Funktionen. Ausdruck von Trauer, Angst und Entsetzen, aber viele Lieder dienten auch der Hoffnung auf Gerechtigkeit und dem Willen zum Kampf.

Diese Lieder zu interpretieren und auf die Bühne zu bringen, bedeutet auch, den Ermordeten wieder eine Stimme zu geben und ich finde es wichtig, diese Lieder wenigstens an diesem Gedenktag aufleben zu lassen, damit wir uns erinnern, dass Musik so viel mehr ist und für so viele Familien und Menschen, die nicht weiterleben durften, ist diese Musik sogar ein Vermächtnis. Umso schöner, dass Künstlerinnen wie Nizza Thobi oder Chava Alberstein dieses Liedgut auch in den letzten Jahren und Jahrzehnten zum Teil neu aufgenommen haben und regelmäßig bei Live-Auftritten ihrem Publikum vortragen. Wer mehr wissen möchte, über jüdische Musik aus der Zeit des Holocaust, dem sei die Seite Yad Vashems und die dort aufgeführten Links ans Herz gelegt.

Chava Alberstein wurde kurz nach dem Krieg in Stettin geboren und ist mit ihren Eltern 1951 nach Israel ausgewandert. Sie hat bereits in den sechziger Jahren begonnen Platten zu veröffentlichen und bis ins Jahr 2008 eine unglaublich umfassende Diskographie erschaffen. Dabei ist der Großteil ihrer Lieder auf hebräisch gesungen. Sie hat sich in Israel zu einer unbequemen politischen Liedermacherin entwickelt. Außerdem hat sie auch immer wieder Lieder aus der Zeit des Nationalsozialismus auf Yiddish auf ihren Platten. So wie das bekannte Zog nit keyn mol aus dem Ghetto Wilna, das nach dem Krieg auch als Partisaner Himn bekannt wurde.

Nizza Thobi ist 1947 in Jerusalem geboren und lebt mittlerweile in München. Sie hat ihr Leben der Musik gewidment und auf ihren in Deutschland erschienen Tonträgern befinden sich ebenfalls immer wieder mit ihrer markanten Stimme bewegend vorgetragene Lieder aus dem Holocaust. So wie das bereits 1938 nach den Pogromen entstandene Lied Es Brent. So viel auch zum Thema „Wir haben nichts gewusst“.

Welche Probleme und Herausforderungen die Gegenwart auch bereit hält. Nichts bietet einen Grund oder Anlass die Taten der Deutschen in den Jahren von 1933 bis 1945 zu verharmlosen, zu relativieren oder zu negieren oder zu glorifizieren. Nazis und Neonazis müssen endlich verschwinden! Musik gegen das Vergessen und Verdrängen!

Genuary Tipp 24/31: Shitney Beers

Von Felix

Wer bei Grand Hotel van Cleef veröffentlicht, ist längst kein Geheimtipp mehr. Trotzdem könnte der Bekanntheitsgrad Shitney Beers durchaus höher sein, denn sie spielt einen so eingängigen Indie-Pop-Rock-Punk / Songwriter Mix, mit sehr schönen radiotauglichen Melodien. Aber wer versteht schon den Geschmack der großen Masse. Auf ihrem 2022 gerade erst im Dezember erschienenen neuen Album heißt der Titel dann auch einfach This Is Pop und ich finde, es wäre schön, wenn es so wäre. In jedem Fall schreibt Shitney Beers oder Maxi Haug, wie sie eigentlich heißt Lieder über Liebe, gescheiterte Liebe und Probleme des Alltags und vielleicht liegt es an ihren Texten, dass der Durchschnittshörer mit der Nase rümpft, dabei sind gerade die eigentlich häufig mit einer schönen Note Ironie versehen und laden zum aktiven Mithören ein. Shitney Beers Songs sind also zu schade zum einfach nebenbei hören, sonst entgehen einem so schöne Textzeilen wie:

We're eating baileys and ice dream on my bed
But there's one thing I haven't told you yet
And it's I'm lactose intolerant

Diese Zeile stammt aus dem Song Movements und ich gebe zu, dass ich vom Titel zunächst einen anderen Inhalt erwartete, umso mehr musste ich schmunzeln, als ich feststellte, worum es eigentlich geht – Bowel Movement. Das ist in jedem Fall der gefühlvollste Song über Stuhlgang, der je komponiert wurde.

Neben einer ganzen Reihe ruhigerer Akustiksongs befinden sich auch einige schnellere bunt gemischte Songs auf dem Album. Ein Song der definitiv mit zu den tanzbarsten gehört ist der Titel Pop Queen. Der Titel wurde gemeinsam mit Elena Steri aufgenommen, die eher im elektronischen Indie-Pop unterwegs ist. Wovon man sich auf dem ebenfalls 2022 erschienenen Album Soft Trigger überzeugen kann. Die Mischung passt aber hervorragend, denn herausgekommen ist einfach nur ein geiler gute Laune Song, dessen Stimmung durch das Video auch noch verstärkt wird.

Die This Is Pop-Tour läuft Ende Februar an, Tickets gibt es hier im GHvC-Shop. Wir freuen uns drauf und sind gespannt, welchen Mix es auf der Bühne zu sehen geben wird. Denn auf dem Vorgänger-Album Welcome to Miami sind ausschließlich Lo-Fi Punk oder Indie Songwriter Songs zu hören. Sehr ruhig, aber sehr gemütlich, für jemanden wie mich, der Musik hört, wie andere Bücher lesen – im Sessel mit einem (je nach Stimmung und Musik) Tee, Kaffee, oder Bier – ist diese Platte fast noch ein winziges Stück besser oder zumindest etwas ernster als das neue Album. Das alte Album erschien noch beim Label Zeitstrafe. Der Song Keys ist textlich und musikalisch ein schönes Beispiel und für alle die Musik lieber sehen als hören, gibt es dazu auch ein Video, in dem der Text praktischerweise gleich mit angezeigt wird. Das ist auch gut, weil dieser Text einer zum hinter die Ohren schreiben ist.

Genuary Tipp 23/31 Spelling

Von Felix

Wir blicken nach zwei deutschen Acts in Folge mal wieder in die USA. Mit Spelling aus Kalifornien gibt es dort eine Künstlerin, Tia Cabral mit bürgerlichem Namen, die 2021 mit The Turning Wheel ihr drittes Studio-Album veröffentlicht hat. Spellling übt auf mich eine merkwürdige Faszination aus, da sie Indie-Pop Songs komponiert und singt, die eigentlich viele Elemente enthalten, die ich gar nicht mag. Viel Pop, viel Klingklang, viel Drama und zum Teil sehr hoher Gesang. Aber was soll ich sagen, alles ist so hervorragend dosiert und arrangiert, dass am Ende eher ein Art-Pop dabei herauskommt der unfassbar viele Assoziationen im Kopf entstehen lässt und es mir unmöglich machte, abzuschalten. Beinahe jedes Lied beinhaltet etwas neues Faszinierendes. Beim ersten Hören des letzten Albums dachte ich mal an Busta Rhymes, Eurythmics und auch konkret an den Gesang Annie Lennox, oder an die Musik von Sleigh Bells, 70er Jahre Zeichentrick-Serien, dann wieder an Film Noir Soundtracks und so weiter. Ein Beispiel gefällig? Hier der Song Queen of Wands und ich wette, ich muss nicht mal dazusagen, welche der oben aufgezählten Assoziationen dazu passen:

Wer beim ersten Hören nicht überzeugt ist, Album zurückstellen. Bei mir kam nach einigen Wochen ein Drang, dem Album eine zweite Chance zu geben und es hat mich dann offensichtlich auf den richtigen Vibes erwischt. Ich bin jetzt so angetan von der Künstlerin, dass ich ihre Platten sammeln möchte und mit großer Freude gesehen habe, dass es mittlerweile auch drei Tapes gibt. Richtige oldschool Mixtapes made by Spellling, wie geil ist das bitte?! So empfehle ich wieder mal allen Lesern die von uns so oft gepredigte Expedition über den Tellerrand zu unternehmen – von Zeit zu Zeit lohnt sich das einfach.

Für solche vielfältigen Klangwelten braucht die Sängerin eine ganze Reihe Musiker, die für ihr Album die Musik einspielten, produziert ist das ganze aber wiederum von ihr selbst. Bei diesem Musikstil sicher eine gute Lösung, denn nur so kommt am Ende auch das zum Vorschein, was dem Anspruch dieser bemerkenswerten Künstlerin genügt. Ich scheine aber auch nicht der einzige Mensch zu sein, der bevorzugt harte Musik hört und trotzdem diese Künstlerin schätzt: Im November spielte Spellling auch auf der Turnstile Tour. Krasse Kontraste – Ying und Yang. Leider habe ich davon keine Aufnahme finden können, gute andere Live-Aufnahmen gibt es aber doch eine ganze Reihe und so schließe ich mit einer Live-Version des Songs Boys at School.

https://www.youtube.com/watch?v=Xt1rtF2col4

Genuary Tipp 22/31: Lulu und die Einhornfarm

Von Felix

Lucie Fuckface, Sängerin auch bei The Toten Crackhuren im Kofferraum hat mit Lulu und die Einhornfarm ein weniger elektronisches mehr punkiges Projekt am Start. Alles Weitere bleibt ähnlich. Die Texte sind direkt, ironisch, sarkastisch und manchmal irgendwie sogar etwas tragisch, denn wenn man ihrem Gesang und ihren Texten richtig zuhört ist das häufig vordergründig etwas witzig verpack, thematisiert aber doch oft sehr ernste Themen. Das finde ich immer sehr bemerkenswert, wenn es gelingt, da es sonst auch schnell nach Lustig-Lustig-Saufi-Saufi-Punk klingen kann. Zugegeben, Die Songs machen schon Spaß und lassen sich sicher auch hervorragend an feuchtfröhlichen Abenden mitgrölen.

Am 24. Februar erscheint das neue Album Alles klärchen Bärchen (bei Bakraufarfita). Die bereits veröffentlichten Titel zeigen, dass dies auch auf dem neuen Tonträger so weitergehen wird, Das trifft natürlich nicht auf alle Titel zu. Im Bus wird nicht gekackt hat keine tiefgründigere Message. Das ist bei dem Song Ich bin so lustig, wenn ich betrunken bin schon etwas anders. Alkohol macht vielen von uns Spaß, bereitet aber auch sehr viele Probleme, eines der noch harmlosen Probleme ist dabei die fehlende oder verzerrte Selbstwahrnehmung – das wird hier sehr gut dargestellt.

Das 2016 veröffentlichte erste Album Ihr seid Alle scheiße zeigte bereits Krawall-Lyrik muss nicht immer stumpf sein und kann auch Spaß machen. Wobei ich es ebenfalls sehr schätze, dass die einzelnen Songs dann auch eine angenehme Kürze haben, sonst nutzt sich das Hau-drauf-Prinzip doch irgendwann recht schnell ab. Somit bleiben Lulu und die Einhornfarm ein Tipp für etwas kurzweilig polemische Sozialkritik. Macht Spaß, ist dreckig und trotzdem nicht ganz belanglos. Und weil der Titel so schön ist schließen wir mit dem lyrischen Mittelfinger:

Genuary Tipp 20/31: Velvet Two Stripes

Von Felix

Wir sprachen im Podcast bereits häufiger darüber, dass wir musikalisch in alle Stilrichtungen offen sind. Ich kann in fast allen Stilen und Genres Bands, Künstlerinnen oder Künstler benennen, die mir gut gefallen. Trotzdem verharre auch ich häufig über gewissen Zeiträume – manchmal Tage, mal Wochen oder Monate – in bestimmten Musikrichtungen. Aktuell eher mal wieder im Hardcore und Punk. Dieses Verharren hält dann meist so lange an, bis mir ein Song begegnet der mich vom ersten Moment an packt und umhaut und aus dem musikalischen Dornröschen-Schlaf wachküsst. Vor kurzem waren das eben die Velvet Two Stripes mit ihrem Song Catch 22. Umhauen darf man hier nicht missverstehen, es ist zu Beginn ein sehr ruhiges Stück, aber mit diesem astreinen Bluesrock wurde ich an eine Musikrichtung erinnert, die ich sehr lange vernachlässigt habe. Das hat auch den Grund, dass mir viele Interpreten dieser Richtung zu kompliziert und / oder langatmig erscheinen. Velvet Two Stripes zeigen, dass Bluesrock auch sehr stark ist, wenn er direkt und mit der richtigen Energie gespielt wird.

Der Titel ist von dem letzten Album Sugar Honey Iced Tea, welches im Oktober 2021 herauskam. Leider ist dieses so wie die anderen aktuell nicht mehr als Tonträger verfügbar. Das ist sehr bedauerlich. Die Band besteht aus Sophie Diggelmann (Gesang und Gitarre), Sara Diggelmann (Gitarre) und Franca Mock (Bass). Am Schlagzeug werden sie live von Dave Flütsch unterstützt. Die drei Schweizerinnen haben damit 2021 ihr bereits drittes Album herausgebracht und sie bestehen bereits seit 2010 wenngleich es noch etwas dauerte, bis die ersten Veröffentlichungen auf den Markt kamen. Ich habe erst im letzten Jahr über GRRRL-Noisy kennengelernt. Das Album überzeugt mich durch die Abwechslung denn einige Stücke gehen eher in eine Garage oder Fuzz-Rock Richtung (wie z.B. Two To Tango), während andere eben klar zum Blues tendieren (wie z.B. FU).

Es ist sehr schade, dass aktuell keine Konzerte in Planung sind. Ich hoffe, dass sich das demnächst noch ändert. Ich habe mich jetzt durch ihre Discographie gehört und bin sehr froh diese Formation jetzt nach erst zwölf Jahren ihres Bestehens für mich entdeckt habe – sicher noch nicht zu spät, denn auf ihrem dritten Album klingen sie so wie eine Band, die sich gefunden hat und wenn man Interviews mit ihnen liest oder schaut, dann sagen sie es letztlich auch genau so. Sie haben nach einem anfänglichen Hype in der Schweiz mit den Jahren immer mehr als Band bzw. als Trio zusammengefunden und können so auch ihre Rolle als mögliches Vorbild vor allem, aber nicht nur für junge Frauen voll ausfüllen, denn auch im (Blues-)Rock ist auf und vor der Bühne noch ein klarer Männer-Überschuss.

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