In der Welt der audiophilen Popkultur-Romane hat sich für mich ein Werk besonders hervorgetan, das bereits in unserem Podcast Erwähnung fand (höre hier) und nochmal einen „kleinen“ Bruder bekommen hat. Die Rede ist natürlich von High Fidelity von Nick Hornby aus 1995 und Telegraph Avenue von Michael Chabon aus 2012. Beide Romane erkunden auf ihre eigene Weise die Dynamik von Freundschaft und Musik im urbanen Leben. Doch inwieweit sind sie wirklich miteinander vergleichbar?
Telegraph Avenue Michael Chabons Telegraph Avenueentführt uns in die pulsierende Atmosphäre von Oakland, Kalifornien, in der zwei Männer, Archy Stallings und Nat Jaffe, ihren eigenen Plattenladen, Brokeland Records, betreiben. Ihre Bindung wird nicht nur durch ihre Liebe zur Musik, sondern auch durch familiäre und geschäftliche Herausforderungen auf die Probe gestellt. Chabon webt geschickt eine Erzählung, die die Vielschichtigkeit des modernen Lebens in einer gentrifizierenden, diskriminierenden Stadt einfängt. Mit tiefsinnigem Humor und einer Flut von musikalischen Anspielungen (gleich mehr) zeigt er, wie Identität und Kultur miteinander verbunden sind.
High Fidelity Nick Hornbys High Fidelity spielt im London der 90er Jahre und erzählt ebenfalls die Geschichte eines Plattenladenbesitzers (Championship Vinyl), Rob Fleming – im gleichnamigen und ebenso großartigen Film übrigens Rob Gordon, gespielt von John Cusack. Wichtig zu betonen: High Fidelity ist in Ich-Form gechreiben und treibt durch seine introspektiven Monologe die Handlung voran. Es dreht sich hauptsächlich um die Höhen und Tiefen von Flemings Liebesleben, während er Top-5-Listen von allem erstellt, was ihm in die Quere kommt. Gleich zu Beginn auf wunderbar neurotische Weise sogar die Top 5-Trennungen.
Hornby schreibt mit einem scharfen, ironischen Ton, der die männliche Psyche in der Midlife-Crisis bloßlegt. Sein London ist ein Mikrokosmos der Musik-Obsession und der Versuche, das Leben durch die Linse von Vinylplatten zu verstehen. Der Stellenwert von Musik wird hier doppelt unterstrichen (Spoiler: Bald werden wir auch im Podcast über das Thema Musikkonsum und -wichtigkeit sprechen!). In einer Szene stellt sich Fleming vor, er würde gar Beziehungstipps vom Boss persönlich, von Bruce Springsteen, erhalten:
Show a little faith, there’s magic in the night You ain’t a beauty, but hey, you’re alright Thunder Road
Hornbys Werk brilliert durch seine unmittelbare und oft humorvolle Herangehensweise an die Lebensrealitäten der männlichen Generation X.
Unterschiede Wo also liegen die Parallelen und Unterschiede zwischen beiden Werken? Beide Autoren erforschen die Männerfreundschaft in der Welt der Musik, jedoch mit ganz unterschiedlichem Fokus. Während Hornby sich auf die persönliche Reife und die Unfähigkeit, erwachsen zu werden, konzentriert, betont Chabon die sozialen und ethnischen Spannungen in einem sich wandelnden urbanen Umfeld.
Telegraph Avenue will dabei zu viel und weiß deshalb nicht immer, was es sein will. Klar, das Buch ist mit knapp 670 Seiten etwa doppelt so dick wie High Fidelity und bietet somit mehr Raum. In der Tiefe der Charakterentwicklung und der atmosphärischen Darstellung überragt Telegraph Avenue. Chabon kombiniert geschickt historische und soziale Themen mit eindrucksvoller Erzählweise, die sowohl einfühlsam, als auch unterhaltsam ist. Kritisieren könnte man indes, dass sich der Autor bei den vielen geöffneten Baustellen und Themengebieten verzettelt. So ist das Buch mal Gangsterklamotte in den zeitlichen Rückblenden zu Archie Stallings Vater, mal Gesellschaftsstudie in den Passagen mit Jaffes und Stallings Frauen, die gemeinsam als Hebammen arbeiten (ich war noch nie so nah bei einer Hausgeburt dabei, extrem stark geschrieben!) und mit Rassismus zu kämpfen haben (Archie Stallings Frau ist schwarz und im Übrigen selbst hochschwanger) und mal Coming of Age (Jaffes Sohn Julius ist dabei sich und seine sexuelle Orientierung zu finden). Dabei werden der Plattenladen und seine bedrohte Existenz, die immer wieder eingeworfene Musik und die absolut kultigen Tresengespräche im Laden (zu) weit in den Hintergrund gedrängt.
Apropos Musik Bei der Musik gehe ich mit High Fidelity, aber nur knapp. In Chabons Werk lernen wir einen Plattenladen kennen, der sich auf anspruchsvollen Jazz spezialisiert hat, was zumindest meinen Horizont enorm erweitert hat. Wir lesen sowohl weltberühmte Namen wie Marvin Gaye, James Brown, Herbie Hancock oder John Coltrane, als auch – zumindest für den gemeinen Rockmusik-Fan wie mich – eher unbekanntere wie Sun Ra oder Ornette Coleman (Asche auf mein Haupt!).
Ich habe es geliebt, das Buch zu lesen, mir fleißig Notizen zu machen und mich anschließend durch die mir unbekannten Referenzen zu hören.
Bei Hornby hingegen werden Bands wie The Smith, Green Day, The Beatles oder The Clash thematisiert. Und was geht da schon drüber? Andererseits wird ein Kunde, der den Song „I just called to say I love you“ von Stevie Wonder sucht, von Flemings Mitarbeiter (im Film gespielt von Jack Black) hochkant aus dem Laden befördert.
Fazit Insgesamt sind sowohl Telegraph Avenue als auch High Fidelity sehr lesenswerte Bücher der audiophilen Popkultur, die durch ihre tiefgründigen Charaktere und ihre lebendige Darstellung der Musikwelt fesseln. Beide Werke nutzen Musik nicht nur als Hintergrund, sondern als essentiellen Bestandteil ihrer Erzählung. Sie ist das Band, das die Charaktere und ihre Geschichten zusammenhält. Doch High Fidelity schafft es deutlich besser, sie als Destillat zu konzentrieren.
Sommerzeit = Festivalzeit! In unserer Folge 13 (Sauna & Croissants) sprachen wir bereits ausgiebig über das Thema. Heute nehmen wir den Start der 2024er Festivalsaison und Marcos bevorstehenden Besuch beim Rock am Ring zum Anlass, um ganz konkret über Pflichttermine, unglückliche Überschneidungen und die eine oder andere Empfehlung am Nürburgring zu sprechen. Zudem findet ihr eine ganz wunderbare Wellenbrecherbereich-Festivalsommer-Playlist hier. Und nun, auf in die Eifel!
Auf welchen Festivals treibt ihr euch rum und auf welche Bands und Künstler*innen freut ihr euch besonders? Der Wellenbrecherbereich wünscht euch in jedem Fall ganz viel Spaß!
Wer kennt sie nicht, die drei Punkrocklegenden aus Kalifornien, die Anfang der 90er Jahre dem Genre neues Leben eingehaucht haben? Seit jener Zeit hat sich die Band um Frontmann Billie Joe Armstrong über die Jahrzehnte eine so treue Fanbase erspielt, dass kaum ein Album nicht einschlug. Nun ist Anfang dieses Jahres mit “Saviors“ das inzwischen 14. Studioalbum erschienen und auch dieses schickt sich an, überaus erfolgreich zu werden. Und wie hat der Wellenbrecherbereich dieses Werk aufgenommen? Gerade mit Felix und Marco sind ja zwei von uns durchaus gerne und häufig im Punk unterwegs. Aber wie sagte es die beste Band der Welt so schön, die sich musikalisch in ähnlichen Gefilden tummelt: Ist das noch Punkrock?
Wir haben KMPFSPRT für euch interviewt, die Platte gehört und ihr zweites Konzert der Tour im Tower Bremen besucht. Lest hier unseren ausführlichen Bericht und das meinungsstarke Interview.
KMPFSPRT aus Köln veröffentlichen ihr neues Album zu einem absolut passenden Zeitpunkt. „Leider“ muss man zumindest zu diesem Zusammenhang sagen: die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der letzten 10 Jahre mit dem vermehrten Aufkommen von Rechtsradikalismus und Neonazis, machen ein Aufzeigen auf Demos gegen den Rechtsruck wieder notwendiger. Punk-Bands wie KMPFSPRT liefern zur Bewegung gegen rechts textlich und musikalisch einen motivierend linksdrehenden Soundtrack ab. Mal wütend und schnell, mal etwas melodiöser, aber immer ohne Umschweife, klare Positionen mit Anlauf ins Mikro gebrüllt. Musik, die Spaß macht, Texte, die man hören sollte. Das neue Album Aus gegebenem Anlass ist eine absolute Empfehlung und aus unserer Sicht für die Band auch ein großer Schritt: Der klassische Sound bleibt und dennoch wirkt die Platte etwas reifer, abgestimmter, die Musik treibt an und verbindet sich sehr organisch mit den Texten bzw. den damit transportierten Emotionen.
Nach dem Konzert am späten Samstagabend, saßen wir noch bei einem Terrassenbier zusammen und waren glücklich. KMPFSPRTs zweites Konzert der laufenden Tour war voller Energie und echter Spielfreude. Leider war der Tower nicht ganz ausverkauft. Das ist wirklich bedauernswert, liebe Bremerinnen und Bremer: geht wieder mehr auf Konzerte! Der Stimmung hat es aber grundsätzlich nicht geschadet und auch der Support-Act Schrammen hat dazu einen Teil beigetragen und erste Bewegungen in die Gäste gebracht. Testet also auf der Suche nach neuer Musik ruhig die Schrammen mal aus, mich persönlich haben sie etwas an die Band Blaufuchs erinnert.
KMPFSPRT haben vom Start weg überzeugt. Vor über fünf Jahren haben wir sie in der selben Location gesehen und wenn sich eins nicht geändert hat, dann ist es die Spielfreude, die man der Band auf der Bühne anmerkt. Die Dynamik zündete bei diesem Konzert erfreulicherweise auch stark bei den neuen Songs, von den ich mir sogar noch ein bis zwei mehr in der Setlist gewünscht hätte – Perfekt / Defekt ist eines von den neuen Liedern, die ich mir auch sehr gut live vorstellen kann. Aber die ausgewählten neuen Songs waren sehr schön eingebettet und vor allem „Schade, dass die Welt uns nicht versteht“ und „Bisher alles gut“ animierten zum Mitsingen, brüllen und Wild-im-Kreis-Laufen. Es war einfach ein hervorragender Mix, der ziemlich geradeaus durchgespielt wurde. Einfach eine schöne Punkrockparty. Wer die Gelegenheit hat, sollte noch einen Besuch einplanen.
Aber ist es denn überhaupt noch Punk?
Interview mit KMPFSPRT
Es haben sich in den letzten Jahren ja doch einige Subgenres entwickelt und bieten viel Platz zum Haare spalten und klugscheißen – also fragen wir die Band doch mal, wie sie ihre Musik selber sieht?
KMPFSPRT: Ich finde „Punkband“ eigentlich sogar die perfekte Beschreibung. Denn Punk steht an der Wurzel all dessen, was wir tun und ist der gemeinsame Nenner, auf den wir immer wieder zurückkommen. Als wir mit 14 oder 15 unsere ersten Bands gegründet und musikalischen Gehversuche getätigt haben, war das eben Punk. 2-3 schnelle Powerchords, kurzer Text, fertig. Die absolute Demokratisierung von Musik, jeder kann es, der etwas zu sagen hat, auch ein 14jähriges Kid in irgendeinem Proberaum. Das fand ich damals ungemein „empowernd“, um mal ein unangenehmes Modewort zu verwenden. Danach haben wir dann auch irgendwann Bands abseits der Ramones oder Misfits entdeckt, irgendwann kam Hardcore dazu, dann Emo, dann meinetwegen auch Pop (allerdings meine ich, wenn ich von „Pop“ spreche, eher so was wie The Smiths oder The Housemartins als Ed Sheeran oder Adele oder so) und alles hat irgendwie seinen Weg in unsere Musik gefunden. Aber ist das nicht bei den meisten Bands so? Und müsste man dann nicht fast immer von Indiehardcorepoweremopoppunk oder etwas Ähnlichem sprechen? Daher bin ich mit „Punkrock“ perfekt bedient. Am Ende des Tages machen wir genau das.
Das neue Album ist aufgenommen und veröffentlicht, die Proben vorbei, die Tour gestartet. Sind die Konzerte eurer eigenen Tour und im Sommer auf Festivals auch so etwas wie eine Belohnung für die langen Phasen im Studio und im Proberaum?
KMPFSPRT: Die richtige Antwort darauf wäre: ja. Die ehrliche Antwort aber ist, dass ich Zeit im Studio fast ebenso genieße wie live zu spielen. Ich kann auch gar nicht verstehen, dass es immer wieder Bands und Musiker gibt, die das Studio gar nicht zu mögen scheinen. Mögt ihr denn keine Musik? Ich finde, es gibt kaum etwas Schöneres, als Songs vor den eigenen Augen entstehen zu sehen. Sich kreativ auszutoben, auszuprobieren, und auf einmal hat man Musik vor sich, die noch vor wenigen Stunden einfach nicht existiert hat. Und vielleicht sind Songs dabei, die wir die nächsten Jahre live spielen werden, die uns was bedeuten, die den Leuten da draußen was bedeuten, die auf Konzerten mitgesungen werden… wie kann man das nicht mögen? Außerdem öffnet man im Studio ab irgendwann nachmittags das erste Bier und hängt mit seinen Brudis rum und raucht und säuft und labert Scheiße, auch deswegen spiele ich schließlich in einer Band. Und ja, auf Tour irgendwann ist auch schön, klar.
„Aus gegebenem Anlass“ ist der Titel der neuen Platte (Shop hier). Gleich im ersten Lied „Das Ende aller Tage“ verdeutlicht ihr, welcher Anlass gemeint ist. Wie steht ihr zu den Entwicklungen in Deutschland in den letzten Jahren und (wenn möglich) was kann man trotzdem versuchen, Positives herauszuziehen? Denn der Refrain sagt ja deutlich „Du bist nicht das Ende aller Tage“.
KMPFSPRT: Bis vor wenigen Monaten hätte ich es vermutlich wirklich schwer gefunden, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Immer größere Erfolge für die blaubraunen Faschos im Osten wie im Westen, Gewalt, Krieg und eine Linke, die lieber über Pronomen oder Wortendungen diskutiert als über das nahende Ende der Demokratie, wie wir sie kennen. Dann aber kam der Switch, mit dem Bekanntwerden der Abschiebephantasien diverser Politiker diverser Parteien. Da hat man schon gemerkt, dass ein Ruck durch die Gesellschaft ging und die schweigende Mehrheit endlich ihre Stimme gefunden hat. In ganz Deutschland gab es ja gigantische Demos, wir waren in Köln und Bonn dabei, und man endlich wieder sehen konnte, dass der gesellschaftsfähig scheinende Rassismus eben noch immer eine Minderheitsmeinung ist und die Mehrheitsgesellschaft keinen Bock auf die Scheiße hat. Ich fand vor allem cool, dass auf all diesen Demos nicht ausschließlich Linke oder Punks wie wir waren, sondern Familien mit Kindern, Normalos, Rentner und alle dazwischen. Das hat mich an den „Aufstand der Anständigen“ Anfang der 90er Jahre erinnert, der den Nazis damals auch ganz klar gezeigt hat: Ihr seid nicht das Volk, ihr seid nur ein Haufen armseliger Vollidioten.
Ein ähnlicher Tenor klingt bei Lied 3 „Bisher alles gut“ an. Befinden wir uns gerade auf einem Weg zurück in die Neunziger Jahre, wo man die Feindschaften zwischen links und rechts ziemlich offen, unvermittelt und schonungslos auf der Straße ausgetragen hat und schon die falsche Frisur oder das falsche Shirt als ausreichende Provokation galt?
KMPFSPRT: Ich glaube nicht, dass das je anders war. Versuch mal in der falschen Stadt oder dem falschen Stadtteil mit einem Antifa-Shirt oder händchenhaltend mit einem Menschen des gleichen Geschlechts durch die Straßen zu gehen. Es gibt über 200 Todesopfer durch rechte Gewalt seit der Wiedervereinigung. Auch wenn die „Baseballschlägerjahre“ irgendwann vorbei schienen und eine gewisse Normalität eintrat (auch, wie oben erwähnt, erkämpft durch antifaschistischen Protest auf der Straße Anfang der 90er), hat das ja nie ganz aufgehört. Und mit den Erfolgen der Blaubrauen in den letzten Jahren haben auch die rechten Gewalttäter wieder das Gefühl, „Volkes Willen“ zu vollstrecken – da ist weitere Gewalt nur eine Frage der Zeit. Und auch wenn wir selber keine gewalttätigen Menschen sind und Gewalt vollkommen abstoßend finden, denke ich nicht, dass man Nazis mit Worten und Argumenten stoppen kann. Darum ging es denen ja nie. Da muss man sich schon die Hände schmutzig machen, zum Schutz von Minderheiten und auch zum Schutz von sich selbst.
Welchen Beitrag leistet ihr mit eurer Musik, um diesen aktuellen Entwicklungen entgegenzuwirken?
KMPFSPRT: Wir sind nicht so verblendet, zu glauben, dass unsere Songs eine größere Wirkung haben, wenn es darum geht, Leute zu politisieren oder Themen zu setzen. Das können eher Die Ärzte oder Die Toten Hosen, im Osten vielleicht auch Feine Sahne hier und da. Ich hoffe aber natürlich trotzdem, dass es im Kleinen Menschen gibt, die sich angesprochen oder zumindest bestärkt fühlen. Mir ging es ja selbst nicht anders, als ich mit 14 oder 15 Punk entdeckt habe. Slime waren damals der Soundtrack meiner frühen Jugend, später haben Bands wie Gorilla Biscuits, Manliftingbanner oder Propagandhi dazu beigetragen, dass ich angefangen habe, Dinge zu hinterfragen und mir eine kritische Meinung zu bilden. Vielleicht können wir das ja auch für eine Handvoll Menschen tun.
Eure Tour streckt sich über einen etwas längeren Zeitraum. Habt ihr schon oft überlegt, den Schritt ganz in den Beruf des Künstlers zu gehen, um vielleicht auch mehr Zeit oder einfach mehr Möglichkeiten für mehr Konzerte etc. zu haben?
KMPFSPRT: Schon oft? Oh Gott. Nee. Noch nicht ein einziges Mal, ehrlich gesagt. Was für eine schreckliche Vorstellung. Stell dir vor, du machst das, was du liebst, zum Beruf. Du MUSST auf einmal Songs schreiben, ob du in dem Moment willst oder nicht. Du MUSST auf Tour gehen, du MUSST jedes Festival spielen, du MUSST Insta-Videos drehen, in denen du in die Kamera laberst und Dinge sagst wie: „Hi, hier ist der David von KMPFSPRT, wir spielen am Wochenende in Bayreuth und haben MEGA BOCK, kommt rum, blaaaa“. Und das dann jede Woche, jedes Jahr. Mit 30, mit 40, mit 50… Urgh. Nein danke. Musik, Kunst ist meine/unsere große Liebe, das muss immer auf Freiwilligkeit basieren und darf nie vermarktbare Wegwerfware werden.
In Bezug auf eure Diskographie merkt man auch nur wenig, dass ihr die Musik „nur“ als Fulltime-Hobby betreibt. Wie schafft ihr das, doch so einen verhältnismäßig regelmäßigen Veröffentlichungsrhythmus beizubehalten?
KMPFSPRT: Vermutlich geht das, weil wir es eben nicht müssen. Sondern einfach wollen. Nach einer bestimmten Zeit juckt es einen immer in den Fingern, dann sitzt man zu Hause abends mit der Gitarre in der Hand vorm Fernseher, spielt und spielt und spielt und schreibt so fast automatisch Songs. Oder es passieren Dinge, auf der Welt oder im eigenen Leben, die einen in irgendeiner Form emotionalisieren und irgendwann einfach raus müssen, in unserem Fall eben in Form von Musik. Und dann ist der Ball meistens schon ins Rollen gekommen und man schreibt und tut und macht und sammelt und irgendwann geht man dann ins Studio und – zack – hat schon wieder ein neues Album oder eine neue 7“ oder was auch immer. Aber klar, das geht nur, weil wir alle das auch wollen. Es würde vermutlich reichen, wenn einer nicht mitzieht, was bei uns bisher zum Glück nie so richtig vorkam. Wir sind ja auch schon eine Weile dabei und wissen, was wir tun und was wir wollen (und was nicht).
Neben den eben erwähnten, bedenklichen gesellschaftlichen Entwicklungen sprecht ihr noch ein paar andere relevante Themen an. In „Schade, dass die Welt uns nicht versteht“ geht es im Kern um den Klimawandel. Aber auch ein Stück weit um einen diesbezüglichen Generationenkonflikt. Auf wen sollten wir aus eurer Perspektive mehr hören: auf den fatalistischen Vater am Klavier oder die aktiven Neo-Hippie-Kids?
KMPFSPRT: Vielleicht auf beide gleichermaßen, vielleicht stehen die irgendwann sogar Schulter an Schulter auf den Barrikaden und reißen ein System nieder, das nur auf Profite und nicht auf Vernunft oder Logik basiert und so uns und unseren Planeten auf dem Altar des Geldes opfert. Ich glaube, dass wir da durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten zusammenarbeiten müssen, da die Mächtigen ihre Macht bestimmt nicht freiwillig aufgeben werden. Wenn wir aber den Kapitalismus nicht beenden und durch ein humanistisches, soziales System ersetzen, bei dem es um Mensch und Natur geht, sehe ich da schwarz. Das allerdings wird nur zusammen gehen und zwar mit so einer großen Mehrheit, dass es keine Zweifel an der Konsequenz der Veränderung geben kann. Ich hoffe, ich erlebe noch etwas davon.
Ein auch bei uns im Podcast häufig aufkommender Themenbereich ist der der Alltagsbelastungen. Bei „Letzte Hilfe“, „Trugschluss der Dummen“ oder auch „Fliegenfriedhof“ und letztlich auch in „Hana-Bi“ geht es um individuelle Probleme, um Struggles möglichst normal und sorgenfrei durch das Leben zu kommen. Wo seht ihr die Ursachen für diese doch immer stärker wahrnehmbaren Szenarien, wie ihr sie in den genannten Liedern beschreibt?
KMPFSPRT: Ich finde, es klingt immer etwas billig, alle seine privaten, individuellen oder psychischen Probleme auf den eben genannten Kapitalismus zu schieben, aber… genau daran liegt es in der Regel eben. Wie soll man in einer Welt wie der unseren leben und NICHT dadurch krank werden? Und das sage ich aus der relativ privilegierten Position eines studierten weißen Mannes in Mitteleuropa. Aber klar hilft einem das im Alltag nicht, wenn man an Depressionen leidet oder einfach „nur“ seinen Job oder seine Freundin verloren hat oder was einem sonst noch immer so passieren kann. Dafür gibt es dann ja irgendwie auch Kunst und Musik. Mir hilft das zumindest immer sehr, mich von einem Buch oder einem Song verstanden zu fühlen. Mehr kann man kurzfristig eh nicht tun. Außer mal Fünfe gerade sein zu lassen und ein paar Bier zu viel zu trinken. Aber das hilft auf Dauer ja auch nicht.
Dann kommen wir auf der Zielgeraden nochmal zu positiven Dingen. Musik hilft bei vielen Dingen und gerade Konzerte können unglaublich viel Spaß machen und einen den Alltag auch mal vergessen lassen. Bei welchem Konzert sieht man euch 2024 noch als Gast und wenn ihr dort seid, dann im Wellenbrecherbereich / Moshpit oder lieber am Tresen?
KMPFSPRT: Ich habe tatsächlich eine Menge Konzerte in meinem Kalender stehen. Ein paar davon wären Slapshot, EA80, Jeff Rosenstock, NOFX, Alkaline Trio, D.R.I., Madness, The Stranglers und Hot Water Music, um nur ein paar zu nennen, die mir direkt einfallen. Es gab mal eine Zeit, nach ein paar intensiven Jahren KMPFSPRT, da hatte ich weniger Lust auf Konzerte, irgendwann ist man ja auch einfach übersättigt, aber inzwischen bin ich wieder voll am Start und freue mich auf jede Show. In der Regel, dem Alter entsprechend, eher hinten an der Bar, aber es kann immer mal wieder vorkommen, dass mich die Musik weiter nach vorne zieht und der Funke überspringt wie bei einem liebeskranken Teenager. Zuletzt war das bei Samiam und den Menzingers so.
Gebt uns zum Abschluss noch einen kurzen Ausblick, was ist 2024 noch alles von KMPFSPRT zu erwarten?
KMPFSPRT: Das Album ist ja jetzt draußen, also… Konzerte? Eine Tour, ein paar Festivals, vielleicht irgendwas Schönes zum Jahresabschluss und dann, so wie ich uns kenne, hat auch schon irgendwer Bock auf das nächste Projekt, die nächste 7“ oder was auch immer. So richtig langweilig wird uns eigentlich nie.
Herzlichen Dank für das Interview! Wir wünschen euch geile Konzerte auf der Tour!
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Cover und Bearbeitung? Was versteht man unter der “kleinen Münze“? Wie läuft das beim Covern mit Urheberrechten und der GEMA und was – um Himmelswillen – hat Sergei Rachmaninow mit dreckigen Schneebesen zu tun? Das alles und mehr erfahrt in unserer neuen Folge über Coversongs, Tribute Bands, Samples und Loops… Zum Abschluss der Folge gibt es wie gewohnt ein launiges Spiel zum Mitraten. Referenzen und Quellen findet ihr in den Shownotes der Folge. Allen voran natürlich unsere korrespondierende spotify Playlist “Coversongs“.
Disclaimer: Die Band, auf deren Name wir nicht mehr kamen, heißt Chaoseum (höre #19).
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