Bereits in unserem allerersten dreckigen Dutzend haben wir versucht, Euch und uns die momentane konzerttechnische Fastenzeit zu versüßen, indem wir in Erinnerung schwelgten hinsichtlich unserer Lieblings-Live-Momente.
Dieser neuen Tradition folgend möchte ich heute von meinem letzten Konzert vor dem Lockdown berichten. Ich hatte das Vergnügen, die wallisischen Ragga-Metal-Jungs von Skindred zu sehen. Eigentlich war das Konzert bereits für Februar 2019 angekündigt gewesen, „dank“ Disturbed wurde es dann aber um satte zehn Monate auf das Jahresende verschoben. Moment. Was hat denn Disturbed jetzt damit zu tun? Nun, Skindred wurde angefragt, auf der Tour der US-Amerikaner als Special Guest dabei zu sein, was Benji Webbe und Co. vermutlich nicht zuletzt aufgrund des großen Namens von Disturbed auch annahmen. Wer mag es ihnen verdenken? Unsere Enttäuschung war natürlich groß, die Vorfreude aber hatte Zeit zu wachsen.
Ich hatte das Quintett bereits einmal live gesehen – 2011 auf dem Reload Festival, ihr Album Union Black damals frisch im Gepäck. Lief die Platte bei mir seinerzeit ohnehin schon in Heavy Rotation, war ich auch sehr beindruckt gewesen von der Live-Show der Ragga-Racker.
Nun also der Schlachthof in Bremen. Unsere Gruppe zählte fünf; Gerrit und Marco waren auch mit dabei. Wir trafen uns – extra zu früher Stunde – auf ein entspanntes Abendessen (ja, der Sex des Alters!) im integrierten Kneipen-Restaurant-Bistro-Etablissement, um auf keinen Fall die norwegische Vorband Blood Command zu verpassen. Leider dauerte es mit dem Zubereiten des Essens an diesem Abend aber derart lange, dass wir gerade noch rechtzeitig für den Haupt-Act kamen (vielleicht auch deshalb dieser Gesichtsausdruck).
Eine Idee von der elektrisierten Stimmung bekamen wir dann unmittelbar, als vor dem Konzert zu „Blitzkrieg Bob“ aus der Konserve plötzlich ein Moshpit losbrach. Trotz ausverkauftem Haus fanden wir unseren Weg direkt vor die Bühne. Die Show konnte beginnen.
Seid mir nicht böse, aber ich kann mich zehn Monate nach dem Konzert leider nicht mehr erinnern, mit welchem Song der Gig eröffnet wurde. Marco? Gerrit? Irgendwer? Was ich nicht vergessen habe, ist die unfassbare Energie und Überzeugung, mit der die Jungs auf die Bühne kamen. Webbe – in schillernde Boxermantel-Mode gehüllt – hatte die Menge mit seiner lässigen Arroganz – oder nennen wir es coolen Unnahbarkeit – von Sekunde eins an komplett im Griff. Stimmgewaltig und stilsicher zwischen Raggae-, Shout- und Clean-Vocals varierend, tanzte sich Webbe sofort in unsere Herzen. Trotz cooler Unnahbarkeit. On point wie ein Schweizer Uhrwerk taten auch die Musiker Mikey Demus (Gitarre), Arya Goggin (Drums), Daniel Pugsley (Bass) und DJ Dan Sturgess das ihre, um den markanten Skindred-Sound in die Körper der Fans zu schießen. Kaum Lückenfüller, kaum Erholung. Nobody gets out of dis shark pit alive, Nobody, nobody gets out alive. Selten habe ich so einen resoluten, aber auch ausdauernden Moshpit erlebt wie an jenem Abend im Schlachthof.
Nachenklich und emotional wurde es dann, als Webbe eine der wenigen Verschnaufpausen nutzte, um von seinem Freund zu erzählen. Er sei seit längerer Zeit sehr krank und Benji wollte ihn unbedingt mal wieder besuchen, verschob dies aber jedes mal aus fadenscheinigen Gründen (wer kennt das nicht?). Als er sich dann tatsächlich auf den Weg machen wollte, kam ein Anruf, dass sein Freund verstorben sei. Eine kleine Anekdote mit Strahlkraft, die zum einen zeigt, dass Webbe auf der Bühne nicht immer unnahbar ist und die ermahnt, nichts auf die lange Bank zu schieben, wenn es um Menschen geht, die einem wichtig sind. Nach dieser Geschichte spielte die Band den Song Saying it now vom aktuellen Album Big Tings, eine für Skindred ungewohnt balladeske Komposition, die genau dieses Thema behandelt. Und die Fans holten – ganz nostalgisch – ihre Feuerzeuge heraus und nicht ihre Taschenlampen-App. Großartig! Insgesamt ein erinnerungswürdiger Gänsehaut-Moment (hey, wäre auch was für das erste dreckige Dutzend gewesen, verdammt!).
Danach gab es wieder auf die Fresse. Kurz vor Feierabend hatten wir dann doch noch das Vergnügen Karina Ljone, die Sängerin von Blood Command live zu sehen und zu hören, als sie zu den Jungs auf die Bühne kam und der Menge inbrünstig den One-Word-Refrain aus Warning entgegenschrie. Kein einfacher Job, wenn man eigentlich Webbes Monster-Stimme gewohnt ist. Und dabei belassen wir es an dieser Stelle.
Den Rausschmiss gab es dann mit dem traditionellen Helicopter, als die (zumeist?) männlichen Fans zum eben genannten Song ihre Shirts auszogen und diese dann – oben ohne – über ihren Köpfen kreisförmig in der Luft umherwirbelten. Der eine oder andere WBB-ler mag auch mit dabei gewesen sein.
Ein unvergessliches (vorerst letztes) Konzert. That’s my jam!