Genuary Tipp 28/31 2022

Erja Lyytinen aus Kuopio, Finnland

Musikalische Expeditionen über den Tellerrand inbegriffen“ heißt es bei uns im Wellenbrecherbereich. Und mit der Gitarristin Erja Lyytinen ist das heute absolut gegeben. Denn bevorzugt in musikalischen Gefilden, die ich nicht mein Zuhause nenne, finde ich es als „worlds okayest Guitar Player“ extrem spannend, Techniken bei den wirklich talentierten Kolleg*Innen  abzugucken oder die Art zu spielen zu bestaunen. Lyytinen ist begnadet im Umgang mit dem Bottleneck und kombiniert in ihrem Songwriting spielend leicht Blues, Jazz und Funk mit ohrwurmigen Popelementen. Ja, und dass ich ein Fan von wohl platzierten Gitarrensoli bin, ist wohl auch kein Geheimnis mehr:

Die 45-jährige ist schon seit Dekaden aktiv, mir aber lange verborgen geblieben (Stichwort Leben in der Blase). Nachdem vor genau zwanzig Jahren gemeinsam mit der Band Dave’s Special das Album Attention! erschien, dauerte es keine zwölf Monate bis zu ihrem eigenen Solo-Debüt Wildflower.

Sprung ins Jetzt: In Corona Zeiten erging es ihr wie vielen (wenn nicht allen?) Musiker*Innen: Sie fühlte sich isoliert – wie ein Fisch auf dem Trockenen. Untätigkeit und Selbstmitleid kamen aber nicht in Frage – ganz im Gegenteil – und so entstand im ersten Lockdown 2020 ein Livekonzert ohne Publikum, zusammengefasst als Lockdown Live 2020. Was die Gitarristin mit ihrer Band hier abliefert, ist nichts anderes als ganz großes Kino und zementiert ihren Platz in der Weltspitze – auf der Liste der “Top 10 Best Players Right Now“ (herausgegeben vom Fachmagazin Total Guitar) rangiert sie auf Platz 2 hinter Nita Strauss von Alice Cooper.

Wer also mal aus dem Hardcore Metal Punk Grunge Suppenteller ausbrechen möchte, dem sei Erja Lyytinen aller wärmstens ans Herz gelegt. Sie beißt auch nicht, versprochen!

Instagram: Erja Lyytinen
Ihre Musik gibt es hier – Songs auf Finnisch sind auch mit dabei.

Genuary Tipp 27/31 2022

Julie Edwards und Lindsey Troy aka Deap Vally

Vor zehn Jahren erschien die erste Single End of the World der Band Deap Vally. Julie Edwards singt und spielt Gitarre, Lindsey Troy trommelt. Die Single und das dazugehörige Video dürften auch ihr meistgeklickter Song sein und markiert den Start für eine sehr fleißige amerikanische Alternative Band, die viele Konzerte und Festivals spielten und zum Teil auch als Tour-Support bereits „größerer“ Bands. Nach der Veröffentlichung des ersten Albums Sistrionix 2013 waren sie zum Beispiel auch mit Muse in Deutschland unterwegs.

Mir persönlich gefällt dieses Album bisher auch am besten, wenngleich bisher mit Femejism und Marriage noch zwei weitere Alben und weitere Eps erschienen. Man kann bei dem Debut die Spielfreude der Tracks am besten greifen, vieles geht sehr direkt und ungefiltert durch die Boxen. Das gilt auch oder gerade für die Stücke, die auch mit ernsteren Lyrics daherkommen, wie etwa Creeplife. die weiteren Platten klingen da für meine Ohren etwas durchgeplanter oder durchgestylter. Was allerdings nicht bedeutet, dass sich da keine guten Songs drauf finden, dass trifft keineswegs zu. Gerade der Track Perfuction und das dazugehörige wirklich witzige Video sind ziemlich geradeaus. Und auch einige Features wie Jennie Vee auf I Like Crime sind eine wirklich gelungene Kollaboration. Für eine aktive Liveband wie Deap Vally hoffen wir auf positive Entwicklungen für die Club-Welt und die Möglichkeit bald einige Corona-Maßnahmen lockern zu können, damit wir dann vielleicht auch bald mal wieder in Deutschland Konzerte mit Julie Edwards und Lindsey Troy sehen können.

https://www.instagram.com/deapvally/

Genuary Tipp 26/31 2022

Blind Summit mit Alexandra Angelini aus Manchester, England

Frisch aus dem Ofen, wie man so sagt: Die nach Subservient inzwischen zweite EP von Blind Summit – Hell and Heresy – erschien Ende 2021. Was mir an den Briten so gefällt, ist ihr Yin-Yang-Ansatz. Während die (inzwischen nur noch) drei Musiker (Drums, 7-saitige Gitarre, 6-saitiger Bass) in technischer Klarheit und mit Doublebass-Stakkato-Floor den ultratiefen Rock in die Ohren schießen, singt Angelini melodiös schön, beinahe poppig, drüber weg wie ein … nein, das Wortspiel ist selbst mir zu blöd. Jedenfalls wie eine Art Metal-Aguilera:

Die meisten jungen, aufstrebenden Hardcore und Metal Bands gehen beim Gesang anders an die Sache heran. Bei Blind Summit jedenfalls erinnert das Experminet stimmlich an Evanescence, wenngleich die Musik auf Strecke doch deutlich düsterer und härter ist:

Sängerin Angelini schreibt auch die Texte. Die Vorab-Single zur EP – Like Water – behandelt den Zwiespalt eines Menschen zwischen Zufriedenheit und dem Streben nach Mehr. In einem Interview erklärte sie unlängst: „Damit will ich nicht auf jemanden herabsehen, der zufrieden und glücklich ist. […] Stattdessen ist es eine offene Frage für jeden, der sich genauso fühlt: Sollen wir akzeptieren, was uns gegeben wurde oder sollen wir nach mehr streben?“ – Und schon wieder Yin und Yang. Hört mal rein!

Instagram:
Blind Summit
Alexandra Angelini

Genuary Tipp 25/31 2022

Hannah Reid von London Grammar

Was soll ich euch noch erzählen, was ihr nicht selbst wisst?!

Ich gehe davon aus, dass fast jeder, der das hier liest schon mal ein Song der englischen Indie-Pop Band London Grammar gehört hat, bzw. ein Video der Band gesehen hat. Nicht nur weil offizielle Videos, wie das zu ihrem Song Strong von 2013 bereits über 50 Millionen mal angesehen wurden, sondern auch weil von Ihnen unzählige wirklich großartige Live- und Live-Studio-Mitschnitte existieren. In dieses Live-Versionen kommt die überragende Stimme Hannah Reids meist noch besser zur Geltung als in den Studioversionen. Aber egal ob Studio oder Live-Aufnahme letztlich bleibt festzustellen, dass ihre Kollegen Dominic Major und Dan Rothman mit ihrer Frontfrau zusammen fast immer einen geradezu perfekten musikalischen Rahmen schaffen, in dem sich der beeindruckende Stimmumfang Reids hervorragend entfalten kann.

Die Musik ist dabei häufig angenehm zurückhaltend, dennoch präsent. Letztlich eben einfach verdammt gutes Teamwork beim Schreiben der Songs. Das setzte sich auch auf dem neuen Album Californian Soil (2021) fort. Ein Beispiel dafür ist für mich der letzte Song der Platte – America. Grillen zirpen zum Intro, die Gitarre klingt durch die Effekte ganz weit weg und der Gesang und damit auch der wirklich gute Text stehen mitten im Raum.

Bei London Grammar wird man live sicher keine bleibenden Erinnerungen an den Moshpit mit nach Hause nehmen, aber diese Live-Erinnerungen wenn plötzlich während der Songs alle still und gebannt auf die Bühne starren und vergessen, an ihrem Bier zu nippen, sind nicht weniger bleibend und beeindruckend. Aber wie gesagt, vermutlich habt ihr es eh alle schon mal gesehen. Aber guckt es euch doch einfach nochmal an…

P.S.: Bei diesem Video geht bei etwa 33 Minuten der Song Nightcall los (Gänsehaut). Sollte zufällig jemand davon die Vinyl-Single besitzen und möchte diese loswerden, meldet euch…!

https://www.instagram.com/londongrammar/

Genuary Tipp 24/31 2022

Jillian Dowding AKA JJ Wilde aus Kanada

Frisch, unverbraucht, Sinn für Melodien. JJ Wildes Musik würde ich als rockigen Schiefpop bezeichnen (zum Thema „ausgedachte Genres“ siehe auch Felix‘ Tipp 13/31). Mit Schiefpop meine ich, dass die Songs durchaus Pop-Merkmale aufweisen, aber das Songwriting dank raffinierten, sperrigen, ja, „unpopulären“ musikalischen Finessen den Stempel „klassisch-kitschiger Pop“ locker umgehen kann. Für Rock ist es aber auf Streckie nicht hart genug. Schiefpop eben. Soundbeispiel:

Doch am Ende des Tages ist es natürlich ganz egal, wie man das Kind nennt. Hängen bleibt bei mir, dass ich gerne zuhöre. Und nicht nur ich. Ihr Debütalbum Ruthless aus 2020 ist im wahrsten Sinne des Wortes ausgezeichnet. Es war ein weiter Weg zum „best Rock Album of the year“ (Rock? Die Juno Awards für kanadische Musiker*Innen haben wohl noch nie etwas von Schiefpop gehört). Vor gar nicht langer Zeit hatte die heute 29-Jährige noch drei Jobs gleichzeitig und schrieb in den Pausen ununterbrochen Songs, die zum Teil auf der 2019 erschienenen EP Wilde eyes, steady hands zu hören sind, ebenso wie auch auf Ruthless. Wired ist einer davon:

Apropos Songs schreiben: Dass JJ Wilde auf den zweiten Blick mit Frederik Thaee eigentlich ein heimliches Duo ist – der Däne schreibt mit Dowding die Songs und ist auf Ruthless auch als Backgroundsänger, Gitarrist und Bassist zu hören – sollte an dieser Stelle erwähnt werden. Für die Beurteilung der Musik macht das aber erstmal keinen Unterschied. Auf Ruthless sind alle Songs von Thaee und Dowding als Team geschrieben (zwei Songs zudem mit Victoria Hansen und einer mit Tom Peyton).

Im letzten Jahr schob JJ Wilde dann gleich wieder was nach – und zwar die wunderbar flowende EP Wilde. Sie selbst beschreibt die sechs Tracks als „Wohlfühl- und Spaßsongs“. Ja, das passt schon. Trotzdem, ich nenne es weiterhin voller Respekt Schiefpop. Und auch die Coverversion von Tom Pettys Stop draggin‘ my hear around im Duett mit Brett Emmons von den Glorious Sons ist sehr gelungen.

Instragram: JJ Wilde
Ihre Musik gibt es hier.