“Look in their eyes, Ma – you’ll see me!” Literatur in der Musik

Alex‚ Liederatur Solo Teil 1

Als Marco in unserem Ärzte Spezial den Song Clown aus dem Hospiz lobpreiste, fragte ich, ob sich der Komponist Bela hier vielleicht an Joey Goebels Roman Torture the Artist aus dem Jahre 2004 erinnert haben mochte (deutsche Übersetzung: Vincent). Es reifte in mir die Idee, mal einen Artikel zu schreiben, wie und zu welchem Grad schriftstellende Literaten die Musikwelt beeinflusst haben und bis heute beeinflussen. Und da die Musik – so viel sei an dieser Stelle schon verraten – nur so von Literaturverweisen wimmelt, ja, gewissermaßen ins Schwingen gerät, bietet sich natürlich der ideale Nährboden für eine solche Betrachtung. Dabei reicht die Bandbreite von ganz offensichtlicher und unwidersprochener Inspiration – wie z.B. in der epischen Progrock-Nummer Tom Sawyer von Rush

coole Live-Version des Songs – inklusive selbstironischer Parodie von South Park im Intro.

… bis hin zu subtileren Beispielen, auf die ich gleich gerne zu sprechen komme.

Die Symbiose aus Musik und Literatur
Doch bevor es losgeht, steigen wir mit ein paar allgemeinen Worten in das spannende Thema ein. Schon immer galt: Wer in der Kunst etwas Neues schaffen möchte, sollte wissen, was vorher da war. Nichts entsteht aus dem Nichts! Oder um im Bild zu bleiben: Musiker*innen, die sich anschicken, ein neues Kapital zu schreiben, sollten die vorherigen gründlich “gelesen“ haben. Nicht um zu kopieren, sondern um zu verstehen. Und um sich inspirieren zu lassen. So kommt es nicht selten auch zu Überschneidungen mit anderen Künsten (siehe weiter unten), wobei gerade die Literatur der Musik ihre einzigartige Stimme (ver)leiht.

Die Reise der Familie Joad
Die Textzeile aus der Artikelüberschrift stammt ebenfalls aus so einem Song, dessen im wahrsten Sinne des Wortes ausgezeichnete Buchvorlage sogar verfilmt wurde und in meinem Now Playing über Fin the Chaefs Album Spaß war gestern kurz Erwähnung findet.
Der Roman Früchte des Zorns von John Steinbeck (erschienen 1939) ist auch heute aktueller denn je, beschreibt er den Leidensweg der Amerikanischen Farmerfamilie Joad, die in den 1930er Jahren aufgrund einer ökologischen Katastrophe (menschengemachte Dürren in Oklahoma und Arkansas) und ökonomischen Krise (die Große Depression) ihr Hab und Gut an die Bank verliert. In der Hoffnung auf Arbeit und ein menschenwürdiges Leben zieht die Familie um den gerade aus dem Gefängnis entlassenen Tom Joad in Richtung Westen. Dort erleben sie Ausbeutung, Fremdenfeindlichkeit, Erniedrigung. Die Parallelen zu heutigen Gesellschaften sind frappierend.
Bruce Springsteen greift in seinem Song The Ghost of Tom Joad die Thematik des Buches und die Mentalität des Hauptprotagonisten in eindrücklicher Weise auf:

Kurzer Textauszug:
Now Tom said; „Ma, whenever ya see a cop beatin‘ a guy
Wherever a hungry new born baby cries
Wherever there’s a fight against the blood and hatred in the air
Look for me, Ma,
I’ll be there

Wherever somebodies strugglin‘ for a place to stand
For a decent job or a helpin‘ hand
Wherever somebody is strugglin‘ to be free
Look in their eyes, Ma,
You’ll see me!

Die auf dem Album Renegades erschienene Coverversion von Rage against the Machine ist ebenso beeindruckend und explodiert geradezu vor blanker Wut und Leidenschaft:

bei ca. 4:50 Minuten hört ihr für mich eine der wütendsten und aufrüttelndsten Musikpassagen der Geschichte!

Eine Waise ohne Geruch
Doch nicht nur der Boss bediente sich bei Literaten. Auch ein gewisser Kurt Cobain baute einem seiner Lieblingsbücher ein musikalisches Denkmal. 1985 erschien Patrick Süskinds Roman das Parfum – ein Welterfolg. Es war die erste und bis heute einzige Romanveröffentlichung des bayrischen Schriftstellers. Die Handlung spielt im Frankreich des 18. Jahrhunderts.

Das Waisenkind Jean-Baptiste Grenouille ist mit einem extem sensiblen Geruchssinn „gesegnet“, während er selbst keinerlei Körpergeruch verströmt. Mit diesen Besonderheiten ausgestattet, wird Grenouille Lehrling eines Parfümeurs und geht dabei – seinem auffallend komplexen Charakter folgend – auch unkonventionelle Wege der Dufterforschung. Süskinds Beschreibungen des Gestanks zu der Zeit sind atemberaubend. Beinahe glaubt man beim Lesen den Geruch in den Gassen selbst wahrnehmen zu können. Cobain gefiel das Buch so sehr, dass er es auf Touren oft dabei hatte.

Untypischerweise kam nun während einer Bandprobe im Jahr 1992 Dave Grohl mit einem neuen Gitarrenriff um die Ecke, welches Cobain eigentlich zu klischeehaft war. Um seinen Freund aber nicht vor den Kopf zu stoßen, jammte die Band herum, bis die Nummer allen gefiel. Als nur noch ein Text fehlte, erinnerte Cobain sich an sein Lieblingsbuch. Es entstand Scentless Apprentice vom letzten Album In Utero:

Like most babies smell like butter
His smell smelled like no other
He was born scentless and senseless
He was born a scentless apprentice

„Who wants flowers when you’re dead?“ – Holden Caulfield, der Vorbote des Grunge
Doch gibt es in der Musik nicht nur bewusste Literaturanspielungen in einzelnen Songs. Manchmal entwickelt sich gar eine ganze Szene, die sich – natürlich nur aus der Retrospektive ersichtlich – in Büchern bereits ankündigte. Im Jahre 1951 – also vor über 70 Jahren – veröffentlichte der US-amerikanische Autor J.D. Salinger das Buch der Fänger im Roggen. Aufgrund seiner für diese Zeit sehr derben Sprache war es in seinem Heimatland lange verboten.

Der Hauptprotagonist Holden Caulfield ist so sehr grunge, dass es wirklich verblüffend ist. Ich wiederhole: 1951 – etwa 35 Jahre vorm „Seattle-Sound'“! Bei näherer Betrachtung gar nicht verwunderlich, wird die Teenage Angst seit jeher von Generation zu Generation weitergegeben – nur mit neuen Nuancen bestückt.

Die Handlung spielt kurz vor Weihnachten des Jahres 1949. Der im Buch 16-jährige Holden (Ich-Erzähler) ist eine sensible Seele, die sich in den gängien Normen und Gepflogenheiten nicht zurecht finden kann und will. Er flog bereits von mehreren Schulen, so auch gerade wieder, er raucht und trinkt zu viel. Wie viele Menschen der Generation Grunge hat auch Holden depressive Züge und empfindet die genannten Zukunftsängste. Aus Furcht vor der Reaktion der Eltern nach dem erneuten Rauswurf, irrt er tage- und nächtelang verloren durch das im wahrsten Sinne des Wortes kalte New York. Er hasst alles, was phony ist – in der deutschen Übersetzung mit dem wunderbaren Wort piefig beschrieben, gemeint sind verlogene, ignorante Menschen, zumeist Erwachsene (höre hierzu: Mr. Moustache, Do the evolution, Blow up the outside world…). Kinder liebt er hingegen sehr, vor allem seine kleine Schwester Phoebe, mit der er über alles reden kann. Kinder sind für ihn das Gegenteil von phony, nämlich unschuldig, pur und beschützenswert (höre hierzu: Polly, Jeremy, Daughter…). Er möchte sie, in Anlehnung an ein Gedicht von Robert Burns, davor bewahren, dieses Echte zu verlieren. In seinen Gedanken ist er der „Fänger im Roggen“, der die ausgelassen in einem Getreidefeld spielenden Kinder bevor beschützt, von einer nahen Klippe zu stürzen.

Im Internet wimmelt es nur so vor Holden Caulfield Playlists. Was würde der junge Mann aus der Nachkriegszeit heute hören? Hier eine Vermutung.

Visualisierung
Doch nicht nur die Textschreiber*innen lassen sich gerne und häufig inspirieren. Auch Musikvideos triefen geradezu vor literarischen Bezügen. Allen voran sei hier der “Erfinder“ des modernen Horrors genannt (neben bzw. chronologisch nach Edgar Allan Poe): Der amerikanische Schriftsteller H.P. Lovecraft. Wer den Mann und dessen Gedankenwelt nicht kennt, schaue einfach mal bei Tool vorbei. Hier werden seine Albträume gewissermaßen zum Leben erweckt:

die Videos zu „Prison Sex“, „Sober“ oder „Schism“ hätten ähnlich gut als Referenz herhalten können

Zu Lebzeiten weitgehend unbekannt, erfreuten sich seine Werke und Kreaturen erst nach Lovecrafts Tod großer Beliebtheit. So wurde das von ihm entworfene Necronomicon von Tocotronic im Song das böse Buch besungen.

Auch gehen unfassbar viele Metal-Texte und -Songtitel auf die Ausgeburten Lovecrafts zurück. Der geschätzte Blog Loudwire hatte vor einigen Jahren mal eine kleine Liste zusammengestellt (siehe hier).

Und sogar TV-Serien wie Stranger Things oder Twin Peaks können Parallelen kaum leugnen. Ebenso wenig wie Zeichentrick-Genie Matt Groening, der bei Charakteren wie Dr. Zoidberg (Futuruma) oder Kang und Kodos, den beiden grünen Außerirdischen aus den Simpsons, Cthulhus Ruf „gehört“ haben wird. Und wer kennt noch Davy Jones aus Fluch der Karibik?
Auch die „neunte Kunst“ – der Comic – verneigt sich vor Lovecraft: Der Ort Arkham (Asylm) aus der Batman-Reihe geht klar auf sein Schaffen zurück.

Bandnamen
Aber genug Exkurs – zurück zur Musik: Denn neben den Songs gibt es auch viele Bandnamen, die ursprünglich den Synapsen eines kreativen Schriftstellers entsprungen sind.

Da wäre zum Beispiel die US-amerikanische Metalcore-Band Atreyu, deren Benennung auf Michael Ende zurückgeht. Atreyu (deutsch: Atréju; „Sohn von allen“) ist der loyale und unerschütterliche Held aus Die Unendliche Geschichte – ein junger Jäger vom Volk der Grünhäute vom Gräsernen Meer.

Oder die Deutschrockband Muff Potter, die sich nach einem wichtigen Charakter aus Die Abenteuer des Tom Sawyer von Mark Twain benannt hat – schon wieder dieser Tom Sawyer. An der Figur des zu unrecht des Mordes angeklagten Muff Potters darf im Roman besichtigt werden, wie wichtig es ist, das Richtige zu tun, auch unter Vernachlässigung der eigenen Unversehrtheit (Stichwort Zivilcourage), wenn Tom und Huck vor Gericht aussagen, was in der Tatnacht wirklich geschah und wer der eigentliche Mörder ist. Falls noch nicht gelesen, unbedingt nachholen.

Bekanntere Beispiele für literarische Bandnamen sind u.a. Steppenwolf (nach dem gleichnamigen Roman von Hermann Hesse) und The Doors (in Anlehung an das Buch The Doors of Perception – dt.: Die Pforten der Warhnehmung – vom britischen Philosophen Aldous Huxley, der auch den Klssiker Schöne neue Welt schrieb: Ford sei mit euch!). Hier berichtet Huxley von seinen Erfahrungen mit bewusstseinserweiternden Drogen… Girl, we couldn’t get much higher! Come on, baby, light my fire!

Bandnamen, Musikvideos, Songtexte und -titel… es gibt so viele Beispiele, wie Literatur die Musik bereichert, dass einem schwindelig werden kann. Von daher, bleibt mir abschließend nur zu sagen: To be continued?! #alexliederatursolo

#32 MT Wie? – Quo Vadis, Musikfernsehen

Heute strömen wir in den Wellenbrecherbereich, um dort über Musikvideos zu diskutieren: Wie konsumierte man als Kind der 80er und 90er? In welche Richtung haben sich die Machtverhältnisse verschoben? Und welchen Stellenwert haben Videoclips, die Musik in bewegte Bilder pressen, bei Band und Fan heute? Ein lebhafter Talk durch mehrere Dekaden Musikvideogeschichte mit einem vergnüglichen Mitrate-Spiel am Ende. Also, fläzt euch in euren Lieblingssessel, Kopfhörer auf und ab dafür…

Die Ärzte im SO36, Berlin, 13.05.2022

von Marco

Hipp, hipp, hurra konnte man da nur sagen, als ich ein paar Tage vor dem Konzert erfahren habe, dass ich tatsächlich noch zwei Ärzte Tickets für das SO36 zum Normalpreis bekommen kann (danke Philipp!!!). Auf meiner Bucket List stand immer noch:

  • Die Ärzte einmal in Berlin sehen.
  • Einmal den traditionsreichen Punkclub SO36 besuchen.

Beides darf jetzt abgehakt werden. Felix teilt meine Punkwurzeln und er bestätigt wieder, was ich im Podcast in unserem Ärzte Spezial über ihn gesagt habe (höre hier).

In bester Laune macht sich also die Hälfte des Wellenbrecherbereichs auf nach Berlin. Schnell im Hotel eingecheckt und mit der U8 zum Kottbusser Tor. Wir reihen uns in die schon recht lange Schlange ein und bekommen unsere Bändchen. So jetzt aber rein in den Club. Ein langer Gang vor uns, gleich rechts geht`s in eine kleine Bar. Über der Tür steht „Rauchen & Saufen“; scheint uns der geeignete Ort für ein erstes Kaltgetränk zu sein. Danach geht es den Gang runter in die Konzert-Area. Eine Bar direkt am Anfang auf der linken Seite, daneben gleich Merch und der Mann, der an seinem Pult sitzt und den Abend über für das richtige Licht sorgt. Auf der rechten Seite eine Rampe und ein Podest für Rollstuhlfahrer. Ein gemütlicher, „kleiner“ Club, der wohl bis zu 800 Leute fasst. Felix und ich wollen nicht gleich ganz nach vorne in den Moshpit, sondern suchen uns eine Stelle mit super Sicht, wo wir uns noch im gemäßigten Bereich wähnen.

Dann kommen die Ärzte auf die Bühne und beginnen in typisch ironischer Ärztemanier mit dem Song Gute Nacht. Ein Song, der natürlich eher ein letzter Song ist. Gute Nacht, wir sind die Ärzte, sagt zuhause es war sehr schön. Danach kommt Noise und der Wahnsinn bricht los. Ich werde sofort von hinten nach vorne gedrückt, sehe nur noch wie Felix seinen Bierbecher verliert und schon sind wir drin im Moshpit.

Wow, mit dieser Intensität habe ich nicht gerechnet. Ich merke gerade, dass ich die Ärzte seit Ewigkeiten nicht mehr in einer kleinen Location gesehen habe und bei den großen Konzerten, muss man ja gefühlt sechs Stunden vorher da sein, um so weit vorne zu stehen. Zum Glück gibt es bei den Ärzten auch immer jede Menge spaßige Ansagen und verrückte Ideen, gut zum Luft holen. Als aus dem Publikum Geschwisterliebe gefordert wird, fängt die Band spontan an, es in einer Ska Version zu spielen. Als sie diese abbrechen, flüstert Bela mit schelmischem Grinsen Farin etwas ins Ohr und es wird die Melodie von Geschwisterliebe gespielt, aber der Text von Claudia hat ´nen Schäferhund dazu gesungen. Zitroneneis bekommt ein In- und Outro im „Da, da, da“ Stil von Trio – die Älteren werden sich noch erinnern.

Nach einem Solo von Rod an der, aufgepasst, Flöte(!!!), merkt Farin an: „Der Kerl ist der Wahnsinn, beim ersten Konzert kommen nur ein paar schiefe Töne raus und nach dem vierten Konzert ist die Flöte das beste Instrument auf der Bühne.“

Auch die Texte werden, wie für die Ärzte typisch, mit aktuellem Bezug verändert. So singt Bela in Achtung Bielefeld: Aber ich denke, dass sich eine Mutter in Mariupol auch ganz gern mal langweilen würde. Bela und Rod bauen den Text von Der Afro von Paul Breitner um und singen: Hätte ich das Konto von Boris Becker und den Geschäftssinn von Fynn Kliemann. Als Anastasia gespielt wird, geht Felix erstmal Bier holen. Wie in unserer Podcastfolge zu hören: Our Felix hates this Song (höre hier). Naja, hassen wohl nicht, aber nach seiner Meinung hätte es den Song auf dem Dunkel Album nicht gebraucht. Während der Zugaben wird noch das Lied FDJ Punks von Soilent Grün, der Band, aus der später die Ärzte hervorgingen, gecovert. Die Band bedankt sich dabei beim SO, dass sie damals auch mit Soilent Grün hier schon spielen durfte.

Apropos Zugaben, ich stehe tatsächlich die meiste Zeit vorne drin, merke aber auch bei dem Song Junge, dass ich mehr oder weniger nur noch die Hände vorm Gesicht habe und rechts wie links einstecken muss, wie einst Axel Schulz in der 12. Runde. Nach 2,5 Stunden verabschiedet sich die beste Band der Welt mit Dauerwelle vs Minipli. Trotz allem ertappe ich mich dabei, wie ich denke: Ach schade, jetzt schon?! Ähnlich dem, was mein 8-jähriges Ich sagte, wenn meine Eltern mit mir nach sieben Stunden im Heide Park Soltau so langsam mal nach Hause wollten.

Die Setlist war für so ein kleines Clubkonzert genau richtig. Eine gute Mischung aus Hits, neuen Songs und unbekannteren Sachen. Waren alle Hits dabei? Einige haben sie bei den Setlists der Konzerte durchgetauscht, auf Schrei nach Liebe, Westerland und Zu Spät wurde komplett verzichtet. Vollkommen egal. Felix und ich sind zufrieden.

Ich merke nur, wie er mich etwas mitleidig anguckt, wahrscheinlich will er mir sagen, dass ich fertig aussehe, aber er verkneift es sich, denn Worte haben Kraft. Auch einer der neuen Songs, die heute wirklich richtig Spaß gemacht haben. Etwas kaputt ziehen wir unsere Jacken über unsere verschwitzten T-Shirts und verschwinden in das Dunkel der Kreuzberger Nacht.

#31 Converge ft. Chelsea Wolfe – Bloodmoon: I (2021)

Eine Kooperation, die einem nicht sofort in den Sinn kommen mag – oder gerade doch? Die seit Dekaden etablierte Hardcore Band Converge fusioniert hier mit der Dark Folk Rock Künstlerin Chelsea Wolfe. Wie das Resultat beim Wellenbrecherbereich ankam, hört ihr ab sofort in unserer neuen Albumbesprechung – ausgewählte Songschnipsel inklusive. Jetzt überall, wo es Podcasts gibt und hier:

Wie ist eure Meinung zur Scheibe? Schlagt ihr zu, sobald die schicke Vinyl kommenden Monat erscheint?

Broilers – Puro Amor (2021)

Ich habe lange gewartet, einen Text zu diesem Album zu verfassen. Ein ganzes Jahr – Warum? Ich war nach dem ersten Hören ziemlich enttäuscht von der Platte. Das ist soweit nichts Ungewöhnliches. Je höher die Vorfreude, desto größer kann die Ernüchterung sein, wenn endlich eine neue Platte einer Band rotiert, die man lange erwartet hat und die man direkt nach der Ankündigung vorbestellte.

Sehr häufig muss man sich erstmal auf dem neuen Werk zurechtfinden. Mir gefällt das mittlerweile, weil es auch bedeutet, dass die Band eine Entwicklung durchläuft, dass sie nicht versucht ein ggf. erfolgreiches Vorgänger-Album zu kopieren, sondern für ihr neues Werk unter Umständen auch einige Änderungen vornimmt, dass sie neue Einflüsse einwirken lässt oder sogar einen ganz neuen Stil wählt.

Ein Stilbruch ist das neue Broilers-Album sicher nicht, aber es klingt in meinen Ohren schon anders als die Vorgänger bzw. setzt den Entwicklungstrend der letzten Platten fort. Und hier liegt der Grund, warum ich so lange mit dem Schreiben des Textes gewartet habe, ich habe mich bis jetzt nicht auf der neuen Platte der Düsseldorfer zurechtgefunden, ich finde einige Stücke oder Teile der Songs immer noch richtig grausam. Ich hatte einfach Angst, dass ich in meiner persönlichen Enttäuschung bei einer Rezension über diese Platte der Band und ihrer Absicht nicht gerecht werde. Ich habe mich dann erstmal ein wenig umgesehen und doch eine Menge sehr positive Statements und Rezensionen in (Online-) Magazinen gelesen bzw. in Podcasts oder Radioshows gehört und so fange ich auch mit zwei positiven Teilen an: erstens sind Cover und Artwork für mich eine glatte 1, zweitens sind Die Texte Sammy Amaras nach wie vor sehr gelungen. Ich mag es, dass die Broilers-Lieder sich erstens mit relevanten Themen beschäftigen, zweitens ein klares Statement enthalten und drittens trotzdem textlich nicht plump daherkommen, sondern weit überwiegend dazu animieren – teilweise dazu zwingen – zwischen den Zeilen zu lesen. Das hat mir beim vorab veröffentlichten Gib das Schiff nicht auf (siehe unten) bereits wieder gefallen und zeigt sich z. B. bei Dachbodenepisoden, Alles wird wieder OK oder Alice & Sarah sehr deutlich. Wenngleich es so ist, dass ich dabei inhaltlich gar nicht alle Aussagen der Songs teilen kann, das ist vor allem bei Diktatur der Lerchen und Nicht alles endet irgendwann der Fall.

Was mich insgesamt allerdings stört sind die Songstrukturen und die grundsätzliche Abmischung, die technisch zwar einwandfrei ist, aber offensichtlich mit der Prämisse, den Broilers etwas Härte zu nehmen, erfolgte. So denke ich, dass die gleichen Songs mit etwas weniger Kalkül und Akribie dafür mit mehr Instinkt musikalisch viel direkter, lauter und authentischer wären. Mir wirken viele Teile viel zu durchgeplant und sehr stark nachträglich aufgehübscht.

Auch die Ironie einiger musikalischer Passagen hat mich überhaupt nicht bekommen. Das betrifft das calypsomäßig mit Xylophonsounds angetüderte Lied Trink Mich Doch Schön und auch die in meinen Ohren billige und völlig unpassende Keyboardklimperei im Hintergrund bei An Allen Anderen Tagen Nicht.

Das Gesamtpaket klingt für mich nach dem Versuch, durch weniger harte Musik und mit auf Teufel komm raus aufs Mitsingen hingebogenen Refrains ein noch breiteres Publikum zu bedienen. Ich rege mich jetzt fast ein Jahr nach dem Erscheinen bei einigen Liedern immer noch über die zum Teil mit Schlagerschablone gezeichneten Pop-Rock-Songs wie Da Bricht Das Herz auf. An keiner nennenswerten Stelle wird hier auch nur ansatzweise über den Rand gemalt. Puro Amor bleibt für mich eine vertane Chance, die in der Bewertung dennoch nicht komplett durchrasselt, weil ich die Texte mag und sich am Ende dreieinhalb gute Songs finden lassen. Und weil ich die Band natürlich immer noch mag. Ja gut, dann hat mich die Platte halt nicht überzeugen können. Für den Einfluss auf junge und alte Menschen brauchen wir die klar platzierten Broilers auch weiterhin auf Festivals und in der Öffentlichkeit. Und wenn der Plan am Ende war, durch die unverfänglichere Musik mehr Radiozeit zu bekommen und damit mehr Leute mit den Statements zu erreichen, dann kann ich dem ganzen am Ende noch etwas Gutes abgewinnen. Und möchte somit dann schließen mit einem gelungenen Lied der Platte, die von mir trotzdem leider nur vier von zehn Wellenbrechern bekommt.