Team Scheisse – Ich habe dir Blumen von der Tanke mitgebracht (jetzt wird geküsst) (2021)

von Alex

Wie ihr vielleicht wisst, mag ich komplexe Musik: Fünf Minuten Nummern oder länger, die Wendungen, Interludes, Breaks und Taktwechsel zu bieten haben. Dazu gerne poetische, relevante Texte mit ordentlich Interpretationspotenzial. Herrlich! Aber wie immer macht eine gesunde Mischung das Leben erst bunt. Wer will schon jeden Tag bedeutungsvolle Schwere? Wie wäre es daher heute mal mit unbekümmerter Leichtigkeit? Und ich so zu mir: Ja, gerne, her damit!

Team Scheisse spielt Punkrock, wie er purer kaum sein könnte und das ist einfach nur geil: Gitarre(n), den Gain-Regler aufgedreht, Schlagzeug, Bass, zackiger Viervierteltakt, stilecht ein bis drei Minuten kurz die Dinger, dazu bellend verzerrter Gesang, der die wiederkehrenden Hooklines in Form von Ohrwürmern ins Bewusstsein der Hörer schießt, fertig. Ich sag nur: „Ich bin Karstadt-Detektiv, ich bin Detektiv bei Karstadt!“

Und weshalb mag ich dieses auf den ersten Blick so schlichte Konzept? So ambivalent der Albumtitel (Blumen! Ach, wie schön! Aber von der Tanke? Igitt, wie unromantisch!), so ambivalent das Werk als solches: Trotz aller musikalischen Schlichtheit ist das Album der Bremer ein absoluter Stimmungsaufheller, der auf jeder Rockparty in Dauerschleife rotieren sollte. Die Gäste würden mit einem breiten Grinsen im Gesicht von der Guacamole auf der Küchenanrichte zum Korn auf dem Couchtisch hüpfen, und dabei unbewusst die Refrains mitgrölen. Katharsis-Punk aus der Box! Es ist beinahe unheimlich, mit welch Ohrwurm-Dichte dieses Album um die Ecke kommt. Der eben schon genannte Karstadtdetektiv ist da nur ein Beispiel. Auch Songs wie 2 blaue Haken, Rein ins Loch (natürlich ist der Text viel subtiler, als es beim Lesen jetzt gerade den Anschein hat, eins der Albumhighlights!) oder Erfurt  bleiben hängen, leben von ihren witzig-originellen, pointierten Texten und den gebetsmühlenartig wiederholten Hooks:

„Da kannst ja gleich nach Erfuhrt zieh’n!“ Sänger und Texter Timo wohnt inzwischen in der besungenen Stadt.

Mich erinnert das Team Scheisse an die frühen Abstürzenden Brieftauben, über die wir im Podcast bereits sprachen (höre hier und nachbetrachte hier). Im Song Frank beispielsweise geht es – heruntergebrochen – um einen schmerzbefreiten Waffendealer bei der Bundeswehr. Und auch die Tauben hatten damals einen bundeswehrideologie-kritischen Song mit demselben Titel im Programm – eben Frank (siehe und höre hier). Zufall oder kleine Hommage? Das Video zum Team-Scheisse-Frank jedenfalls ist großartig: Eine Beauty-Influencerin schminkt sich freudig für ihre Community und erst im Laufe des Clips wird klar, worauf das Ganze hinausläuft:

Ja, bisher ist (zu) wenig bekannt über die Combo, die dem Fun-Punk auf witzig-charmante Weise Leben einhaucht. 2020 produzierte sie ihr Debüt 8 Hobbies für den sozialen Abstieg in Eigenregie – der Karstadtdetektiv war bereits Teil davon. Der Nachfolger nun erschien über Soulforce Records, dem Label vom hip-hop-zentrierten Kitschkrieg-Team; ein bemerkenswerter Move.

In diesem Jahr gab es mit der EP 20:15 dann nochmal neues Futter für die Fangemeinde, die über Instagram unter anderem mit passenden Memes ebenso humorvoll von der Band unterhalten wird wie es die Mucke zu tun vermag. Wetten, dass..?
Auf der EP findet sich unter anderem eine tiefschwarz satirische Abrechnung mit der Kirche, die nachwirkt. Hört gerne mal rein in Gott snoozt.

Im Frühling 2023 geht es für zwölf Termine wieder auf Tour. Dabei bleibt abzuwarten, in welcher Live-Besetzung die Band agiert. In der Vergangenheit gab es da einige Variationen in der Belegschaft.

Fazit:
Aber zurück zum Album: Wie ihr merkt, spiele ich voller Überzeugung im Team Scheisse, denn eigentlich ist das Team gar nicht scheiße. Ganz im Gegenteil! Wenn es die Situation zulässt, ist ihr Zweitling spielend in der Lage, Großes zu bewirken: Nämlich eine kindliche Freude, ehrliche Unbeschwertheit und ein bisschen realen Stumpfsinn in wenig freudige Zeiten zu zaubern. Dafür verdient die Scheibe 8,5/10 Wellenbrecher.

Kontakt Instagram: @teamscheisse

Deine Cousine – Ich bleib nicht hier (2022)

von Felix

Am Samstag, den 01. Oktober haben wir mit Deine Cousine ein Interview geführt. Zu diesem Interview gelangt ihr hier oder über unseren Podcast in allen bekannten Streamingformaten.

Das neue Studioalbum von Deine Cousine erschien am 09. September 2022. Es ist nach Attacke von 2019 das zweite Album der Band um Sängerin und Songschreiberin Ina Bredehorn.

Produziert wurde das Album von Vincent Sorg, der unter anderem auch das letzte Album der Broilers produzierte (Puro Amor → Now Playing hier!).

Die Produktion von Ich bleib nicht hier ist äußerst gelungen und hebt sich durchaus von dem etwas roherem Vorgänger ab, der noch von Daniel Flamm produziert wurde. Das soll keine qualitative Wertung der einzelnen Songs sein, die neue Produktion wirkt lediglich etwas akribischer und umfassender und trennt deutlicher die (punk)rockigen von den poppigeren Teilen.

„Deine Cousine macht auf jeden Fall Musik für die ganze Familie!“ Ina Bredehorn im exklusiven Interview

Bleiben wir aber bei dem neuen Album: Ich war auf das Album nach dem Auftritt von Deine Cousine auf dem diesjährigen Deichbrand (Bericht hier!) sehr gespannt. Nach dem ersten Hören hatte ich einen positiven Gesamteindruck, wusste aber auch recht schnell, welche Songs ich persönlich davon häufiger hören werde und welche eher seltener. Ich halte das auf dieser Platte für eine Stärke, die Stücke sprechen musikalisch eine eindeutige Sprache in Bezug auf Tempo und Anspruch. So findet man im ersten Drittel soliden Pop-Rock, von dem ich sehr gerne viel mehr im alltäglichen Radioprogramm hören würde. In Songs wie Irgendwo da draußen oder Bang Bang habe ich einige Parallelen zum Puro Amor Album der Broilers gefunden, finde die Songstruktur bei Deine Cousine allerdings viel passender, so dass sich manche Aspekte meiner Broilers-Kritik hier ins Gegenteil kehren. Der reduzierte aber immer anwesende Rock-Sound in den ersten vier Stücken wird gezielt und geschickt eingesetzt, um die Lieder anzutreiben wie zum Beispiel im Refrain von Bang Bang. Dazwischen gibt es auch mal recht poppige Elemente wie das Keyboard auf Küsschen links, Küsschen rechts oder mehrstimmige chorartige Parts.

Mit Lied 5 dem titelgebenden Song Ich bleib nicht hier nimmt die Platte für mich eine Wendung, denn dieser und viele der folgenden Songs sind für mich mehr als nur gute Pop-Rock-Songs.

Ich bleib nicht hier lebt von einer unfassbar gelungenen Dramatik in der Songstruktur und dem Zusammenspiel von Lyrics, Gesang und Musik. Von Anfang bis Ende eine geniale Spannungskurve. Der Wellenbrecherbereich hat hier seinen Lieblingssong von diesem Album gefunden und wir freuen uns sehr, dass Sängerin Ina Bredehorn uns in unserem Interview speziell zu diesem Lied einiges zur Entstehung und Gestaltung berichtet hat (Link hier!)

„Mir ging es einfach super beschissen an diesem Tag!“

Nach so einem emotionalen Track ist es immer schwierig für den nachfolgenden Song. Am besten einfach ab durch die Mitte. Folgerichtig wird dann mit Träume findet man im Dreck die Stimmung total aufgebrochen. Dieser Song prescht sofort nach vorne und bietet richtigstarken Punkrock.

Das Album bleibt dann facettenreich und bringt mit Bring mich nach Hause eine wirklich starke Rock-Ballade, die zwar in den ersten Takten beginnt wie ein Pet-Shop-Boys Stück, sich aber musikalisch sehr schön entwickelt. Ähnliches gilt für kaputtgeliebt oder 369, wobei das musikalisch wieder etwas poppiger ist, aber den Hörer dafür textlich bindet. Das ist überhaupt ein wesentliches Merkmal der Platte. Die Texte sind stark, weil sie sehr authentisch und sprachlich treffend sind – egal ob eher ironisch spaßig oder ernst und persönlich.

So schließt die Platte dann mit Bielefeld, Paris oder Madrid und Einen noch dann mit den textlich zwar belangloseren, aber dafür musikalisch treibenden und auf Konzerten hervorragend funktionierenden Titeln.

Im Fazit bleibt für mich festzuhalten, dass Deine Cousine mit Ich bleib nicht hier eine Platte abliefern, die nicht in allen Songs meinen persönlichen Geschmack trifft, die ich aber vom Konzept verstehe. Außerdem sind einige hervorragende Lieder dabei und in der Gesamtheit lässt mich diese Platte hoffen, dass man diese Lücke von gelungenem, weil authentischem Pop-Rock mit Deine Cousine endlich schließen kann. Dieses Genre war über Jahre hinweg zu oft peinlich gewollt oder viel zu cheesy besetzt. In jedem Fall sollte man den Werdegang von Deine Cousine weiter verfolgen, denn:

„Ich möchte einfach Musik machen, die mir gefällt. Und vielleicht ist es auch morgen was ganz anderes.“

Ich bleib nicht hier von Deine Cousine erhält von uns 7 von 10 Wellenbrecher.

#38 Im Interview mit Deine Cousine

Mit ihrem neuen Album “Ich bleib nicht hier“ ist Ina Bredehorn aka Deine Cousine gerade mit 200 Sachen auf der Überholspur unterwegs. Vor ihrem Auftritt im Bremer Mordernes hat sich die meinungsstarke Wahl-Hamburgerin mit uns getroffen, um über Bremen, das erfolgreiche Album, ihr Songwriting und andere spannende Themen zu sprechen. Das Interview gibt es ab sofort überall im Streaming und hier:

Kontaktdetails Deine Cousine:
Instagram
YouTube

#37 das dreckige Dutzend (Akustik)

Und wieder erstellen wir für euch in der Folge eine spannende YouTube-Playlist. Dieses Mal zum Thema Best of Akustik-Mucke. Doch bevor ihr euch den Musikmix auf die Ohren gebt und den besonderen Charme des Reduzierten genießt, hört am besten erst bei uns rein und erfahrt, wie wir auf die 4×3 ausgewählten Songs gekommen sind und was es in Anlehnung an unsere letzte Hauptfolge (#36 Busking – die Welt der Straßenmusik) abschließend noch zu sagen gibt. Also dann, raus die Kabel und auf die Herzen!

#36 Busking – die Welt der Straßenmusik

In unserem heutigen Hauptthema sprechen wir über Straßenmusikerinnen und -musiker. Hatten die Asphalt-Troubadoure und Freiluft-Barden früher bloß ein überschaubares Publikum in den Innenstädten und Fußgängerzonen dieser Welt, gibt es heute dank des Internets und Plattformen wie YouTube eine gigantische Reichweite für eben solche, die sich von der Masse abheben. Wie stehen wir zur Straßenmusik? Nervig oder wertvolles Gut unserer Gesellschaft? Welche Hürden gibt es speziell in Deutschland für die Busking Szene zu überwinden und welche Entwicklung nimmt die Branche? Beschließen werden wir die Folge wie immer mit einem kurzweiligen Spiel angelehnt an das heutige Thema. Neugierig? Dann ab dafür!