Das vermutlich letzte Mal wollen wir den Januar nutzen, um euch gezielt Frauen in der Musik vorzustellen. Das können Sängerinnen sein, die uns begeistert haben, oder Instrumentalistinnen, Songwriter, All-Female-Bands, Produzentinnen und und und.
Nach Beendigung dieses Genuarys werden wir dann über drei Jahre insgesamt 93 Genuary Tipps rausgehauen haben (unsere weiblichen Tipps aus’m Pit nicht mitgerechnet). Die Tipps aus den Vorjahren findet ihr hier:
Das Jahr klingt aus und im Wellenbrecherbreich wird ein letztes Mal so richtig gerockt. Denn heute präsentieren wir euch unsere 4×3 besten Songs des Jahres und dabei – so viel darf wie immer verraten werden – geben die Hörproben reichlich Anlass zum Kopfnicken. Einmal wegen der Intensität der Musik, einmal um unsere Auswahl beifällig abzunicken. Dabei dürfen natürlich auch zärtere Töne nicht fehlen. Wie immer findet ihr die komplette Playlist “Best of 2022“ – bestehend aus zwölf Songs – auf unserem YouTube Kanal unter der Rubrik Playlists. Klickt euch bei der Gelegenheit am besten auch gleich durch die älteren Best ofs…
Ja, und abschließend wollen wir an dieser Stelle einmal Danke sagen: Danke für eure Treue, für euer Feedback, die immer nette Kommunikation und natürlich für eure Vorschläge zum Community Song des Jahres! And the winner was: Deine Cousine – Ich bleib nicht hier.
Wir wünschen euch einen guten Rutsch ins neue Jahr! Bleibt gesund, habt euch lieb!
In unserer letzten Folge #41 haben wir über das so wichtige Thema der psychischen Erkrankungen gesprochen – Schwerpunkt Depressionen in der Musik. Vielen Dank an dieser Stelle für euren Zuspruch nach der Veröffentlichung der Folge. Falls noch nicht geschehen, hört im Streamingdienst eures Vertrauens gerne rein (oder hier). Heute geht es an- und abschließend um unsere 4×3 liebsten Songs für mentale Gesundheit. Und wie immer gibt es da bei uns verschiedene Herangehensweisen an das Thema. Emotional, gut für die Seele, beruhigend, berührend oder auch traurig – alles ist dabei. Ausgewählte Soundbeispiele inklusive! Die in der Folge entstandene Mental Health Playlist findet ihr wie immer auf unserem YouTube Kanal. Lasst uns gerne wissen, was ihr von der Playlist haltet und welcher Song eurer Meinung nach noch mit rein gehört.
Ein Wort: Wow! Aus gegebenem Anlass beginne ich einfach mal mit dem Fazit, denn was der Londoner Lookman Adekunle Salami – kurz L.A. Salami – auf seinem neuen Longplayer – veröffentlicht im Oktober – musikalisch und textlich auf das Vinyl zaubert, ist schlicht atemberaubend. Das inzwischen vierte Studioalbum – betitelt nach dem altertümlichen weiblichen Vornamen Ottoline (ausgesprochen: Ottolyn) -, produziert in Tschechien, klingt, als wäre der Bob Dylan der Sechziger Jahre in die Neuzeit gereist. Wir hören folkige Akustikgitarren, vereinzelt Mundharmonika, unterstützende Streicher und Bläser ebenso wie gerappte Textpassagen auf Elektro-Beats und Samples.
Salami ist – ähnlich wie Dylan – kein Mann für Vers-Chorus-Vers-Chorus-Aus Schemata. Nein, wir befinden uns mitten in der Story of the Hurricane. Bei Salami gibt es zwar Refrains, die dann oftmals noch einen charmanten Ohrwurmcharakter aufweisen (gleich mehr), aber die geschichtenerzählenden Strophenparts haben eine Länge, wie es eher im Hip Hop Bereich üblich ist. Grund genug also für den Künstler vom bluesigen Folk auch mal zum Rap zu wechseln, wie in Desperate Times, Mediocre Measures zu bestaunen. In seinen Texten geht es auf poetisch chiffrierte Art um Ungleichheit und Ungerechtigkeiten, die der Mann, der in einer Pflegefamilie aufwuchs, am eigenen Leib erfahren musste. Schwarz/weiß, arm/reich, Mann/Frau, Macht/Ohnmacht. Doch über allem thront immer die Liebe. Genreübergreifend ist klar: Salami hat was zu sagen, hören wir hin.
Dann gibt es da eine Nummer namens Is This Hell? – ein Meisterwerk, und nicht mal eine Single – eine 10/10. Wenn Salami beherzt und flink die Saiten zupft, klingt seine Gitarre so pur und ungeschliffen, als säße er direkt neben dem Schallplattenspieler, um ein Exklusiv-Jam für die Hörer*innen zu geben. Im Laufe des Songs unterstützen orchestrale Streicher und vor allem Blechbläser, deren Intensität wellenartig an- und abschwillt, damit Salami in aller Ruhe seine Worte an uns richten kann. Jedes dabei wohl überlegt, zum Grübeln anregend und so verheerend wie eine abgefeuerte Schusswaffe:
I woke up with a riffle Loaded with history Duct-taped like a band-aid To my hands
I had to learn to shoot Before I learned to stand And I can’t tell If this is hell […]
It’s hard to make a good decision When your web of choices have been defiled
Apropos Ohrwürmer: In dem Moment, in dem die Plattennadel das Vinyl verlässt, spielt die Platte in den Köpfen der Hörer*innen fleißig weiter, verfolgt uns sogar bis ins Bett. Da liegt man also, will eigentlich schlafen und summt stattdessen die Melodien. Songs wie das lady D’Arbanville-eskeLady Winter, das beruhigende Peace Is Fine (hätte auch perfekt in unser nächstes Dreckiges Dutzend „Best of Mental Health Songs“ gepasst) oder das wehklagende Minus His Woman dienen als perfekte Beispiele dafür.
All diese Songs sind ebenso Beispiele für die musikalische Bandbreite des Künstlers. Vom Folk über die bereits erwähnten Abstecher in die Rapwelt (höre dazu auch Systemic Pandemic) hin zu soulig-bluesigen Sounds im flöten-gespickten As before klingt die Musik so unbekümmert und abwechslungsreich wie sie eben klingt, wenn ihr Urheber an Vielem Freude hat außer daran, in Schubladen gesperrt zu werden.
Den würdigen Abschluss des Albums macht das akustische In Honour of the Street Lights, eine fünf minütige Elegie über den (Un)sinn des Lebens mit extrem cleverer Melodieführung. Und so endet Ottoline viel zu früh mit der Erkenntnis:
So in honour of the street lights, we live But this guitar makes us feel sick And unless you’re a martyr, like most, Illumination ain’t much to boast, cause you’ll be more inconsolable the more you know.
Schlussfazit nach dem Einstiegsfazit: Es gibt so Alben, die sind zeitlos. Es gibt so Alben, die keinen schlechten Song enthalten. Beides hat L.A. Salami mit Ottoline geschafft, wobei die Zeitlosigkeit sich natürlich erst noch zeigen muss. Überzeugt davon bin ich schon heute. Mein einziger Kritikpunkt ist dann auch lediglich subjektiver Natur. Die Zwischenspiele (Flying Printers, Muse und Dear Ottoline), die eigentlich eher lyrische Monologe sind – Salami nennt sie Skit (Sketch) bzw. Interlude – hätte es nicht gebraucht. Mich bringen diese Passagen nach einem beglückt entrückten Schweben wieder zurück auf den kalten Boden der Realität. Andere mögen widersprechen, um zu behaupten, diese Balance mache das Album als Gesamtkunstwerk eines Lyrikers gerade erst rund. Und ja, im Interlude Muse, in dem es vordergründig um Liebe geht, sind auch wirklich nachdenkenswerte Sätze der namenlosen Vortragenden (vielleicht Ottoline?) zu hören. Denn people won’t remember what you said or what you did. People will always remember how you made them feel. Und L.A. Salami ist, bei aller Themenschwere als Poet der Straße oder besser: als Poet of the street lights, mit diesen zehn Songs absolut in der Lage, mich richtig gut fühlen zu lassen. Er unterstreicht eindrucksvoll, nicht „bloß ein weiterer Singer/Songwriter“ zu sein. Von dem, was ich persönlich in diesem Jahr an Neuerscheinungen gehört habe, ist Ottoline (bisher!) mein Album 2022. Oder anders: 9/10 Wellenbrecher
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