Wir waren verabredet mit den Jungs von Kind Kaputt, um vor ihrer Show in Bremen ein Interview zu führen. Leider fiel das Konzert aus (mehr dazu in der Albumrezension zu Kind Kaputts Zweitling Morgen Ist Auch Noch Kein Tag; klicke hier). Nun hat sich Sänger, Texter und Gitarrist Johannes Prautzsch dankenswerterweise die Zeit genommen und unsere Fragen in schriftlicher Form beantwortet. Hier also unser Interview, nicht wie gewohnt im gesprochenen, sondern im geschriebenen Wort. Viel Spaß!
Wellenbrecherbereich: Am 21.10. erschien euer inzwischen zweites Album Morgen ist auch noch kein Tag. Wie kam es zu diesem Titel? Und wie zum Albumcover mit der leeren Schaukel? Ein Verweis auf künftige Generationen, deren Zukunft (Morgen) gerade auf der Kippe steht (kein Tag)?
Johannes (Prautzsch): Das Album hat eine gewisse Ambivalenz zwischen hoffnungsvoll und Resignation. Auf der einen Seite sind da Songs wie “Gegen dich” oder “Gut gemeint“, die einen fast schon versöhnlichen Vibe haben. Auf der anderen Seite besitzen viele Songs einen bitteren Beigeschmack oder haben einen fast nihilistischen Unterton. Wir wollten mit Albumtitel und Artwork gerne beides in Einklang bringen. Deshalb “Morgen ist auch noch kein Tag” und das Bild mit der Schaukel. Auch mit dem Verweis auf künftige Generationen liegst du richtig. Wir ertappen uns oft bei dem Gedanken: “Ist eh alles egal, die Welt wird sowieso untergehen” und auch wenn das natürlich immer im Spaß gesagt wird, ist diese Angst vor der Zukunft natürlich total real. Mich persönlich überfordert das oft. Ich würde gerne etwas daran ändern, aber weiß aufgrund dieser übermenschlich großen Aufgaben überhaupt nicht, wo ich anfangen soll, oder was man tun kann, das wirklich etwas bewegt.
Wellenbrecherbereich: Wie habt ihr damals als Band zusammengefunden? Wenn man dem Internet glauben darf, kommt ihr nicht unbedingt aus einer Region (Berlin, Nürnberg, Eschwege, Leipzig)?
Johannes: Wir haben alle an derselben Hochschule in Mannheim studiert und im Verlauf des Studiums die Band gegründet. Mittlerweile wohnen wir wieder in Nürnberg, Leipzig und Berlin, weshalb wir Proben etc. immer etwas längerfristig planen müssen. Klappt aber ganz gut.
Wellenbrecherbereich: Wer kam damals mit dem Bandnamen um die Ecke? Was bedeutet er?
Johannes: Kind Kaputt steht für uns für eine Gefühlswelt, die wir während unserer Pubertät und auch später an der Uni durchlebt haben. Wir hatten alle oft das Gefühl fehl am Platz zu sein und die Erwartungen, die an uns gestellt werden und die wir uns auch selber stellen, nicht erfüllen zu können. Es hat sich lange so angefühlt, als wären wir Kinder, die plötzlich erwachsen sein müssen, aber das noch gar nicht wollen und daran zerbrechen. Das hat uns zu dem Namen Kind Kaputt geführt.
Wellenbrecherbereich: Ihr tummelt euch im Post-Hardcore-Becken wie auch viele andere deutschsprachigen Bands: Fjørt , Van Holzen, Sperling, 8Kids, Marathonmann … jede Combo natürlich mit ihren eigenen Nuancen und Schwerpunkten. Boomt der deutschsprachige Post-Hardcore-Markt?
Johannes: Aufgrund der momentanen Entwicklung in der Live-Branche würde ich vielleicht sogar eher sagen, er stirbt gerade. Zumindest taumelt er. Aber andererseits stimmt es auch. In den letzten Jahren sehen wir immer mehr Bands, die im weitesten Sinne Rock/Punk Musik mit deutschen Texten machen. Ich glaube Vorreiter-Bands wie Fjørt und Heisskalt haben dazu geführt, dass viele Künstler*innen wieder deutschsprachige Texte für sich entdecken. Rückblickend glaube ich, es gab mal eine Zeit, in der das “uncool” oder cringe war und Bands wie Fjørt und Heisskalt haben dann gezeigt, dass es auch anders geht. Auch für unsere Musik waren beide Bands ein großer Einfluss. Trotzdem ist die Szene verglichen mit anderen Genres sehr klein und deshalb fällt es jetzt umso mehr auf, wenn die Leute zu Hause bleiben und die Clubs leer sind.
Wellenbrecherbereich: Wie schwer ist für euch der Spagat zwischen „überzeugt und authentisch in der Nische Hardcore unterwegs sein“ aber gleichzeitig am besten auch so viele Menschen erreichen, dass ihr mit der Musik Geld verdient?
Johannes: Für uns ist das eigentlich gar kein großes Thema. Wenn wir Songs schreiben, im Studio sind oder generell irgendetwas für diese Band machen, gibt es eigentlich nur eine Frage: “Finden wir es geil?” Wenn ja, dann wird’s gemacht. Wenn nein, dann lassen wir es.
Ich glaube nicht, dass man nischig bleiben muss, um authentisch zu sein. Eigentlich geht es nur darum Musik zu schreiben, die uns selber und bestenfalls die Hörer*innen emotional berührt. Für mich hat das dann nichts mehr mit “Mainstream” oder “Nische” zu tun. Das ist in erster Linie Musik und der Rest bleibt Geschmackssache.
Wellenbrecherbereich: Ist Musik, so wie man es selbst möchte überhaupt noch möglich oder macht man, selbst als unabhängige und autarke Band wie ihr es seid, ein Stück weit Musik, wie andere es möchten?
Johannes: Wie oben schon gesagt: Es ging und geht uns nie darum, Musik für andere zu schreiben. Alles was wir machen, tun wir, weil es uns selbst etwas bedeutet. Für uns existieren da zwei Welten: Zum einen das Musikmachen, die Kunst. Dabei versuchen wir komplett wir selbst zu sein und nur auf unser Bauchgefühl zu hören. Das kommt immer an erster Stelle. Und erst wenn das abgeschlossen ist, kommt die ganze Musik-Business Seite. Wie können wir die Songs vermarkten? Was können wir tun, damit möglichst viele Leute die Single hören? Dabei versuchen wir uns dann an die aktuelle Situation anzupassen und sind in gewisser Weise auch dazu gezwungen, mit dem Strom zu schwimmen.
Wellenbrecherbereich: Warum gibt es in eurer Instrumentierung keinen Bass?
Johannes: Zu Beginn unserer Band hatten wir immer wieder wechselnde Bassisten. Auf unserer ersten Single ist auch noch ein Bass zu hören. Als unser letzter damaliger Bassist dann auch wieder ausgestiegen ist, hatten wir keine Lust uns nochmal auf die Suche zu begeben. Conna, Mathis und ich waren damals schon richtig gute Freunde und jemanden zu finden, der nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich dazu passt, hätte uns einfach zu lange gedauert. Wir wollten endlich live spielen, Songs veröffentlichen und loslegen. Deshalb haben wir nach Möglichkeiten gesucht, den Bass zu ersetzen und seitdem spiele ich eine sehr tief gestimmte Bariton-Gitarre über einen Bass- und über einen Gitarren-Amp. Seit unserer ersten EP (Die Meinung der Einzelnen) nehmen wir so auch im Studio auf.
Wellenbrecherbereich: Euch scheinen die Songtexte extrem wichtig zu sein. Allein auf dem neuen Album gibt es unzählige zitierwürdige Passagen. Wie kommt ihr auf ein bestimmtes Thema und vor allem: Wie entsteht dann der Text dazu?
Johannes: Das sind alles Themen, die uns persönlich betreffen, weil wir sie selbst so erleben, oder weil Menschen, die uns wichtig sind, sie so erleben. Der Text entsteht dann meistens nachdem wir eine grobe instrumentale Skizze des Songs haben. Oft haben wir beim Schreiben des Instrumentals schon ein Thema oder einen Satz, der in eine bestimmte Richtung weist. Und von da aus geht’s dann weiter. Wir versuchen in letzter Zeit auch immer bewusst „sinnvolle“ Arbeitstitel für neue Songs zu wählen. „Vergessen“ ist zum Beispiel so ein Song. Da hat sich der Inhalt des Textes aus dem Arbeitstitel ergeben.
Wellenbrecherbereich: Auf der einen Seite ist es wahrscheinlich leichter in seiner Muttersprache genau das auszudrücken, was man sagen möchte. Auf der anderen Seite macht man sich viel angreifbarer für Kritik, wenn wirklich jeder versteht, was man da singt: Zu kitschig, zu prätentiös, zu schmalzig usw. Sind Texte in der Muttersprache ein intensiverer, ehrlicherer Seelenstriptease als solche in einer Fremdsprache (meist Englisch)?
Johannes: Ja, das finde ich schon. Ich glaube, bei deutschsprachigen Texten muss man viel genauer darauf achten, was man da eigentlich gerade sagt. Im Englischen hat man die Möglichkeit, deutlich allgemeiner zu bleiben, ohne dass es direkt auffällt. An Kritik denken wir beim Texten aber nie.
Wellenbrecherbereich: Im Song Alles erreichen geht es um verschiedene Lebenswege von Menschen, um die Sorge der Eltern, was soll aus dem Jungen werden, aber auch um die Unsicherheit in einem selbst. Es gibt da diese schöne Textzeile: Ich glaube, nur wenn es nicht einfach ist, dann ist es Kunst. Deshalb die Frage, in Anlehnung an eine Podcast Folge von uns, die im nächsten Jahr erscheinen wird: Wann wird die Musik vom bloßen Handwerk zur Kunst?
Johannes: Ich glaube, auch hier liegt viel in der möglichen Emotionalität, die durch Musik ausgelöst werden kann. Es ist unmöglich, dafür eine allgemeingültige Aussage zu treffen. Es gibt einfach zu viele unterschiedliche Geschmäcker. Aber ich für meinen Teil glaube: Wenn ein Stück Musik eine Emotion in mir auslösen kann, dann ist das Kunst. Wenn ich nichts fühle, sondern einfach nur die technische Raffinesse bewundere, dann ist es für mich Handwerk.
Die Textzeile in “Alles erreichen“, die du angesprochen hast, ist auch eine Selbstreferenz. Wir haben lange Zeit unterbewusst unsere Texte verschachtelt, in dem Glauben, dass sie dadurch besser oder wertvoller werden. Rückblickend glaube ich, dass man sich hinter allzu komplizierten Metaphern auch verstecken kann. Das ist eine Art Selbstschutz, weil man sich nicht traut, die teilweise unangenehmen Wahrheiten direkt auszusprechen.
Wellenbrecherbereich: Im Song Anfang und Ende geht es kapitalismuskritisch zu. Ihr sprecht über unsere Überfluss- und Wegwerfgesellschaft, über blinden Konsum. Ein Teufelskreis, da ja unsere Wirtschaft auf Wachstum ausgelegt ist, trotz der endlichen Ressourcen auf unserem Planeten. Soll heißen: Kommen wir ohne einen Systemwechsel überhaupt raus aus dem Konsumzwang und -fetisch?
Johannes: Hui, jetzt wird es wirklich komplex. Ich versuchs mal so:
Ich scheue mich, da klare Forderungen zu formulieren, weil dieses Thema so unendlich vielschichtig ist und weil sich meine Einstellung dazu über die Jahre auch verändert hat. Ich glaube, dass ein Großteil des Problems in jedem Menschen selbst steckt. Wir sind oft gierig und egoistisch. Wir wollen überleben und denken deshalb immer zuerst an uns selbst. Zumindest ist das der Urzustand. Bildung (vor allem Soziale Bildung) kann dann dafür sorgen, dass wir diese Denkmuster durchbrechen und unseren Fokus mehr auf die Gemeinschaft lenken. Auch dafür gibt es wieder keine einfache Lösung. Ich glaube aber, es würde helfen, wenn unsere Schulsysteme mal grundsätzlich überdacht werden. Frontalunterricht und auswendig lernen wird uns nicht durch das 21. Jahrhundert bringen.
Wellenbrecherbereich: Bei welcher Band wart ihr zuletzt im Wellenbrecherbereich bzw. Moshpit?
Johannes: Ich bin ehrlich gesagt kein großer Moshpit-Fan. Ich höre mir Konzerte lieber von weiter hinten an. Deshalb ist mein letzter Pit schon ziemlich lange her. Ich glaube, das muss auf der “Vom Stehen und Fallen” Release Tour von Heisskalt gewesen sein. Da war ich auch Stage-Diven!
Der Wellenbrecherbereich bedankt sich recht herzlich für das ausführliche Beantworten unserer Fragen!