Skindred im Schlachthof, Bremen, 2.12.2019

die Vorfreude springt förmlich aus den Gesichern – gleich geht’s mit Gerrit und Marco ab in den (shark) Pit!

Bereits in unserem allerersten dreckigen Dutzend haben wir versucht, Euch und uns die momentane konzerttechnische Fastenzeit zu versüßen, indem wir in Erinnerung schwelgten hinsichtlich unserer Lieblings-Live-Momente.

Dieser neuen Tradition folgend möchte ich heute von meinem letzten Konzert vor dem Lockdown berichten. Ich hatte das Vergnügen, die wallisischen Ragga-Metal-Jungs von Skindred zu sehen. Eigentlich war das Konzert bereits für Februar 2019 angekündigt gewesen, „dank“ Disturbed wurde es dann aber um satte zehn Monate auf das Jahresende verschoben. Moment. Was hat denn Disturbed jetzt damit zu tun? Nun, Skindred wurde angefragt, auf der Tour der US-Amerikaner als Special Guest dabei zu sein, was Benji Webbe und Co. vermutlich nicht zuletzt aufgrund des großen Namens von Disturbed auch annahmen. Wer mag es ihnen verdenken? Unsere Enttäuschung war natürlich groß, die Vorfreude aber hatte Zeit zu wachsen.

Ich hatte das Quintett bereits einmal live gesehen – 2011 auf dem Reload Festival, ihr Album Union Black damals frisch im Gepäck. Lief die Platte bei mir seinerzeit ohnehin schon in Heavy Rotation, war ich auch sehr beindruckt gewesen von der Live-Show der Ragga-Racker.

Nun also der Schlachthof in Bremen. Unsere Gruppe zählte fünf; Gerrit und Marco waren auch mit dabei. Wir trafen uns – extra zu früher Stunde – auf ein entspanntes Abendessen (ja, der Sex des Alters!) im integrierten Kneipen-Restaurant-Bistro-Etablissement, um auf keinen Fall die norwegische Vorband Blood Command zu verpassen. Leider dauerte es mit dem Zubereiten des Essens an diesem Abend aber derart lange, dass wir gerade noch rechtzeitig für den Haupt-Act kamen (vielleicht auch deshalb dieser Gesichtsausdruck).

Eine Idee von der elektrisierten Stimmung bekamen wir dann unmittelbar, als vor dem Konzert zu „Blitzkrieg Bob“ aus der Konserve plötzlich ein Moshpit losbrach. Trotz ausverkauftem Haus fanden wir unseren Weg direkt vor die Bühne. Die Show konnte beginnen.

Seid mir nicht böse, aber ich kann mich zehn Monate nach dem Konzert leider nicht mehr erinnern, mit welchem Song der Gig eröffnet wurde. Marco? Gerrit? Irgendwer? Was ich nicht vergessen habe, ist die unfassbare Energie und Überzeugung, mit der die Jungs auf die Bühne kamen. Webbe – in schillernde Boxermantel-Mode gehüllt – hatte die Menge mit seiner lässigen Arroganz – oder nennen wir es coolen Unnahbarkeit – von Sekunde eins an komplett im Griff. Stimmgewaltig und stilsicher zwischen Raggae-, Shout- und Clean-Vocals varierend, tanzte sich Webbe sofort in unsere Herzen. Trotz cooler Unnahbarkeit. On point wie ein Schweizer Uhrwerk taten auch die Musiker Mikey Demus (Gitarre), Arya Goggin (Drums), Daniel Pugsley (Bass) und DJ Dan Sturgess das ihre, um den markanten Skindred-Sound in die Körper der Fans zu schießen. Kaum Lückenfüller, kaum Erholung. Nobody gets out of dis shark pit alive, Nobody, nobody gets out alive. Selten habe ich so einen resoluten, aber auch ausdauernden Moshpit erlebt wie an jenem Abend im Schlachthof.

Nachenklich und emotional wurde es dann, als Webbe eine der wenigen Verschnaufpausen nutzte, um von seinem Freund zu erzählen. Er sei seit längerer Zeit sehr krank und Benji wollte ihn unbedingt mal wieder besuchen, verschob dies aber jedes mal aus fadenscheinigen Gründen (wer kennt das nicht?). Als er sich dann tatsächlich auf den Weg machen wollte, kam ein Anruf, dass sein Freund verstorben sei. Eine kleine Anekdote mit Strahlkraft, die zum einen zeigt, dass Webbe auf der Bühne nicht immer unnahbar ist und die ermahnt, nichts auf die lange Bank zu schieben, wenn es um Menschen geht, die einem wichtig sind. Nach dieser Geschichte spielte die Band den Song Saying it now vom aktuellen Album Big Tings, eine für Skindred ungewohnt balladeske Komposition, die genau dieses Thema behandelt. Und die Fans holten – ganz nostalgisch – ihre Feuerzeuge heraus und nicht ihre Taschenlampen-App. Großartig! Insgesamt ein erinnerungswürdiger Gänsehaut-Moment (hey, wäre auch was für das erste dreckige Dutzend gewesen, verdammt!).

Danach gab es wieder auf die Fresse. Kurz vor Feierabend hatten wir dann doch noch das Vergnügen Karina Ljone, die Sängerin von Blood Command live zu sehen und zu hören, als sie zu den Jungs auf die Bühne kam und der Menge inbrünstig den One-Word-Refrain aus Warning entgegenschrie. Kein einfacher Job, wenn man eigentlich Webbes Monster-Stimme gewohnt ist. Und dabei belassen wir es an dieser Stelle.

Den Rausschmiss gab es dann mit dem traditionellen Helicopter, als die (zumeist?) männlichen Fans zum eben genannten Song ihre Shirts auszogen und diese dann – oben ohne – über ihren Köpfen kreisförmig in der Luft umherwirbelten. Der eine oder andere WBB-ler mag auch mit dabei gewesen sein.

zur Visualisierung: Der Helicopter – hier aus 2011

Ein unvergessliches (vorerst letztes) Konzert. That’s my jam!

#2 Das dreckige Dutzend (Live-Songs)

In Erinnerung an die gute alte Prä-Corona-Zeit geht es heute um Live-Songs, mit denen wir Emotionen, persönliche Erlebnisse und positive Erinnerungen verbinden – oder die wir einfach nur gut finden.
Was sind Eure Highlights?

Die Playlist zum Podcast gibt es hier oder dort:

tägliche Inhalation gegen den Corona-Blues empfohlen

#1 Catchy Bashing

Bestandsaufnahme zur (deutschen) Musikkultur

klickt auf das Foto und ihr gelangt direkt zum Podcast

Inhalt:
Nach dem Kennenlern-Begrüßungskreis sprechen wir in #1 über die aktuelle Kultursituation in Deutschland: Ticketoligopole, Corona, aber auch das Fan-Verhalten im Einzelnen gilt es zu beleuchten.
Außerdem:
Passend zum Release des Remasters besprechen wir Rammsteins Debüt Herzeleid. Zudem hat jeder von uns seinen „Tipp aus’m Pit“ für Euch im Gepäck (hier könnt Ihr alles nochmal nachlesen und/oder downloaden). Abschließend spielen wir Entweder-Oder mit Gerrit und Marco: One, Two, Three, Four; hört rein!

#rammstein #herzeleid #nirvana #incubus #brutus #lagwagon #notontour #greenday #corona #handforahand #saveourvenues #letthemusicplay #clubverstärker #reclaimclubculture #eventim #wellenbrecherbereich

„Tipps aus`m Pit“ zum Nachlesen & -hören (aus #1)

Alex: Incubus – Trust Fall (Side B). EP. VÖ: 2020. Label: Island Records
Kurzbeschreibung: Egal ob Strand-Groove (Into the summer) oder Gesellschaftskritik (Karma, come back): Incubus versteht es gekonnt, ihre Stärken voll auszuspielen. Jeder einzelne der fünf Songs individuell und originell. Watch out: Ohrwürmer ahead!

Hörbeispiel

Zum Download geht es hier.

Felix: Brutus.
Ein allgemeiner Tipp – gerne mal reinhören, wenn die drei Belgier kreischenden Rock rausrotzen. Sowohl das Debüt „Burst“ als auch der Nachfolger – das aktuelle Album „Nest“ (LP. VÖ: 2019, Label: Hassle Records) – rennt bei Fans und Kritikern offene Türen ein. Geheimtipp? Was meint ihr?

Zum Download geht es hier.

Gerrit: Green Day – Dookie. LP. VÖ: 1994. Label: Reprise Records
Kurzbeschreibung: Wer dieses Album – aus welchen fadenscheinigen Gründen auch immer – nicht kennt, sollte dies schleunigst ändern. Ein blutjunger Billie Joe Armstrong liefert hier mit seinen beiden Kollegen gleich reihenweise Klassiker des (Punk-)Rocks. Must have!

Zum Download geht es hier.

Marco: Lagwagon – Railer. LP. VÖ: 2019. Label: Fat Wreck Chords
Kurzbeschreibung: Wer hierzu bügelt, ist fix (und) fertig: Schnell, treibend, kompromisslos. Das aktuelle Album der US-Amerikaner ist kurzweilig im doppelten Sinne (Spielzeit: knapp 36 Minuten).

Zum Download geht es hier.

Mit dem Einzelhandel durch das Amazonasgebiet

von Alex

Unlängst offenbarte ich einem Mitzwanziger, dass ich weder Spotify noch Amazon Music nutze. Kurz zuckte Verunsicherung durch sein Gesicht. Dann ein wissendes Lächeln: „itunes?“ Doch als ich auch dies verneinte, war die Ungläubigkeit groß. Nach einer kurzen, bedeutungsschweren Pause, die drängende Frage: „Und wie hörst du dann Musik?“

Ja, Freundinnen und Freunde, es ist wie es ist: Die fetten Jahre der Tonträger sind vorbei. Ziehen wir einen Vergleich zur Automobilbranche könnte man wie folgt konstatieren:

Die Kassette ist der Trabant: Zweckmäßig, aber defizitär. Deshalb längst von der Bildfläche verschwunden.

Die Schallplatte ist der Oldtimer: Alte Technik erhält neue Aufmerksamkeit. Für Hipster und/oder Nostalgiker

Die CD ist der Diesel: Noch voll funktionstüchtig, aber niemand will sie/ihn.

Streaming (oder anders: Musik-Tinder) ist hingegen auf dem Vormarsch. Auch im Podcast sprachen wir in Session #1 über die Transformation. Mit dieser Erkenntnis wurde ich doch etwas sentimental und dachte an früher (Stichwort Nostalgiker). Wie schön war es, in Plattenläden zu stöbern: Unbedarft zum Trenn-Schildchen “F Sonstige“ gehen, die Tonträger mit den Fingern durchblättern wie die Jungs aus der Big Bang Theory ihre Comics („hab ich, hab ich, hab ich, hab ich…“), eine Scheibe völlig irrational aufgrund des ansprechenden Covers herauspicken (Wer ist das? Flaw? Nie gehört. Through the eyes?) und einfach mal reinhören…. bäm!

Nichts von wegen Algorithmus, nichts mit „das könnte Ihnen auch gefallen“. Wenn mir jemand gesagt hat, was mir auch gefallen könnte, dann höchstens meine Kumpels. Und sonst niemand.

Also entschied ich, kurz vor Corona, den so wichtigen Erhalt des Einzelhandels zu unterstützen, indem ich meine in diesem Fall bewusst ausgewählten CDs eben nicht emotionslos im Netz bei Amazon bestelle, sondern beim kleinen Laden nebenan kaufe.

Doch dann die erste Enttäuschung: Der Plattendealer meines Vertrauens, der nebenbei bemerkt nicht so ganz nebenan ist, weshalb ich vorsichtshalber vorher anrief, hatte beide Scheiben nicht vor Ort. Es handelte sich um das Debütalbum der Black Pumas (mehr dazu im Podcast Session 2 und im Blog-Bereich Tipp aus’m Pit)

und um die Teskey Brothers (Half Mile Harvest). Foto: siehe unten.

Zugegeben, weit weg vom Mainstream, aber auch wenig experimentell. Mir wurde prompt empfohlen, das Online-Bestellsystem zu durchforsten. Toll, dass es ein solches gibt, dachte ich gleich begeistert. Aber: Auch hier Fehlanzeige.

Zweiter Anruf. Mein Plattendealer hätte die CDs zwar “extra für mich“ bestellen können, aber da ich bisher kein offiziell registrierter Kunde war, sollte ich mir vorab im Laden ein Konto anlegen und mich – wie es sich für einen gewöhnlichen CD-Käufer gehört – ausweisen (!). Mein Vorschlag, beide Alben einfach per Vorkasse zu bezahlen, zog nicht. Also fragte ich Marco, der bereits ein registrierter Kunde ist und deutlich näher dran wohnt, ob er die CDs für mich bestellen könnte, was er netterweise tat. Dann eineinhalb Wochen lang Funkstille. Diese Ungewissheit nagte an mir, bis Marco endlich die erlösende Nachricht bekam. Es hatte ein bisschen was von: „Möchtest du diese Rose?“ Ja, verdammt! Die (Vor-)Freude war groß. Als er in den Laden ging, um die Bestellung abzuholen, war zur allgemeinen Enttäuschung nur eine CD angekommen. Die zweite kam eine weitere Woche später. Hieß, Beine in die Hand und nochmal hin. Also Marco jetzt.

Das Warten hat sich gelohnt: Die beiden Objekte der Begierde

Was hab ich mich gefreut, als ich die CDs erstmals einschieben durfte. Das Ganze hatte also auch etwas Gutes und das meine ich völlig ironiefrei:

Erstens lernte ich neu, den Wert von Dingen zu schätzen (The Everything Store hin oder her: Nicht alles auf der Welt ist zu jeder Tag- und Nachtzeit binnen Stunden verfügbar, yippie!).

Zweitens habe ich eine heute oft verloren gegangene Tugend wieder erlangt: Geduld.

Und die Moral von der Geschicht‘? Trotz dessen ich weiterhin glühender Verfechter des vor-Ort-Plattenladen-Stöberns bin, sollte der Einzelhandel, wenn ich als Kunde doch mal etwas Spezielles suche, weniger auf Tante Amazon und Co. schimpfen, sondern vielmehr vom Onlinehandel lernen. Denn der Kunde kauft gewiss nicht dort, weil der Name des Flusses so schön klingt.