GIRLI aka Milly Toomey
Eigentlich ist Popmusik keine echte Stilrichtung, allerdings führt genau dieser in der Musikindustrie recht weit verbreitete Irrglaube – man könne sich seinen Popstar so zurecht basteln, wie es einem passt – immer wieder dazu, dass talentierte Künstler*Innen fallen gelassen werden, sich zurückziehen und sicher auch nicht wenige von ihnen irgendwann einfach entnervt aufgeben. Ich erfreue mich dann immer mal wieder an Personen die diesem Prozess trotzen und die sich und ihre Musik auch in einen künstlerischen Kontext setzen und versuchen, ihre Persönlichkeit über Musik, dazugehörige Videos, soziale Medien usw. zu inszenieren. Es gibt zu wenige gute Kunstfiguren, die die Öffentlichkeit als Plattform nutzen, um eine Meinung oder Haltung zu transportieren und zu viele zurechtgeformte Knetfiguren. Deshalb ist das, was wir Popmusik nennen meistens einfach schlecht und völlig austauschbar und belanglos.
GIRLI ist ein ganz wunderbares Beispiel, dass es auch anders geht. Die englische Künstlerin ist zunächst einfach an mir vorübergezogen, da mich ihre Musik auch nicht in den Bann ziehen konnte und ich diese recht schnell als zu poppig wegskippte. Tatsächlich hatte ihre damalige Plattenfirma offenkundig ähnliche Popstar-Bastel-Pläne wie oben beschrieben. Diese gingen jedoch nicht auf, GIRLI war nicht angepasst und dadurch auch nicht schnell genug erfolgreich und wurde kurzerhand fallen gelassen. Eine gute Reaktion darauf ist das Video zu ihrem Song Has Been, in dem genau diese Seite der Musikindustrie thematisiert wird von der insbesondere Künstlerinnen betroffen sind.
Die laufende Tour 2020 musste natürlich abgebrochen werden. So entstanden noch einige Folgen GIRLI IRL eine Art Video Blog mit Interviews. Ihre Position und ihre Einflüsse werden da insbesondere in der 3. Episode im Interview mit Nadya von Pussy Riot deutlich, aus dem die Forderung to be a badass in patriarchal world herausgestellt und fett unterstrichen werden kann, aber in dem auch weitere interessante Statements zu Punk, Queeres Leben in Russland uvm. Darum hier der Link zum Interview:
Die Trennung vom alten Label ist im Nachhinein betrachtet in meinen Augen ein Glücksfall für GIRLI und ihr neues Label Allpoints. Die beiden 2021 erschienen EPs Ex-Talk und Damsel in Distress sind zwar musikalisch auch durchaus noch poppig, überzeugen aber mit sehr klaren Statements und Songs zu Themen, die in populärer Musik zu selten vorkommen, oder in Watte gepackt werden. Außerdem mag ich an den Platten, dass sie musikalisch schwer einzuordnen sind. Viele Samples, manchmal Gitarren, manchmal Elektro, manchmal Rap ein bunter Mix.
Meine persönliche Empfehlung ist daher, GIRLI rückwärts zu hören, also mit den neuen EPs zu beginnen und sich dann zu den alten Sachen durchzuhören, auf denen sich durchaus auch einige (vor allem textlich) gute Songs finden. Wie z. B. Up and Down, der auf dem ersten Album Odd One Out (noch beim PMR-Label) herauskam.