Smile and Burn – Besser sein als jetzt (2022)

Von Felix

Ich muss zugeben, dass Smile and Burn viele Jahre recht spurlos an mir vorbeigegangen sind. Ich weiß aber gar nicht so genau warum, die Band trifft durchaus meinen Nerv. Ich bin tatsächlich (zu)erst durch das Stück Zubetoniert vom 2020er Album Morgen Anders so richtig auf die Band aufmerksam geworden. So freute ich mich dann auf das neue Album Besser sein als jetzt, was letztlich Mitte Mai 2022 nach zwei Vorab-Veröffentlichungen erschien. Übrigens auch in einer sehr hübschen 10“ Vinyl-Variante. Immerhin beugt das einem „die alten Sachen fand ich besser“ vor.

Die Platte startet mit Egal was gestern war: Das ist gleich ein energiegeladener Opener, der klar die Richtung dieser Platte vorgibt. Smile and Burn sind auf ihrem sechsten Studioalbum so, wie sie musikalisch eh am besten sind: aufgedreht, temporeich, manchmal wütend und fast durchgehend bei einer sehr angenehmen Härte, die auf schweißtreibende Konzerte hoffen lässt. Leider musste der Support-Auftritt für ZSK bedingt durch Corona gecancelt werden, also müssen wir bei Smile and Burn auf die nächste Live-Gelegenheit warten.

Aber zurück zu Titel 1, denn hier gibt es richtig guten modernen Punk. Dafür braucht es bekanntermaßen ja nicht viel, aber auch das muss eben gut sein, damit es auch richtig bumst. Schneller Schlagzeugtakt, schraddelige Gitarren, einfache Melodie, ein anklagender Text, aber alles so abgemischt, dass auch bei diesem Tempo durchaus harmonisch klingt und seine Wirkung nicht verfehlt. Zu viele Punk und Post-Punk-Bands verloren sich zuletzt in zunehmend ruhigen bis melancholischen Tönen und populären oder hart philosophischen Textkompositionen. Daher ist es schön direkt vom Start weg zu hören, dass Smile and Burn hier einen anderen Weg einschlagen.

Dem ersten Song folgt direkt das vorab veröffentlichte In vielen Farben. Schon bei dieser Veröffentlichung hatte ich gehofft, dass der Rest des Albums ähnlich laufen würde und ich wurde absolut nicht enttäuscht.

Die Platte geht durchweg diesen Weg, auch wenn mit Dieses Stück Hoffnung oder auch dem Song Scheißsystem zumindest mal phasenweise etwas ruhigere Töne angeschlagen werden.

Bei mir persönlich wecken diese Passagen in manchen Teilen in Bezug auf Gitarre und Gesang Assoziationen zu den Goldenen Zitronen. Das meine ich selbstverständlich als Kompliment und erklärt auch meine Freude an dieser Platte. Die Zitronen waren zwar musikalisch nie so hart, aber sie standen immer für kluge, ironische Texte, die auch gerne die eigene Szene und die eigene Rolle mit im Blick behielten.

Lieblingstracks auf dieser Platte sind ganz klar die aufeinander folgenden Titel Mensch, das Koks sieht klasse aus und Krätze. Erster ist eine Art Punkrock Coming-of-Age Stück. Kein Thema, das nicht auch schon von anderen Bands gesungen wurde, aber der ironisch-sarkastische Ton des Textes von Sänger Philipp Müller trifft voll meinen Geschmack – früher war ich Punk, jetzt Unternehmensberater – Eine Minute und fünfundfünfzig Sekunden pure Freude.

Das noch zehn Sekunden kürzere Krätze steht hier in nichts nach, wenngleich der Text sich hier eher um lästige Proteste besorgter Bürger dreht. Musikalisch geht es hier zu sogar noch etwas kompromissloser zur Sache. Einfach herrlich.

Hier passt also sehr viel, um mich zufrieden zu stellen. Kommen wir jetzt also noch zu Schwächen: Ein paar Stücken im letzten Drittel der Platte fehlt ein wenig der Biss und sie sind für mich Bierhol-Songs, die ich eher nebenher laufen lasse. Meine besten Ideen und Wir haben Reden gehalten sind keine schlechten Lieder, fallen aber etwas ab, wobei die Texte auch hier hörenswert bleiben.

Den Abschluss bildet dann das textlich herausragend überflüssige Computer spielen. Ein Song, der ebenfalls bereits veröffentlicht wurde. Wer es nicht kennt, sollte sich die komplette Playlist dazu geben, der gleiche Song in sechs absolut hörenswerten Interpretationen verschiedener befreundeter Bands und Interpreten.

Was bleibt also abschließend festzuhalten: Ich höre dieses Album in weiten Teilen sehr gerne und freue mich über dieses geradlinige und authentische Album, dafür sahnen Smile and Burn hier 7 von 10 Wellenbrecher ab.

Porcupine Tree – Closure/Continuation (2022)

von Alex

Wenn ich in der Vergangenheit die britischen Progrock-Pioniere Porcupine Tree gehört habe, wurde ich binnen Minuten an die Welt der Whiskeys erinnert. Genauer gesagt an die geschmacklichen Unterschiede zwischen einem zarten Einstiegs Single Malt wie Glennfiddich oder Aberfeldy auf der einen Seite und den rauchigen bis torfigen Noten eines Laphroaig oder Ardbeg Uigeadail auf der anderen. Denn vergleicht man einen Aberfeldy mit Bands wie den Foo Fighters, Green Day oder gar Rammstein, die allesamt den Rockgeschmack von unzähligen Menschen punktgenau und spielend leicht treffen, sind Porcupine Tree eher ein Octomore von Bruichladdich – extrem andersartig und wahrlich nicht für jeden Gaumen bzw. für jedes Trommelfell geeignet. Und das meine ich für beide Seiten der Skala überhaupt nicht wertend: Leckere Spirituosen bzw. gute Musik ist alles. Weder das eine, noch das andere ist irgendwie „besser“. Porcupine Tree sind schlicht, wie der Amerikaner so schön sagt, a different kind of animal. Das muss dem Hörer / der Hörerin vorher klar sein.

Nun haben die Engländer knapp 13 Jahre nach dem letzten Album und zwölf Jahre nach ihrer Auflösung überraschend und in Prog-Kreisen viel umjubelt ein neues Album veröffentlicht. Dieses Mal bloß zu dritt: Komponist, Sänger und Gitarrist Steven Wilson, Drummer Gavin Harrison und Keyboarder Richard Barbieri. Bassist Colin Edwin ist nicht dabei. Auf Nachfrage offenbarte er: „Im März 2021 bekam ich eine E-Mail von Steve, in der er mir mitteilte, dass es ein neues Album gibt und da er bereits alle Bassparts eingespielt hatte, gibt es keine Rolle für mich.“ Lassen wir das mal so stehen.

Everybody: „Rock is dead!“ – Steven Wilson: „Hold my beer!”
Das Album beginnt mit der 8-Minuten-Nummer Harridan und diese lässt mich sprachlos zurück. Bereits als Vorab-Single und Appetizer im November 2021 veröffentlicht, ist es, als wären Porcupine Tree nie weg gewesen. So frisch kann Rockmusik heute klingen! Ein sensationell groovendes Bassriff im Up-Tempo ergießt sich ins Nichts, ehe Gavin Harrison sich und sein Instrument als kantigen, aber extrem präzisen Tanzpartner anbietet, akzentuiert durch Barbieris Keys. Die Platte ist erst Sekunden alt und das wilde Kopfnicken zwischen verzweifeltem Taktzählen beginnt. Es folgt Wilsons Stimme, erst im Flüstertüten-Style, später im unnachahmlichen Melodyfinding-Modus. Harridan entwickelt sich zur Audioversion eines atemraubenden Arthouse Krimis – mit Happy End; trotz schließendem Moll-Akkord:

Faszinierend wie nonchalant Wilson und Co. zwischen den musikalischen Welten wandeln – von Depeche Mode-Anleihen in Walk the Plank hin zu treibenden Soundgarden Refrains in Herd Culling -, ohne dabei auch nur ansatzweise die eigene Visitenkarte aus der Hand zu geben:

Und auch in dem neun Minuten Drama Chimeras Wreck – gewissermaßen drei Songs in einem – steckt ganz viel großraumige Detailverliebtheit. Hier wird sich Zeit genommen. Wie eine Blume, die ihre Blüte gen Sonne streckt und öffnet, so entwickelt sich der Song zusehends und der empirische Porcupine Tree Botaniker wird für seine Geduld mehr als belohnt. Nach vier Minuten zieht die Nummer spürbar an, bis schließlich ein schickes Wah Wah Gitarrensolo zum großen Finale wiggelt. Nach 48 Minuten Laufzeit ist dann alles vorbei.

Bonustracks
Alles vorbei? Nicht unbedingt. Denn es gibt – wie inzwischen üblich – nicht nur die Standard Edition des Albums, sondern auch die Deluxe Bonus Edition, die mit drei Songs – und knapp 18 Minuten – mehr aufwartet. Hier sticht vor allem das instrumentale Arrangement Population Three heraus. Das Trio ist hier – wie auf dem gesamten Album – auf natürlichste Weise extrem homogen und spielfreudig. Wilson und Harrison sind die Fliesen, Barbieri der Fugenmörtel.

Wunderbare Lyrics
Allgemein gilt zu konstatieren, dass die Texte – Wilson-typisch – wieder in der Lage sind, Bilder im Kopf zu erzeugen, Geschichten zu erzählen. Und auch heikle Themen anzupacken. Bei der aktuellen Singleauskopplung Rats Return dachte ich zunächst, sie selbst wären die zurückkehrenden Ratten, aber achten wir auf den Text, wird klar, es geht um Politik. Um die Rückkehr der Diktatoren: Namen wie Wladimir Putin, Alexander Lukaschenko, Kim Jong-un, Xi Jinping (oder ihre afrikanischen Pendants) finden alle zwar nicht statt. Dafür aber – wohl als Platzhalter – ein paar „alte Bekannte“: Dschingis Khan, Augusto Pinochet, Mao Tse-tung, Kim Il-sung, die stellvertretend für die neue, unerwähnte Jahrgangsklasse herhalten müssen:

Leave your principles at the door
Spare me
Purge your guilt for the nameless hoards
Thrill me, you clown

Dazu: Heute lebt weniger als die Hälfte der Weltbevölkerung in einer Art Demokratie – und sogar nur 6,4% in einer „vollständigen“ Demokratie (Deutschland zählt nicht dazu!), Tendenz fallend. Über ein Drittel der Erdenbürger lebt inzwischen in einer Diktatur/einem autoritären Regime (Quelle: Economist Intelligence Unit). Deutschland belegt im Demokratieindex “nur“ Platz 15 – zwischen Luxemburg und Südkorea. Ein kleiner Exkurs aus Interesse des Autors, verzeiht.

Zurück zu Arthouse Krimis: Rats Return erinnert musikalisch extrem an einen David Lynch Film: Verstörend, unheimlich, faszinierend. Und das Video unterstreicht diesen Effekt – doppelt:

Was gefällt mir nicht?
Abzüge in der B-Note gibt es von mir, da ich mir die Rückkehr der Progger insgesamt rockiger gewünscht hätte. Die sphärischen und ruhigen Parts bilden zwar einen passenden und vertraut klingenden Spannungsbogen und Kontrast zu den Rockparts, aber sie verschleppen stellenweise das Grundtempo. Selbst wenn ich grundsätzlich ein großer Freund von Wilsons Ansatz der „natürlichen Tempoanpassung“ bin (siehe hier). Auch die vermeintliche Ausbootung von Bassist Colin Edwin, erschließt sich mir (als Außenstehender) nicht. Ab September ist das Trio auf Tour (auch drei Deutschlandtermine stehen auf dem Programm) und da selbst Mastermind Wilson kaum Gitarre und Bass gleichzeitig spielen kann, steht dann eben nicht der altbekannte Edwin, sondern Nate Navarro (nein, nicht Dave Navarro) auf der Bühne. Wer weiß, was dahinter steckt.

Kaufempfehlung?
Am Ende meiner Rezension möchte ich nochmals den Bogen zum Einstieg spannen: Denn dieses Album kann ich uneingeschränkt jedem musikalischen Octomore-Sympathisanten ans Herz legen. Neben Musik, Text und Stimme ist auch die Produktion tadellos und ein Ohrenschmaus, jeder Kuppelschlag ist kristallklar und perfekt gesetzt (Harrisons Leistung ist ohnehin absolutes Toplevel!): 8/10 Wellenbrecher. Komm, schenk mir ein!

Musikalische Aberfeldy-Fans sollten aber die Finger davon lassen.